schieden. Räumlich und zeitlich bestimmte Gruppen von Empfindungen kehren regelmäßig wieder, Wandel der Tages- und Jahreszeiten, Auf- und Niedergang der Gestirne, Blühen der Pflanzen und Reifen der Früchte, Gewohnheiten der Tiere, Vorgänge des eigenen Organismus. Soweit in derartigen Er- scheinungen Gesetzmäßigkeit erkennbar wird, soweit entsteht eine neue Art der Existenz; an Stelle passiven Erwartens, un- bestimmten Erlebens, triebartigen Handelns tritt bewußtes Überlegen; es gibt etwas Erkennbares. Diese Erkennbarkeit ist das psychologische Zeichen derjenigen Art des Seins, welche wir objektive Wirklichkeit nennen. Das Nicht-Erkennbare bleibt immer subjektive Vermutung, Gegenstand des Fürchtens und Glaubens, Gebiet des Mythos. Dies schließt nicht aus, daß gerade der Schwerpunkt des Lebens in diesen Gebieten liegt, in der subjektiven Gewalt der Gefühle. Aber das ist eine andere Art des Wirklichen.
Objektive Wirklichkeit nennen wir den Komplex räumlich zeitlicher Empfindungen, welcher einer gesetzlichen Bestimmbarkeit unterliegt. Derjenige Teil dieser objektiven Wirklichkeit, welcher als gesetzliches Geschehen im Raum durch die wissenschaftliche Erkenntnis gewährleistet ist, besitzt den höchsten Grad der Unabhängigkeit vom subjektiven Erlebnis; er heißt Natur im wissenschaftlichen Sinne.
Natur im wissenschaftlichen Sinne ist also dasjenige, was durch systematisches Denken als räumlich-zeitliche Erscheinung objektiviert, d. h. begrifflich fixiert und dadurch ge- setzlich garantiert ist. Daher darf man sagen, das Denken erzeugt die Natur, d. h. es existiert immer nur soviel Natur, als Wissenschaft von derselben besteht. Natur ist nicht eine transcendente Welt von Objekten, mit ihr eigenen, unveränder- lichen Gesetzen, denen das menschliche Denken nach und nach sich anzupassen hätte, Natur ist auch nicht die bunte Mannig- faltigkeit der Erscheinung, insofern sie regellos vor unsern Sinnen auftaucht, sondern Natur, als das Objekt wissenschaft- licher Erfahrung, ist derjenige aus diesem Erlebnis herausge- schälte Teil, welcher durch ein Verfahren des Bewußtseins, das wir die Gesetzlichkeit des Verstandes nennen, als Wirklich- keit objektiviert ist, so daß er der Erkenntnis und der Dar- stellung in zweifellosen Gesetzen zugänglich und fähig ist.
Objektive Wirklichkeit und Natur.
schieden. Räumlich und zeitlich bestimmte Gruppen von Empfindungen kehren regelmäßig wieder, Wandel der Tages- und Jahreszeiten, Auf- und Niedergang der Gestirne, Blühen der Pflanzen und Reifen der Früchte, Gewohnheiten der Tiere, Vorgänge des eigenen Organismus. Soweit in derartigen Er- scheinungen Gesetzmäßigkeit erkennbar wird, soweit entsteht eine neue Art der Existenz; an Stelle passiven Erwartens, un- bestimmten Erlebens, triebartigen Handelns tritt bewußtes Überlegen; es gibt etwas Erkennbares. Diese Erkennbarkeit ist das psychologische Zeichen derjenigen Art des Seins, welche wir objektive Wirklichkeit nennen. Das Nicht-Erkennbare bleibt immer subjektive Vermutung, Gegenstand des Fürchtens und Glaubens, Gebiet des Mythos. Dies schließt nicht aus, daß gerade der Schwerpunkt des Lebens in diesen Gebieten liegt, in der subjektiven Gewalt der Gefühle. Aber das ist eine andere Art des Wirklichen.
Objektive Wirklichkeit nennen wir den Komplex räumlich zeitlicher Empfindungen, welcher einer gesetzlichen Bestimmbarkeit unterliegt. Derjenige Teil dieser objektiven Wirklichkeit, welcher als gesetzliches Geschehen im Raum durch die wissenschaftliche Erkenntnis gewährleistet ist, besitzt den höchsten Grad der Unabhängigkeit vom subjektiven Erlebnis; er heißt Natur im wissenschaftlichen Sinne.
