Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

De gen. et spec.: Die Formen der Elementarteile.
die Eigenschaft haben, entgegengesetzte Formen anzunehmen,
bekommen sie ihre Substanzialität, die Formen formen ihnen
dieselbe ein, so daß sie zur Substanz werden. Diese Substanz
wird nun Materie einer neuen Bildung, indem als Form die
Form der Elemente -- Wärme, Feuchtigkeit u. dergl. -- hinzu-
tritt. Durch diese Information erst sind die kleinsten Teile der
Körper, die Integralkörperchen, entstanden. Sie sind die
Individuen der Körperwelt. Dabei ist aber die Qualität und
Quantität zu unterscheiden. Um deutlich einzusehen, wie
durch die erwähnte Zusammensetzung aus unkörperlichen Dingen
die Elemente nach und nach entstehen, obgleich alle aus der
allgemeinen und besonderen Materie und Form bestehen, so ist zu
merken, daß ein jedes Körperteilchen sich nur einer ganz
bestimmten Quantität erfreut; indem die passenden Formen
hinzutreten, vermehren sie nicht die Quantitäten, sondern ver-
wandeln nur seine Beschaffenheit.1 Jeder Körper besteht aus
einer sehr großen, aber nach Zahl und Größe ganz bestimmten
Menge von kleinen Körpern oder Atomen, und dieser Sammlung
von Einzeldingen kommt dann der Name der Art oder Gattung
zu. Indem nämlich die entsprechende Form den ganzen Körper
einformt, formt sie auch alle einzelnen Teile ein; indem z. B.
ein bestimmter Teil der Materie "Mensch" zum Sokrates ein-
geformt wird, erhalten auch alle einzelnen Teile desselben eine
bestimmte Form. Aber die Form des Ganzen ist keineswegs
die Form der einzelnen Teile. Während die Form der Körper-
lichkeit das Ganze ergreift, ergreift sie auch seine einzelnen
Partikeln und macht sie dadurch körperlich; während aber die
Belebtheit das Ganze zum Sokrates macht, formen andere
Formen den Teilen andere Eigenschaften ein, geben den einen
Atomen Farbe, andere macht die Form des Feuers zu Feuer,
die des Wassers zu Wasser u. s. w. So kommt es, daß die
einzelnen Teilchen eines belebten Wesens nicht selbst belebt
sind, sondern teils Feuer, teils Wasser, teils Luft und teils
Erde2. Es erklärt sich daraus, wie Aristoteles sagen konnte,

1 A. a. O. p. 539. Unumquodque individuum corporis quantum est,
tantum in se habet fructum; habiles formae enim supervenientes quantitates
non auxerunt, sed aliam naturam fecerunt.
2 A. a. O. p. 540. Sed quam statim corporeitas illud totum afficit, tam
statim suae corporeitates singulas illius totius particulas afficiunt, et faciunt

De gen. et spec.: Die Formen der Elementarteile.
die Eigenschaft haben, entgegengesetzte Formen anzunehmen,
bekommen sie ihre Substanzialität, die Formen formen ihnen
dieselbe ein, so daß sie zur Substanz werden. Diese Substanz
wird nun Materie einer neuen Bildung, indem als Form die
Form der Elemente — Wärme, Feuchtigkeit u. dergl. — hinzu-
tritt. Durch diese Information erst sind die kleinsten Teile der
Körper, die Integralkörperchen, entstanden. Sie sind die
Individuen der Körperwelt. Dabei ist aber die Qualität und
Quantität zu unterscheiden. Um deutlich einzusehen, wie
durch die erwähnte Zusammensetzung aus unkörperlichen Dingen
die Elemente nach und nach entstehen, obgleich alle aus der
allgemeinen und besonderen Materie und Form bestehen, so ist zu
merken, daß ein jedes Körperteilchen sich nur einer ganz
bestimmten Quantität erfreut; indem die passenden Formen
hinzutreten, vermehren sie nicht die Quantitäten, sondern ver-
wandeln nur seine Beschaffenheit.1 Jeder Körper besteht aus
einer sehr großen, aber nach Zahl und Größe ganz bestimmten
Menge von kleinen Körpern oder Atomen, und dieser Sammlung
von Einzeldingen kommt dann der Name der Art oder Gattung
zu. Indem nämlich die entsprechende Form den ganzen Körper
einformt, formt sie auch alle einzelnen Teile ein; indem z. B.
