Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Lubin: Verbindung der Atome.
tinuum ausmachen könne (s. S. 104). Hierin findet Lubin eine
petitio principii, indem Aristoteles von den teillosen Punkten
annimmt, daß sie sich in derselben Weise zusammensetzen,
wie ausgedehnte Körper (welche Teile haben, mit denen sie
sich vereinen können), während doch gerade die Zusammen-
setzung erklärt werden soll. In der That ist es nicht gerecht-
fertigt, wenn man überhaupt punktuelle Atome imaginiert, also
von allen sinnlichen Qualitäten und der Ausdehnung selbst ab-
strahiert, dieselben wie ausgedehnte sinnliche Körper zu be-
handeln, den Begriff der Berührung, welcher nur aus der Sinn-
lichkeit entnommen ist, auf jene zu übertragen, und da er nun
notwendig unanwendbar wird, daraus auf die Unzulässigkeit
jener Abstraktionen zu schließen. Die Forderung stetiger Be-
rührung setzt die Existenz von Teilen voraus; sie wird daher
aufgegeben werden müssen, wo nur teillose Individuen existieren.1
Es erhebt sich nun allerdings die Frage, wie man sich das Zu-
sammen der Punkte zu denken habe, so daß ein Kontinuum
entsteht. Lubin ist geneigt, diese Frage als über unsren Ver-
stand hinausgehend zurückzuweisen; jedenfalls muß ein solches
Zusammen der Punkte existieren, und Gottes Weisheit wird
für dasselbe gesorgt haben; wenn er uns dieses Wunder ver-
bergen will, so brauchen wir uns deshalb nicht für weniger
gelehrt zu halten. Dann aber unternimmt Lubin doch einen Ver-
such, jene Verbindung der Atome durch eine Hypothese einiger-
maßen begreiflich zu machen. Punkte werden untereinander
nicht per partes (denn Teile haben sie nicht), sondern per totum
zusammengesetzt, so daß sie ganz Eins sind. Zwei so vereinte
Punkte, meint Lubin, machen ein corpusculum aus; jedenfalls
unterscheiden sie sich von einem einfachen Punkte, denn
der zusammengesetzte kann bereits in zwei Teile zerlegt werden.
Für die sinnliche Anschauung wird allerdings zwischen dem
einfachen und dem zusammengesetzten Punkte kein Unterschied
sein, das Denken aber kann diesen Unterschied wahrnehmen.
In gleicher Weise kann man sich, wie ein Korpuskel zweiter
Ordnung, auch ein solches dritter und vierter Ordnung denken,
in welchem drei oder vier Punkte zusammengefallen sind, wäh-
rend der einfache Punkt als das Korpuskel erster Ordnung

1 A. a. O. c. XIV. p. 171.

Lubin: Verbindung der Atome.
tinuum ausmachen könne (s. S. 104). Hierin findet Lubin eine
petitio principii, indem Aristoteles von den teillosen Punkten
annimmt, daß sie sich in derselben Weise zusammensetzen,
wie ausgedehnte Körper (welche Teile haben, mit denen sie
sich vereinen können), während doch gerade die Zusammen-
setzung erklärt werden soll. In der That ist es nicht gerecht-
fertigt, wenn man überhaupt punktuelle Atome imaginiert, also
von allen sinnlichen Qualitäten und der Ausdehnung selbst ab-
strahiert, dieselben wie ausgedehnte sinnliche Körper zu be-
handeln, den Begriff der Berührung, welcher nur aus der Sinn-
lichkeit entnommen ist, auf jene zu übertragen, und da er nun
notwendig unanwendbar wird, daraus auf die Unzulässigkeit
jener Abstraktionen zu schließen. Die Forderung stetiger Be-
rührung setzt die Existenz von Teilen voraus; sie wird daher
aufgegeben werden müssen, wo nur teillose Individuen existieren.1
Es erhebt sich nun allerdings die Frage, wie man sich das Zu-
sammen der Punkte zu denken habe, so daß ein Kontinuum
entsteht. Lubin ist geneigt, diese Frage als über unsren Ver-
stand hinausgehend zurückzuweisen; jedenfalls muß ein solches
Zusammen der Punkte existieren, und Gottes Weisheit wird
für dasselbe gesorgt haben; wenn er uns dieses Wunder ver-
bergen will, so brauchen wir uns deshalb nicht für weniger
gelehrt zu halten. Dann aber unternimmt Lubin doch einen Ver-
such, jene Verbindung der Atome durch eine Hypothese einiger-
maßen begreiflich zu machen. Punkte werden untereinander
nicht per partes (denn Teile haben sie nicht), sondern per totum
zusammengesetzt, so daß sie ganz Eins sind. Zwei so vereinte
Punkte, meint Lubin, machen ein corpusculum aus; jedenfalls
unterscheiden sie sich von einem einfachen Punkte, denn
der zusammengesetzte kann bereits in zwei Teile zerlegt werden.