Natur im wissenschaftlichen Sinne ist also dasjenige, was durch systematisches Denken als räumlich-zeitliche Erscheinung objektiviert, d. h. begrifflich fixiert und dadurch ge- setzlich garantiert ist. Daher darf man sagen, das Denken erzeugt die Natur, d. h. es existiert immer nur soviel Natur, als Wissenschaft von derselben besteht. Natur ist nicht eine transcendente Welt von Objekten, mit ihr eigenen, unveränder- lichen Gesetzen, denen das menschliche Denken nach und nach sich anzupassen hätte, Natur ist auch nicht die bunte Mannig- faltigkeit der Erscheinung, insofern sie regellos vor unsern Sinnen auftaucht, sondern Natur, als das Objekt wissenschaft- licher Erfahrung, ist derjenige aus diesem Erlebnis herausge- schälte Teil, welcher durch ein Verfahren des Bewußtseins, das wir die Gesetzlichkeit des Verstandes nennen, als Wirklich- keit objektiviert ist, so daß er der Erkenntnis und der Dar- stellung in zweifellosen Gesetzen zugänglich und fähig ist.
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Objektive Wirklichkeit und Natur.
schieden. Räumlich und zeitlich bestimmte Gruppen von
Empfindungen kehren regelmäßig wieder, Wandel der Tages-
und Jahreszeiten, Auf- und Niedergang der Gestirne, Blühen
der Pflanzen und Reifen der Früchte, Gewohnheiten der Tiere,
Vorgänge des eigenen Organismus. Soweit in derartigen Er-
scheinungen Gesetzmäßigkeit erkennbar wird, soweit entsteht
eine neue Art der Existenz; an Stelle passiven Erwartens, un-
bestimmten Erlebens, triebartigen Handelns tritt bewußtes
Überlegen; es gibt etwas Erkennbares. Diese Erkennbarkeit
ist das psychologische Zeichen derjenigen Art des Seins, welche
wir objektive Wirklichkeit nennen. Das Nicht-Erkennbare bleibt
immer subjektive Vermutung, Gegenstand des Fürchtens und
Glaubens, Gebiet des Mythos. Dies schließt nicht aus, daß
gerade der Schwerpunkt des Lebens in diesen Gebieten liegt,
in der subjektiven Gewalt der Gefühle. Aber das ist eine
andere Art des Wirklichen.
Objektive Wirklichkeit nennen wir den Komplex
räumlich zeitlicher Empfindungen, welcher einer gesetzlichen
Bestimmbarkeit unterliegt. Derjenige Teil dieser objektiven
Wirklichkeit, welcher als gesetzliches Geschehen im Raum
durch die wissenschaftliche Erkenntnis gewährleistet ist,
besitzt den höchsten Grad der Unabhängigkeit vom subjektiven
Erlebnis; er heißt Natur im wissenschaftlichen Sinne.
Natur im wissenschaftlichen Sinne ist also dasjenige, was
durch systematisches Denken als räumlich-zeitliche Erscheinung
objektiviert, d. h. begrifflich fixiert und dadurch ge-
setzlich garantiert ist. Daher darf man sagen, das Denken
erzeugt die Natur, d. h. es existiert immer nur soviel Natur,
als Wissenschaft von derselben besteht. Natur ist nicht eine
transcendente Welt von Objekten, mit ihr eigenen, unveränder-
lichen Gesetzen, denen das menschliche Denken nach und nach
sich anzupassen hätte, Natur ist auch nicht die bunte Mannig-
faltigkeit der Erscheinung, insofern sie regellos vor unsern
Sinnen auftaucht, sondern Natur, als das Objekt wissenschaft-
licher Erfahrung, ist derjenige aus diesem Erlebnis herausge-
schälte Teil, welcher durch ein Verfahren des Bewußtseins,
das wir die Gesetzlichkeit des Verstandes nennen, als Wirklich-
keit objektiviert ist, so daß er der Erkenntnis und der Dar-
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/98>, abgerufen am 16.02.2025.
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