Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Unbrauchbarkeit der qualitativen Atomistik.
Qualität als eine identische wiedererkennen, wie will man ihre
Stärke und ihre Zusammensetzung und Wechselwirkung ge-
setzlich bestimmen, es sei denn durch die Gesetze der Größe,
welche die Mathematik entdeckt? Es muß also nicht bloß
das Qualitative als eine intensive Größe erkannt, sondern auch
das Mittel gefunden werden, die intensive Größe, welche das
Reale der Empfindung ausmacht, mit der extensiven in Be-
ziehung zu setzen. Und die einzige Möglichkeit dazu ist die
Erfassung jener Realität als die gesetzmäßige Tendenz zur
extensiven Entwickelung, d. h. ihre Darstellung als Bewegungs-
prinzip, als Bedingung des Vollzugs einer mathematisch defi-
nierbaren Bewegung. Dies ist der Grund, weshalb eine quali-
tative Atomistik stets unfruchtbar bleiben muß. Erst das
Denkmittel der Variabilität vermag die Qualität als Quantität
begrifflich zu bestimmen. Darum ist der Rückgang Berigards
auf die qualitativ verschiedenen Grundsubstanzen des Anaxa-
goras
nur einer jener blind endigenden Nebenwege, welche bei
dem Suchen nach der zum Ziele der Naturwissenschaft führen-
den Straße eingeschlagen, aber als aussichtslos erkannt werden
müssen.

Im übrigen steht Berigards Lehre durch seine Auffassung
des Kontinuums als eines aus substanziellen Punkten zusammen-
gesetzten sowohl mit Bruno und Basso, als auch mit Galileis
punktueller Atomistik im Zusammenhange. So viel erkennt
er richtig, daß die aktuelle Unendlichkeit der Punkte nichts
andres bedeutet als die Möglichkeit, an jeder Stelle des Konti-
nuums einen Punkt auszuscheiden, ohne dadurch den Zusammen-
hang des Kontinuums aufzuheben. Dies ist einer der notwen-
digen Grundgedanken des Variabilitätbegriffs; doch darf man
denselben bei Berigard nicht mehr als von Galilei unabhängig
betrachten.

2. Magnenus.

Drei Jahre nach dem besprochenen Werke Berigards er-
scheint ein Buch, welches schon durch seinen Titel Democritus
reviviscens
den Anspruch erhebt, die Atomistik zu erneuern.1

1 Democritus reviviscens: Sive Vita et Philosophia Democriti. Authore
Joanno Chrysostomo Magneno, Burgundo Luxoviense Patritio, Philosopho,

Unbrauchbarkeit der qualitativen Atomistik.
Qualität als eine identische wiedererkennen, wie will man ihre
Stärke und ihre Zusammensetzung und Wechselwirkung ge-
setzlich bestimmen, es sei denn durch die Gesetze der Größe,
welche die Mathematik entdeckt? Es muß also nicht bloß
das Qualitative als eine intensive Größe erkannt, sondern auch
das Mittel gefunden werden, die intensive Größe, welche das
Reale der Empfindung ausmacht, mit der extensiven in Be-
ziehung zu setzen. Und die einzige Möglichkeit dazu ist die
Erfassung jener Realität als die gesetzmäßige Tendenz zur
extensiven Entwickelung, d. h. ihre Darstellung als Bewegungs-
prinzip, als Bedingung des Vollzugs einer mathematisch defi-
nierbaren Bewegung. Dies ist der Grund, weshalb eine quali-
tative Atomistik stets unfruchtbar bleiben muß. Erst das
Denkmittel der Variabilität vermag die Qualität als Quantität
begrifflich zu bestimmen. Darum ist der Rückgang Berigards
auf die qualitativ verschiedenen Grundsubstanzen des Anaxa-
goras
nur einer jener blind endigenden Nebenwege, welche bei
dem Suchen nach der zum Ziele der Naturwissenschaft führen-
den Straße eingeschlagen, aber als aussichtslos erkannt werden
müssen.

Im übrigen steht Berigards Lehre durch seine Auffassung
des Kontinuums als eines aus substanziellen Punkten zusammen-
gesetzten sowohl mit Bruno und Basso, als auch mit Galileis
punktueller Atomistik im Zusammenhange. So viel erkennt
er richtig, daß die aktuelle Unendlichkeit der Punkte nichts
andres bedeutet als die Möglichkeit, an jeder Stelle des Konti-
nuums einen Punkt auszuscheiden, ohne dadurch den Zusammen-
hang des Kontinuums aufzuheben. Dies ist einer der notwen-
digen Grundgedanken des Variabilitätbegriffs; doch darf man
denselben bei Berigard nicht mehr als von Galilei unabhängig
betrachten.

2. Magnenus.

Drei Jahre nach dem besprochenen Werke Berigards er-
scheint ein Buch, welches schon durch seinen Titel Democritus
reviviscens
den Anspruch erhebt, die Atomistik zu erneuern.1

