Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Bacons Cogitationes: Demokrit und Pythagoras.
Untersuchungen gekommen sind, obwohl sie dieselben nicht
glücklich durchgeführt haben.

Die Ansicht von den Atomen oder den Samen der Dinge
ist eine doppelte; die eine ist die des Demokrit, welcher den
Atomen Verschiedenartigkeit und bestimmte Gestalt und in-
folge der letzteren eine bestimmte Lage zuspricht; die andre
vielleicht die des Pythagoras, nach welcher dieselben alle gleich
und ähnlich sind. Daher auch die Beziehung des Pythagoras
auf die Zahlen als Weltprinzip; denn wer von der Gleichheit
der Atome ausgeht, sieht sich genötigt, alles auf ihre Zahl
zurückzuführen; wer ihnen aber noch andre Eigenschaften zu-
gesteht, der wendet außer der Zahl und Art des Zusammen-
tretens der Atome auch ihre ursprüngliche Beschaffenheit als
Erklärungsprinzip an. Praktisch läßt sich diese spekulative
Frage dahin formulieren, ob alles aus allem werden könne.
Da Demokrit die Bejahung dieser Frage für vernunftwidrig
hielt, so blieb er bei der Verschiedenartigkeit der Atome stehen.
Uns (Bacon) scheint jedoch diese Frage nicht gut gestellt zu
sein und nicht bedingend für die Entscheidung der ersten
Frage, wenn man sie nur auf die unmittelbare Veränderung
der Körper bezieht. Erst dann ist die Frage, ob alles aus allem
werden könne, eine berechtigte, wenn man die nötigen Um-
wege und vielfach vermittelten Änderungen der Körper in
Betracht zieht. Dann ist es nicht zweifelhaft, daß die semina
rerum
, unter der Voraussetzung ihrer Gleichartigkeit, die Ver-
schiedenheit der Körper bewirken können, wenn sie in gewisse
Gruppen und Verknüpfung zusammentreten, bis dieselben
Gruppen und Verknüpfungen sich wieder lösen. Die Ver-
schiedenartigkeit der zusammengesetzten Körper setzt aber als-
dann dem unmittelbaren Übergange derselben ineinander kein
geringeres Hindernis in den Weg, als es die Verschiedenartig-
keit der einfachen, der Atome, thun würde.

In der That zeigt sich Demokrit zwar sehr scharfsinnig
bei der Aufsuchung der Prinzipien der Körper; aber er ist es
nicht ebenso bei der Prüfung der Prinzipien der Bewegung; es
war dies der allgemeine Fehler aller Philosophen. Gerade die
Untersuchung über die erste Grundbedingung der Atome dürfte
von größter Wichtigkeit für die Prinzipien der Naturphilosophie
sein, insofern hier die oberste Regel für Actus und Potenz liegt.

Bacons Cogitationes: Demokrit und Pythagoras.
Untersuchungen gekommen sind, obwohl sie dieselben nicht
glücklich durchgeführt haben.