Für die sinnliche Anschauung wird allerdings zwischen dem
einfachen und dem zusammengesetzten Punkte kein Unterschied
sein, das Denken aber kann diesen Unterschied wahrnehmen.
In gleicher Weise kann man sich, wie ein Korpuskel zweiter
Ordnung, auch ein solches dritter und vierter Ordnung denken,
in welchem drei oder vier Punkte zusammengefallen sind, wäh-
rend der einfache Punkt als das Korpuskel erster Ordnung

1 A. a. O. c. XIV. p. 171.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0424" n="406"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Lubin</hi>: Verbindung der Atome.</fw><lb/>
tinuum ausmachen könne (s. S. 104). Hierin findet <hi rendition="#k">Lubin</hi> eine<lb/><hi rendition="#i">petitio principii</hi>, indem <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> von den teillosen Punkten<lb/>
annimmt, daß sie sich in derselben Weise zusammensetzen,<lb/>
wie ausgedehnte Körper (welche Teile haben, mit denen sie<lb/>
sich vereinen können), während doch gerade die Zusammen-<lb/>
setzung erklärt werden soll. In der That ist es nicht gerecht-<lb/>
fertigt, wenn man überhaupt punktuelle Atome imaginiert, also<lb/>
von allen sinnlichen Qualitäten und der Ausdehnung selbst ab-<lb/>
strahiert, dieselben wie ausgedehnte sinnliche Körper zu be-<lb/>
handeln, den Begriff der Berührung, welcher nur aus der Sinn-<lb/>
lichkeit entnommen ist, auf jene zu übertragen, und da er nun<lb/>
notwendig unanwendbar wird, daraus auf die Unzulässigkeit<lb/>
jener Abstraktionen zu schließen. Die Forderung stetiger Be-<lb/>
rührung setzt die Existenz von Teilen voraus; sie wird daher<lb/>
aufgegeben werden müssen, wo nur teillose Individuen existieren.<note place="foot" n="1">A. a. O. c. XIV. p. 171.</note><lb/>
Es erhebt sich nun allerdings die Frage, wie man sich das Zu-<lb/>
sammen der Punkte zu denken habe, so daß ein Kontinuum<lb/>
entsteht. <hi rendition="#k">Lubin</hi> ist geneigt, diese Frage als über unsren Ver-<lb/>
stand hinausgehend zurückzuweisen; jedenfalls muß ein solches<lb/>
Zusammen der Punkte existieren, und Gottes Weisheit wird<lb/>
für dasselbe gesorgt haben; wenn er uns dieses Wunder ver-<lb/>
bergen will, so brauchen wir uns deshalb nicht für weniger<lb/>
gelehrt zu halten. Dann aber unternimmt <hi rendition="#k">Lubin</hi> doch einen Ver-<lb/>
such, jene Verbindung der Atome durch eine Hypothese einiger-<lb/>
maßen begreiflich zu machen. Punkte werden untereinander<lb/>
nicht <hi rendition="#i">per partes</hi> (denn Teile haben sie nicht), sondern <hi rendition="#i">per totum</hi><lb/>
zusammengesetzt, so daß sie ganz Eins sind. Zwei so vereinte<lb/>
Punkte, meint <hi rendition="#k">Lubin</hi>, machen ein <hi rendition="#i">corpusculum</hi> aus; jedenfalls<lb/>
unterscheiden sie sich von einem einfachen Punkte, denn<lb/>
der zusammengesetzte kann bereits in zwei Teile zerlegt werden.<lb/>
Für die sinnliche Anschauung wird allerdings zwischen dem<lb/>