ein bestimmter Teil der Materie „Mensch‟ zum Sokrates ein-
geformt wird, erhalten auch alle einzelnen Teile desselben eine
bestimmte Form. Aber die Form des Ganzen ist keineswegs
die Form der einzelnen Teile. Während die Form der Körper-
lichkeit das Ganze ergreift, ergreift sie auch seine einzelnen
Partikeln und macht sie dadurch körperlich; während aber die
Belebtheit das Ganze zum Sokrates macht, formen andere
Formen den Teilen andere Eigenschaften ein, geben den einen
Atomen Farbe, andere macht die Form des Feuers zu Feuer,
die des Wassers zu Wasser u. s. w. So kommt es, daß die
einzelnen Teilchen eines belebten Wesens nicht selbst belebt
sind, sondern teils Feuer, teils Wasser, teils Luft und teils
Erde2. Es erklärt sich daraus, wie Aristoteles sagen konnte,

1 A. a. O. p. 539. Unumquodque individuum corporis quantum est,
tantum in se habet fructum; habiles formae enim supervenientes quantitates
non auxerunt, sed aliam naturam fecerunt.
2 A. a. O. p. 540. Sed quam statim corporeitas illud totum afficit, tam
statim suae corporeitates singulas illius totius particulas afficiunt, et faciunt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0087" n="69"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">De gen. et spec.</hi>: Die Formen der Elementarteile.</fw><lb/>
die Eigenschaft haben, entgegengesetzte Formen anzunehmen,<lb/>
bekommen sie ihre Substanzialität, die Formen formen ihnen<lb/>
dieselbe ein, so daß sie zur Substanz werden. Diese Substanz<lb/>
wird nun Materie einer neuen Bildung, indem als Form die<lb/>
Form der Elemente &#x2014; Wärme, Feuchtigkeit u. dergl. &#x2014; hinzu-<lb/>
tritt. Durch diese Information erst sind die kleinsten Teile der<lb/>
Körper, die Integralkörperchen, entstanden. Sie sind die<lb/>
Individuen der Körperwelt. Dabei ist aber die Qualität und<lb/>
Quantität zu unterscheiden. Um deutlich einzusehen, wie<lb/>
durch die erwähnte Zusammensetzung aus unkörperlichen Dingen<lb/>
die Elemente nach und nach entstehen, obgleich alle aus der<lb/>
allgemeinen und besonderen Materie und Form bestehen, so ist zu<lb/>
merken, daß ein jedes Körperteilchen sich nur einer ganz<lb/>
bestimmten Quantität erfreut; indem die passenden Formen<lb/>
hinzutreten, vermehren sie nicht die Quantitäten, sondern ver-<lb/>
wandeln nur seine Beschaffenheit.<note place="foot" n="1">A. a. O. p. 539. Unumquodque individuum corporis quantum est,<lb/>
tantum in se habet fructum; habiles formae enim supervenientes quantitates<lb/>
non auxerunt, sed aliam naturam fecerunt.</note> Jeder Körper besteht aus<lb/>
einer sehr großen, aber nach Zahl und Größe ganz bestimmten<lb/>
Menge von kleinen Körpern oder Atomen, und dieser Sammlung<lb/>
von Einzeldingen kommt dann der Name der Art oder Gattung<lb/>
zu. Indem nämlich die entsprechende Form den ganzen Körper<lb/>
einformt, formt sie auch alle einzelnen Teile ein; indem z. B.<lb/>
ein bestimmter Teil der Materie &#x201E;Mensch&#x201F; zum Sokrates ein-<lb/>
geformt wird, erhalten auch alle einzelnen Teile desselben eine<lb/>
bestimmte Form. Aber die Form des Ganzen ist keineswegs<lb/>
die Form der einzelnen Teile. Während die Form der Körper-<lb/>
lichkeit das Ganze ergreift, ergreift sie auch seine einzelnen<lb/>
Partikeln und macht sie dadurch körperlich; während aber die<lb/>
