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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Vorzug des Realismus vor der Atomistik.
Aber ihm fehlt der geometrische Geist der Griechen, der bei
Leukipp und Demokrit in der geometrischen Gestalt, in der
räumlichen und zahlenmäßigen Beziehung das Ewigbleibende
erkannte, den rationalen Rest, welchen die Abstraktion vom
Sinnlichen zurückläßt. Für ihn war die Logik und Dialektik
die einzige Wissenschaft, die Unterordnung der Begriffe das
einzige Mittel, Zusammenhang und Ordnung zu denken. Der
Raum ist ihm nur logische Bestimmung, Mittel der Definition.
So löst sich der Raum auf zugleich mit den sinnlichen Qualitäten;
nichts Mechanisches bleibt zurück. Die einzelnen prädikativen
Bestimmungen der Dinge führen ihr abstraktes Dasein als reale
Ideen; für sich allein bilden sie ebensowenig eine Sinnenwelt,
wie die getrennten Atome im Leeren; sie sind ebenso unver-
änderlich, ewig, ebenso selbständig und unfruchtbar wie die
Atome. Aber während die räumlichen Atome durch das Leere
getrennt sind und das Leben der Empfindung verloren haben,
hängen die Ideen noch zusammen durch das Denkmittel der
Substanzialität. Nicht nur in Gott, dem allgemeinen Orte aller
Eigenschaften, auch in jedem höheren Begriffe einigt das Band
der logischen Subordination die zerstreuten Scharen, und für
jedes denkende Wesen schießen sie sofort zusammen zum
lebensvollen Bilde der sinnlichen Welt durch die Synthesis
dieses Denkens. Das ist der Vorzug des logischen Realismus
und rationalen Idealismus vor dem mechanischen Atomismus
und rationalen Materialismus, daß seine Abstraktionselemente
nicht aller Einheitsbeziehung entbehren, daß noch die Sub-
stanzialität im Begriffe sie zusammenhält. Es scheint zwar,
als sei dafür den Atomen die Kausalität -- der Mechanismus --
als einigendes Band gegeben; aber das Denkmittel der Kausa-
lität hat sich im rationalen Materialismus Demokrits selbst auf-
gehoben. Kausalität setzt Veränderlichkeit voraus. Die Mög-
lichkeit der Veränderung aber vermag die antike Atomistik
nicht nachzuweisen; es fehlt noch ein Denkmittel, welches dies
leistet. Denn die Substanzialität reicht dazu nicht hin; indem
sie die beharrliche Substanz setzt, schließt sie die Veränderung
aus. Die Eleaten behalten Recht, die Bewegung ist nicht
möglich. Die sinnliche Erfahrung bewegter Substanzen ist
nicht begrifflich darstellbar, solange zwischen Substanzialität
und Kausalität kein neues Denkmittel vermittelt. Die Atome