einfachen und dem zusammengesetzten Punkte kein Unterschied<lb/>
sein, das Denken aber kann diesen Unterschied wahrnehmen.<lb/>
In gleicher Weise kann man sich, wie ein Korpuskel zweiter<lb/>
Ordnung, auch ein solches dritter und vierter Ordnung denken,<lb/>
in welchem drei oder vier Punkte zusammengefallen sind, wäh-<lb/>
rend der einfache Punkt als das Korpuskel erster Ordnung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0424] Lubin: Verbindung der Atome. tinuum ausmachen könne (s. S. 104). Hierin findet Lubin eine petitio principii, indem Aristoteles von den teillosen Punkten annimmt, daß sie sich in derselben Weise zusammensetzen, wie ausgedehnte Körper (welche Teile haben, mit denen sie sich vereinen können), während doch gerade die Zusammen- setzung erklärt werden soll. In der That ist es nicht gerecht- fertigt, wenn man überhaupt punktuelle Atome imaginiert, also von allen sinnlichen Qualitäten und der Ausdehnung selbst ab- strahiert, dieselben wie ausgedehnte sinnliche Körper zu be- handeln, den Begriff der Berührung, welcher nur aus der Sinn- lichkeit entnommen ist, auf jene zu übertragen, und da er nun notwendig unanwendbar wird, daraus auf die Unzulässigkeit jener Abstraktionen zu schließen. Die Forderung stetiger Be- rührung setzt die Existenz von Teilen voraus; sie wird daher aufgegeben werden müssen, wo nur teillose Individuen existieren. 1 Es erhebt sich nun allerdings die Frage, wie man sich das Zu- sammen der Punkte zu denken habe, so daß ein Kontinuum entsteht. Lubin ist geneigt, diese Frage als über unsren Ver- stand hinausgehend zurückzuweisen; jedenfalls muß ein solches Zusammen der Punkte existieren, und Gottes Weisheit wird für dasselbe gesorgt haben; wenn er uns dieses Wunder ver- bergen will, so brauchen wir uns deshalb nicht für weniger gelehrt zu halten. Dann aber unternimmt Lubin doch einen Ver- such, jene Verbindung der Atome durch eine Hypothese einiger- maßen begreiflich zu machen. Punkte werden untereinander nicht per partes (denn Teile haben sie nicht), sondern per totum zusammengesetzt, so daß sie ganz Eins sind. Zwei so vereinte Punkte, meint Lubin, machen ein corpusculum aus; jedenfalls unterscheiden sie sich von einem einfachen Punkte, denn der zusammengesetzte kann bereits in zwei Teile zerlegt werden. Für die sinnliche Anschauung wird allerdings zwischen dem einfachen und dem zusammengesetzten Punkte kein Unterschied sein, das Denken aber kann diesen Unterschied wahrnehmen. In gleicher Weise kann man sich, wie ein Korpuskel zweiter Ordnung, auch ein solches dritter und vierter Ordnung denken, in welchem drei oder vier Punkte zusammengefallen sind, wäh- rend der einfache Punkt als das Korpuskel erster Ordnung 1 A. a. O. c. XIV. p. 171.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/424
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/424>, abgerufen am 18.05.2024.