Belebtheit das Ganze zum Sokrates macht, formen andere<lb/>
Formen den Teilen andere Eigenschaften ein, geben den einen<lb/>
Atomen Farbe, andere macht die Form des Feuers zu Feuer,<lb/>
die des Wassers zu Wasser u. s. w. So kommt es, daß die<lb/>
einzelnen Teilchen eines belebten Wesens nicht selbst belebt<lb/>
sind, sondern teils Feuer, teils Wasser, teils Luft und teils<lb/>
Erde<note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="2">A. a. O. p. 540. Sed quam statim corporeitas illud totum afficit, tam<lb/>
statim suae corporeitates singulas illius totius particulas afficiunt, et faciunt</note>. Es erklärt sich daraus, wie <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> sagen konnte,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0087] De gen. et spec.: Die Formen der Elementarteile. die Eigenschaft haben, entgegengesetzte Formen anzunehmen, bekommen sie ihre Substanzialität, die Formen formen ihnen dieselbe ein, so daß sie zur Substanz werden. Diese Substanz wird nun Materie einer neuen Bildung, indem als Form die Form der Elemente — Wärme, Feuchtigkeit u. dergl. — hinzu- tritt. Durch diese Information erst sind die kleinsten Teile der Körper, die Integralkörperchen, entstanden. Sie sind die Individuen der Körperwelt. Dabei ist aber die Qualität und Quantität zu unterscheiden. Um deutlich einzusehen, wie durch die erwähnte Zusammensetzung aus unkörperlichen Dingen die Elemente nach und nach entstehen, obgleich alle aus der allgemeinen und besonderen Materie und Form bestehen, so ist zu merken, daß ein jedes Körperteilchen sich nur einer ganz bestimmten Quantität erfreut; indem die passenden Formen hinzutreten, vermehren sie nicht die Quantitäten, sondern ver- wandeln nur seine Beschaffenheit. 1 Jeder Körper besteht aus einer sehr großen, aber nach Zahl und Größe ganz bestimmten Menge von kleinen Körpern oder Atomen, und dieser Sammlung von Einzeldingen kommt dann der Name der Art oder Gattung zu. Indem nämlich die entsprechende Form den ganzen Körper einformt, formt sie auch alle einzelnen Teile ein; indem z. B. ein bestimmter Teil der Materie „Mensch‟ zum Sokrates ein- geformt wird, erhalten auch alle einzelnen Teile desselben eine bestimmte Form. Aber die Form des Ganzen ist keineswegs die Form der einzelnen Teile. Während die Form der Körper- lichkeit das Ganze ergreift, ergreift sie auch seine einzelnen Partikeln und macht sie dadurch körperlich; während aber die Belebtheit das Ganze zum Sokrates macht, formen andere Formen den Teilen andere Eigenschaften ein, geben den einen Atomen Farbe, andere macht die Form des Feuers zu Feuer, die des Wassers zu Wasser u. s. w. So kommt es, daß die einzelnen Teilchen eines belebten Wesens nicht selbst belebt sind, sondern teils Feuer, teils Wasser, teils Luft und teils Erde 2. Es erklärt sich daraus, wie Aristoteles sagen konnte, 1 A. a. O. p. 539. Unumquodque individuum corporis quantum est, tantum in se habet fructum; habiles formae enim supervenientes quantitates non auxerunt, sed aliam naturam fecerunt. 2 A. a. O. p. 540. Sed quam statim corporeitas illud totum afficit, tam statim suae corporeitates singulas illius totius particulas afficiunt, et faciunt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/87
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/87>, abgerufen am 23.11.2024.