Die Ansicht von den Atomen oder den Samen der Dinge
ist eine doppelte; die eine ist die des Demokrit, welcher den
Atomen Verschiedenartigkeit und bestimmte Gestalt und in-
folge der letzteren eine bestimmte Lage zuspricht; die andre
vielleicht die des Pythagoras, nach welcher dieselben alle gleich
und ähnlich sind. Daher auch die Beziehung des Pythagoras
auf die Zahlen als Weltprinzip; denn wer von der Gleichheit
der Atome ausgeht, sieht sich genötigt, alles auf ihre Zahl
zurückzuführen; wer ihnen aber noch andre Eigenschaften zu-
gesteht, der wendet außer der Zahl und Art des Zusammen-
tretens der Atome auch ihre ursprüngliche Beschaffenheit als
Erklärungsprinzip an. Praktisch läßt sich diese spekulative
Frage dahin formulieren, ob alles aus allem werden könne.
Da Demokrit die Bejahung dieser Frage für vernunftwidrig
hielt, so blieb er bei der Verschiedenartigkeit der Atome stehen.
Uns (Bacon) scheint jedoch diese Frage nicht gut gestellt zu
sein und nicht bedingend für die Entscheidung der ersten
Frage, wenn man sie nur auf die unmittelbare Veränderung
der Körper bezieht. Erst dann ist die Frage, ob alles aus allem
werden könne, eine berechtigte, wenn man die nötigen Um-
wege und vielfach vermittelten Änderungen der Körper in
Betracht zieht. Dann ist es nicht zweifelhaft, daß die semina
rerum
, unter der Voraussetzung ihrer Gleichartigkeit, die Ver-
schiedenheit der Körper bewirken können, wenn sie in gewisse
Gruppen und Verknüpfung zusammentreten, bis dieselben
Gruppen und Verknüpfungen sich wieder lösen. Die Ver-
schiedenartigkeit der zusammengesetzten Körper setzt aber als-
dann dem unmittelbaren Übergange derselben ineinander kein
geringeres Hindernis in den Weg, als es die Verschiedenartig-
keit der einfachen, der Atome, thun würde.

