stärker und steigerte sich zum Sturm. Wir wußten aus der Karte, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis wir zu der Stelle gelangten, an der das Eisfeld in steilem Abfall nach dem Meere hin abstürzt. Vor- her freilich mußten große Bruchspalten kommen, und darauf setzten wir unsre Hoffnung.
Fast eine Stunde mochten wir so dahingerast sein, schon sahen wir in der Ferne das Meer auftauchen, -- da kamen auch die Spalten. Würde das Tau sich verfangen? Die Anker nutzten uns nichts mehr, denn die Oberfläche des Eises wurde jetzt so unregelmäßig, daß wir uns höher erheben mußten, um nicht gegen einen Vorsprung geschleudert zu werden, und die Ankerseile waren nur kurz. Da, endlich gibt es einen Ruck, daß wir taumeln -- doch die Fahrt geht wieder weiter -- aber jetzt, jetzt halten wir an, das Seil hat sich gespannt! Doch was ist das? Ein furcht- barer Windstoß von oben drückt unser Schiff nach dem Boden zu; da wir dem Sturm nicht mehr folgen, drängt er uns hinab, das Schiff prallt gegen den Boden und erhebt sich aufs neue -- noch ein solcher Stoß und wir sind verloren. Wir müssen steigen, wir machen uns schwerelos und heben uns in die Höhe. Aber war die Hebung zu stark, oder hat die veränderte Richtung das Seil aus der Spalte gelöst -- kurzum, es giebt nach, wir schnellen in die Höhe, das Seil hängt frei herab, und wir folgen wieder dem Sturme -- wir schweben über dem Absturz des Glet- schers, vor uns das wütende, mit Eisschollen erfüllte Meer. -- Jetzt blieb nichts übrig, als nach oben zu
Dreizehntes Kapitel.
ſtärker und ſteigerte ſich zum Sturm. Wir wußten aus der Karte, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis wir zu der Stelle gelangten, an der das Eisfeld in ſteilem Abfall nach dem Meere hin abſtürzt. Vor- her freilich mußten große Bruchſpalten kommen, und darauf ſetzten wir unſre Hoffnung.
Faſt eine Stunde mochten wir ſo dahingeraſt ſein, ſchon ſahen wir in der Ferne das Meer auftauchen, — da kamen auch die Spalten. Würde das Tau ſich verfangen? Die Anker nutzten uns nichts mehr, denn die Oberfläche des Eiſes wurde jetzt ſo unregelmäßig, daß wir uns höher erheben mußten, um nicht gegen einen Vorſprung geſchleudert zu werden, und die Ankerſeile waren nur kurz. Da, endlich gibt es einen Ruck, daß wir taumeln — doch die Fahrt geht wieder weiter — aber jetzt, jetzt halten wir an, das Seil hat ſich geſpannt! Doch was iſt das? Ein furcht- barer Windſtoß von oben drückt unſer Schiff nach dem Boden zu; da wir dem Sturm nicht mehr folgen, drängt er uns hinab, das Schiff prallt gegen den Boden und erhebt ſich aufs neue — noch ein ſolcher Stoß und wir ſind verloren. Wir müſſen ſteigen, wir machen uns ſchwerelos und heben uns in die Höhe. Aber war die Hebung zu ſtark, oder hat die veränderte Richtung das Seil aus der Spalte gelöſt — kurzum, es giebt nach, wir ſchnellen in die Höhe, das Seil hängt frei herab, und wir folgen wieder dem Sturme — wir ſchweben über dem Abſturz des Glet- ſchers, vor uns das wütende, mit Eisſchollen erfüllte Meer. — Jetzt blieb nichts übrig, als nach oben zu
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[202/0210]
Dreizehntes Kapitel.
ſtärker und ſteigerte ſich zum Sturm. Wir wußten
aus der Karte, daß es nicht mehr lange dauern konnte,
bis wir zu der Stelle gelangten, an der das Eisfeld
in ſteilem Abfall nach dem Meere hin abſtürzt. Vor-
her freilich mußten große Bruchſpalten kommen, und
darauf ſetzten wir unſre Hoffnung.
Faſt eine Stunde mochten wir ſo dahingeraſt ſein,
ſchon ſahen wir in der Ferne das Meer auftauchen, —
da kamen auch die Spalten. Würde das Tau ſich
verfangen? Die Anker nutzten uns nichts mehr, denn
die Oberfläche des Eiſes wurde jetzt ſo unregelmäßig,
daß wir uns höher erheben mußten, um nicht gegen
einen Vorſprung geſchleudert zu werden, und die
Ankerſeile waren nur kurz. Da, endlich gibt es einen
Ruck, daß wir taumeln — doch die Fahrt geht
wieder weiter — aber jetzt, jetzt halten wir an, das
Seil hat ſich geſpannt! Doch was iſt das? Ein furcht-
barer Windſtoß von oben drückt unſer Schiff nach
dem Boden zu; da wir dem Sturm nicht mehr folgen,
drängt er uns hinab, das Schiff prallt gegen den
Boden und erhebt ſich aufs neue — noch ein ſolcher
Stoß und wir ſind verloren. Wir müſſen ſteigen,
wir machen uns ſchwerelos und heben uns in die
Höhe. Aber war die Hebung zu ſtark, oder hat die
veränderte Richtung das Seil aus der Spalte gelöſt —
kurzum, es giebt nach, wir ſchnellen in die Höhe, das
Seil hängt frei herab, und wir folgen wieder dem
Sturme — wir ſchweben über dem Abſturz des Glet-
ſchers, vor uns das wütende, mit Eisſchollen erfüllte
Meer. — Jetzt blieb nichts übrig, als nach oben zu
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/210>, abgerufen am 24.11.2024.
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