1 Democritus reviviscens: Sive Vita et Philosophia Democriti. Authore
Joanno Chrysostomo Magneno, Burgundo Luxoviense Patritio, Philosopho,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0516" n="498"/><fw place="top" type="header">Unbrauchbarkeit der qualitativen Atomistik.</fw><lb/>
Qualität als eine identische wiedererkennen, wie will man ihre<lb/>
Stärke und ihre Zusammensetzung und Wechselwirkung ge-<lb/>
setzlich bestimmen, es sei denn durch die Gesetze der Größe,<lb/>
welche die Mathematik entdeckt? Es muß also nicht bloß<lb/>
das Qualitative als eine intensive Größe erkannt, sondern auch<lb/>
das Mittel gefunden werden, die intensive Größe, welche das<lb/>
Reale der Empfindung ausmacht, mit der extensiven in Be-<lb/>
ziehung zu setzen. Und die einzige Möglichkeit dazu ist die<lb/>
Erfassung jener Realität als die gesetzmäßige Tendenz zur<lb/>
extensiven Entwickelung, d. h. ihre Darstellung als Bewegungs-<lb/>
prinzip, als Bedingung des Vollzugs einer mathematisch defi-<lb/>
nierbaren Bewegung. Dies ist der Grund, weshalb eine quali-<lb/>
tative Atomistik stets unfruchtbar bleiben muß. Erst das<lb/>
Denkmittel der Variabilität vermag die Qualität als Quantität<lb/>
begrifflich zu bestimmen. Darum ist der Rückgang <hi rendition="#k">Berigards</hi><lb/>
auf die qualitativ verschiedenen Grundsubstanzen des <hi rendition="#k">Anaxa-<lb/>
goras</hi> nur einer jener blind endigenden Nebenwege, welche bei<lb/>
dem Suchen nach der zum Ziele der Naturwissenschaft führen-<lb/>
den Straße eingeschlagen, aber als aussichtslos erkannt werden<lb/>
müssen.</p><lb/>
            <p>Im übrigen steht <hi rendition="#k">Berigards</hi> Lehre durch seine Auffassung<lb/>
des Kontinuums als eines aus substanziellen Punkten zusammen-<lb/>
gesetzten sowohl mit <hi rendition="#k">Bruno</hi> und <hi rendition="#k">Basso</hi>, als auch mit <hi rendition="#k">Galileis</hi><lb/>
punktueller Atomistik im Zusammenhange. So viel erkennt<lb/>
er richtig, daß die aktuelle Unendlichkeit der Punkte nichts<lb/>
andres bedeutet als die Möglichkeit, an jeder Stelle des Konti-<lb/>
nuums einen Punkt auszuscheiden, ohne dadurch den Zusammen-<lb/>
hang des Kontinuums aufzuheben. Dies ist einer der notwen-<lb/>
digen Grundgedanken des Variabilitätbegriffs; doch darf man<lb/>
denselben bei <hi rendition="#k">Berigard</hi> nicht mehr als von <hi rendition="#k">Galilei</hi> unabhängig<lb/>
betrachten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">2. Magnenus.</hi> </head><lb/>
            <p>Drei Jahre nach dem besprochenen Werke <hi rendition="#k">Berigards</hi> er-<lb/>
scheint ein Buch, welches schon durch seinen Titel <hi rendition="#i">Democritus<lb/>
reviviscens</hi> den Anspruch erhebt, die Atomistik zu erneuern.<note xml:id="seg2pn_20_1" next="#seg2pn_20_2" place="foot" n="1"><hi rendition="#i">Democritus reviviscens: Sive Vita et Philosophia Democriti.</hi> Authore<lb/><hi rendition="#k">Joanno Chrysostomo Magneno</hi>, Burgundo Luxoviense Patritio, Philosopho,</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[498/0516] Unbrauchbarkeit der qualitativen Atomistik. Qualität als eine identische wiedererkennen, wie will man ihre Stärke und ihre Zusammensetzung und Wechselwirkung ge- setzlich bestimmen, es sei denn durch die Gesetze der Größe, welche die Mathematik entdeckt? Es muß also nicht bloß das Qualitative als eine intensive Größe erkannt, sondern auch das Mittel gefunden werden, die intensive Größe, welche das Reale der Empfindung ausmacht, mit der extensiven in Be- ziehung zu setzen. Und die einzige Möglichkeit dazu ist die Erfassung jener Realität als die gesetzmäßige Tendenz zur extensiven Entwickelung, d. h. ihre Darstellung als Bewegungs- prinzip, als Bedingung des Vollzugs einer mathematisch defi- nierbaren Bewegung. Dies ist der Grund, weshalb eine quali- tative Atomistik stets unfruchtbar bleiben muß. Erst das Denkmittel der Variabilität vermag die Qualität als Quantität begrifflich zu bestimmen. Darum ist der Rückgang Berigards auf die qualitativ verschiedenen Grundsubstanzen des Anaxa- goras nur einer jener blind endigenden Nebenwege, welche bei dem Suchen nach der zum Ziele der Naturwissenschaft führen- den Straße eingeschlagen, aber als aussichtslos erkannt werden müssen. Im übrigen steht Berigards Lehre durch seine Auffassung des Kontinuums als eines aus substanziellen Punkten zusammen- gesetzten sowohl mit Bruno und Basso, als auch mit Galileis punktueller Atomistik im Zusammenhange. So viel erkennt er richtig, daß die aktuelle Unendlichkeit der Punkte nichts andres bedeutet als die Möglichkeit, an jeder Stelle des Konti- nuums einen Punkt auszuscheiden, ohne dadurch den Zusammen- hang des Kontinuums aufzuheben. Dies ist einer der notwen- digen Grundgedanken des Variabilitätbegriffs; doch darf man denselben bei Berigard nicht mehr als von Galilei unabhängig betrachten. 2. Magnenus. Drei Jahre nach dem besprochenen Werke Berigards er- scheint ein Buch, welches schon durch seinen Titel Democritus reviviscens den Anspruch erhebt, die Atomistik zu erneuern. 1 1 Democritus reviviscens: Sive Vita et Philosophia Democriti. Authore Joanno Chrysostomo Magneno, Burgundo Luxoviense Patritio, Philosopho,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/516
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/516>, abgerufen am 24.11.2024.