In der That zeigt sich Demokrit zwar sehr scharfsinnig
bei der Aufsuchung der Prinzipien der Körper; aber er ist es
nicht ebenso bei der Prüfung der Prinzipien der Bewegung; es
war dies der allgemeine Fehler aller Philosophen. Gerade die
Untersuchung über die erste Grundbedingung der Atome dürfte
von größter Wichtigkeit für die Prinzipien der Naturphilosophie
sein, insofern hier die oberste Regel für Actus und Potenz liegt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0445" n="427"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Bacons</hi><hi rendition="#i">Cogitationes</hi>: <hi rendition="#k">Demokrit</hi> und <hi rendition="#k">Pythagoras</hi>.</fw><lb/>
Untersuchungen gekommen sind, obwohl sie dieselben nicht<lb/>
glücklich durchgeführt haben.</p><lb/>
              <p>Die Ansicht von den Atomen oder den Samen der Dinge<lb/>
ist eine doppelte; die eine ist die des <hi rendition="#k">Demokrit</hi>, welcher den<lb/>
Atomen Verschiedenartigkeit und bestimmte Gestalt und in-<lb/>
folge der letzteren eine bestimmte Lage zuspricht; die andre<lb/>
vielleicht die des <hi rendition="#k">Pythagoras</hi>, nach welcher dieselben alle gleich<lb/>
und ähnlich sind. Daher auch die Beziehung des <hi rendition="#k">Pythagoras</hi><lb/>
auf die Zahlen als Weltprinzip; denn wer von der Gleichheit<lb/>
der Atome ausgeht, sieht sich genötigt, alles auf ihre Zahl<lb/>
zurückzuführen; wer ihnen aber noch andre Eigenschaften zu-<lb/>
gesteht, der wendet außer der Zahl und Art des Zusammen-<lb/>
tretens der Atome auch ihre ursprüngliche Beschaffenheit als<lb/>
Erklärungsprinzip an. Praktisch läßt sich diese spekulative<lb/>
Frage dahin formulieren, ob alles aus allem werden könne.<lb/>
Da <hi rendition="#k">Demokrit</hi> die Bejahung dieser Frage für vernunftwidrig<lb/>
hielt, so blieb er bei der Verschiedenartigkeit der Atome stehen.<lb/>
Uns (<hi rendition="#k">Bacon</hi>) scheint jedoch diese Frage nicht gut gestellt zu<lb/>
sein und nicht bedingend für die Entscheidung der ersten<lb/>
Frage, wenn man sie nur auf die unmittelbare Veränderung<lb/>
der Körper bezieht. Erst dann ist die Frage, ob alles aus allem<lb/>
werden könne, eine berechtigte, wenn man die nötigen Um-<lb/>
wege und vielfach vermittelten Änderungen der Körper in<lb/>
Betracht zieht. Dann ist es nicht zweifelhaft, daß die <hi rendition="#i">semina<lb/>
rerum</hi>, unter der Voraussetzung ihrer Gleichartigkeit, die Ver-<lb/>
schiedenheit der Körper bewirken können, wenn sie in gewisse<lb/>
Gruppen und Verknüpfung zusammentreten, bis dieselben<lb/>
Gruppen und Verknüpfungen sich wieder lösen. Die Ver-<lb/>
schiedenartigkeit der zusammengesetzten Körper setzt aber als-<lb/>
dann dem unmittelbaren Übergange derselben ineinander kein<lb/>
geringeres Hindernis in den Weg, als es die Verschiedenartig-<lb/>
keit der einfachen, der Atome, thun würde.</p><lb/>
              <p>In der That zeigt sich <hi rendition="#k">Demokrit</hi> zwar sehr scharfsinnig<lb/>
bei der Aufsuchung der Prinzipien der Körper; aber er ist es<lb/>
nicht ebenso bei der Prüfung der Prinzipien der Bewegung; es<lb/>
war dies der allgemeine Fehler aller Philosophen. Gerade die<lb/>
Untersuchung über die erste Grundbedingung der Atome dürfte<lb/>
von größter Wichtigkeit für die Prinzipien der Naturphilosophie<lb/>
sein, insofern hier die oberste Regel für Actus und Potenz liegt.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0445] Bacons Cogitationes: Demokrit und Pythagoras. Untersuchungen gekommen sind, obwohl sie dieselben nicht glücklich durchgeführt haben. Die Ansicht von den Atomen oder den Samen der Dinge ist eine doppelte; die eine ist die des Demokrit, welcher den Atomen Verschiedenartigkeit und bestimmte Gestalt und in- folge der letzteren eine bestimmte Lage zuspricht; die andre vielleicht die des Pythagoras, nach welcher dieselben alle gleich und ähnlich sind. Daher auch die Beziehung des Pythagoras auf die Zahlen als Weltprinzip; denn wer von der Gleichheit der Atome ausgeht, sieht sich genötigt, alles auf ihre Zahl zurückzuführen; wer ihnen aber noch andre Eigenschaften zu- gesteht, der wendet außer der Zahl und Art des Zusammen- tretens der Atome auch ihre ursprüngliche Beschaffenheit als Erklärungsprinzip an. Praktisch läßt sich diese spekulative Frage dahin formulieren, ob alles aus allem werden könne. Da Demokrit die Bejahung dieser Frage für vernunftwidrig hielt, so blieb er bei der Verschiedenartigkeit der Atome stehen. Uns (Bacon) scheint jedoch diese Frage nicht gut gestellt zu sein und nicht bedingend für die Entscheidung der ersten Frage, wenn man sie nur auf die unmittelbare Veränderung der Körper bezieht. Erst dann ist die Frage, ob alles aus allem werden könne, eine berechtigte, wenn man die nötigen Um- wege und vielfach vermittelten Änderungen der Körper in Betracht zieht. Dann ist es nicht zweifelhaft, daß die semina rerum, unter der Voraussetzung ihrer Gleichartigkeit, die Ver- schiedenheit der Körper bewirken können, wenn sie in gewisse Gruppen und Verknüpfung zusammentreten, bis dieselben Gruppen und Verknüpfungen sich wieder lösen. Die Ver- schiedenartigkeit der zusammengesetzten Körper setzt aber als- dann dem unmittelbaren Übergange derselben ineinander kein geringeres Hindernis in den Weg, als es die Verschiedenartig- keit der einfachen, der Atome, thun würde. In der That zeigt sich Demokrit zwar sehr scharfsinnig bei der Aufsuchung der Prinzipien der Körper; aber er ist es nicht ebenso bei der Prüfung der Prinzipien der Bewegung; es war dies der allgemeine Fehler aller Philosophen. Gerade die Untersuchung über die erste Grundbedingung der Atome dürfte von größter Wichtigkeit für die Prinzipien der Naturphilosophie sein, insofern hier die oberste Regel für Actus und Potenz liegt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/445
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/445>, abgerufen am 22.05.2024.