Vorzug des Realismus vor der Atomistik.
Aber ihm fehlt der geometrische Geist der Griechen, der bei
Leukipp und Demokrit in der geometrischen Gestalt, in der
räumlichen und zahlenmäßigen Beziehung das Ewigbleibende
erkannte, den rationalen Rest, welchen die Abstraktion vom
Sinnlichen zurückläßt. Für ihn war die Logik und Dialektik
die einzige Wissenschaft, die Unterordnung der Begriffe das
einzige Mittel, Zusammenhang und Ordnung zu denken. Der
Raum ist ihm nur logische Bestimmung, Mittel der Definition.
So löst sich der Raum auf zugleich mit den sinnlichen Qualitäten;
nichts Mechanisches bleibt zurück. Die einzelnen prädikativen
Bestimmungen der Dinge führen ihr abstraktes Dasein als reale
Ideen; für sich allein bilden sie ebensowenig eine Sinnenwelt,
wie die getrennten Atome im Leeren; sie sind ebenso unver-
änderlich, ewig, ebenso selbständig und unfruchtbar wie die
Atome. Aber während die räumlichen Atome durch das Leere
getrennt sind und das Leben der Empfindung verloren haben,
hängen die Ideen noch zusammen durch das Denkmittel der
Substanzialität. Nicht nur in Gott, dem allgemeinen Orte aller
Eigenschaften, auch in jedem höheren Begriffe einigt das Band
der logischen Subordination die zerstreuten Scharen, und für
jedes denkende Wesen schießen sie sofort zusammen zum
lebensvollen Bilde der sinnlichen Welt durch die Synthesis
dieses Denkens. Das ist der Vorzug des logischen Realismus
und rationalen Idealismus vor dem mechanischen Atomismus
und rationalen Materialismus, daß seine Abstraktionselemente
nicht aller Einheitsbeziehung entbehren, daß noch die Sub-
stanzialität im Begriffe sie zusammenhält. Es scheint zwar,
als sei dafür den Atomen die Kausalität — der Mechanismus —
als einigendes Band gegeben; aber das Denkmittel der Kausa-
lität hat sich im rationalen Materialismus Demokrits selbst auf-
gehoben. Kausalität setzt Veränderlichkeit voraus. Die Mög-
lichkeit der Veränderung aber vermag die antike Atomistik
nicht nachzuweisen; es fehlt noch ein Denkmittel, welches dies
leistet. Denn die Substanzialität reicht dazu nicht hin; indem
sie die beharrliche Substanz setzt, schließt sie die Veränderung
aus. Die Eleaten behalten Recht, die Bewegung ist nicht
möglich. Die sinnliche Erfahrung bewegter Substanzen ist
nicht begrifflich darstellbar, solange zwischen Substanzialität
und Kausalität kein neues Denkmittel vermittelt. Die Atome

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[54/0072] Vorzug des Realismus vor der Atomistik. Aber ihm fehlt der geometrische Geist der Griechen, der bei Leukipp und Demokrit in der geometrischen Gestalt, in der räumlichen und zahlenmäßigen Beziehung das Ewigbleibende erkannte, den rationalen Rest, welchen die Abstraktion vom Sinnlichen zurückläßt. Für ihn war die Logik und Dialektik die einzige Wissenschaft, die Unterordnung der Begriffe das einzige Mittel, Zusammenhang und Ordnung zu denken. Der Raum ist ihm nur logische Bestimmung, Mittel der Definition. So löst sich der Raum auf zugleich mit den sinnlichen Qualitäten; nichts Mechanisches bleibt zurück. Die einzelnen prädikativen Bestimmungen der Dinge führen ihr abstraktes Dasein als reale Ideen; für sich allein bilden sie ebensowenig eine Sinnenwelt, wie die getrennten Atome im Leeren; sie sind ebenso unver- änderlich, ewig, ebenso selbständig und unfruchtbar wie die Atome. Aber während die räumlichen Atome durch das Leere getrennt sind und das Leben der Empfindung verloren haben, hängen die Ideen noch zusammen durch das Denkmittel der Substanzialität. Nicht nur in Gott, dem allgemeinen Orte aller Eigenschaften, auch in jedem höheren Begriffe einigt das Band der logischen Subordination die zerstreuten Scharen, und für jedes denkende Wesen schießen sie sofort zusammen zum lebensvollen Bilde der sinnlichen Welt durch die Synthesis dieses Denkens. Das ist der Vorzug des logischen Realismus und rationalen Idealismus vor dem mechanischen Atomismus und rationalen Materialismus, daß seine Abstraktionselemente nicht aller Einheitsbeziehung entbehren, daß noch die Sub- stanzialität im Begriffe sie zusammenhält. Es scheint zwar, als sei dafür den Atomen die Kausalität — der Mechanismus — als einigendes Band gegeben; aber das Denkmittel der Kausa- lität hat sich im rationalen Materialismus Demokrits selbst auf- gehoben. Kausalität setzt Veränderlichkeit voraus. Die Mög- lichkeit der Veränderung aber vermag die antike Atomistik nicht nachzuweisen; es fehlt noch ein Denkmittel, welches dies leistet. Denn die Substanzialität reicht dazu nicht hin; indem sie die beharrliche Substanz setzt, schließt sie die Veränderung aus. Die Eleaten behalten Recht, die Bewegung ist nicht möglich. Die sinnliche Erfahrung bewegter Substanzen ist nicht begrifflich darstellbar, solange zwischen Substanzialität und Kausalität kein neues Denkmittel vermittelt. Die Atome

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/72>, abgerufen am 24.11.2024.