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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Intensive Größe in Physik und Mathematik.
intensive Größe nennen, weil sie auf dem Grundsatze der
Realität (Variabilität) beruht, so ist dagegen nichts einzuwenden.
Man muß nur klar darüber sein, daß diese in der Mathematik
oder Phoronomie durch ein Differenzial dy (= f' (x) dx) oder
ds (= f' (t) dt) definierte intensive Größe eine ganz andere ist,
als die in der Physik oder Dynamik als Geschwindigkeit oder
Beschleunigung definierte intensive Größe, welche ein Maß
für die sinnliche Empfindung enthält. Im ersten Falle handelt
es sich um die Veränderung von geometrischen, im letzteren
um solche von dynamischen Größen; erstere ist durch die
Funktionalbeziehung allein realisiert, letztere bedarf zur Reali-
sierung auch noch der Kausalität und eben darum auch der
Substanzialität. Daher gibt es Atome nur in der Physik, nicht
in der Mathematik, welche auf kausale Abhängigkeit und
Wechselwirkung von Substanzen nicht Rücksicht zu nehmen
hat. In der Kontinuität des Raumes liegt für die begriffliche
Konstitution der mathematischen Gesetze nicht nur kein Be-
dürfnis zur Atomistik vor, sondern diese ist geradezu unmöglich,
weil die Berechtigung der Atomistik nur aus der Notwendig-
keit fließt, mit welcher die gesamten Denkmittel zur Objek-
tivierung der Sinnlichkeit und zur Erzeugung der Naturwissen-
schaft zusammenwirken, während in der Mathematik Quantität
und Variabilität allein in Betracht kommen. Mathematik stellt
ja denjenigen Teil der Wirklichkeit vor, welcher nach Ab-
trennung der substanziellen und kausalen Beziehungen (Kant
würde sagen: der dynamischen Kategorien) übrig bleibt; hier
kann also die Trennung, welche der Atombegriff zwischen
mathematischem und physischem Körper bezeichnet, nicht noch
einmal vollzogen werden.

Indessen mochte Bruno bei seiner mathematischen Ato-
mistik etwas Ähnliches vorschweben, wie es die Differenzial-
rechnung leistet, die Aufsuchung eines Prinzips, welches die
Gesetzlichkeit der Gestaltung für die kontinuierliche Größe im
Unendlichkleinen enthält. Doch kann diese Fixierung der
Tendenz zur Veränderung nicht durch eine Substanzialisierung
des Kontinuums gelingen, sondern nur durch das Denkmittel
der Variabilität; und nicht der Raum mußte starr, sondern
auch die Zahl flüssig gemacht werden. Indem Bruno seine für
die physikalische Atomistik wertvollen Bestimmungen auf den

Intensive Größe in Physik und Mathematik.
intensive Größe nennen, weil sie auf dem Grundsatze der
Realität (Variabilität) beruht, so ist dagegen nichts einzuwenden.
Man muß nur klar darüber sein, daß diese in der Mathematik
oder Phoronomie durch ein Differenzial dy (= f′ (x) dx) oder
ds (= f′ (t) dt) definierte intensive Größe eine ganz andere ist,
als die in der Physik oder Dynamik als Geschwindigkeit oder
Beschleunigung definierte intensive Größe, welche ein Maß
für die sinnliche Empfindung enthält. Im ersten Falle handelt
es sich um die Veränderung von geometrischen, im letzteren
um solche von dynamischen Größen; erstere ist durch die
Funktionalbeziehung allein realisiert, letztere bedarf zur Reali-
sierung auch noch der Kausalität und eben darum auch der
Substanzialität. Daher gibt es Atome nur in der Physik, nicht
in der Mathematik, welche auf kausale Abhängigkeit und
Wechselwirkung von Substanzen nicht Rücksicht zu nehmen
hat. In der Kontinuität des Raumes liegt für die begriffliche
Konstitution der mathematischen Gesetze nicht nur kein Be-
dürfnis zur Atomistik vor, sondern diese ist geradezu unmöglich,
weil die Berechtigung der Atomistik nur aus der Notwendig-
keit fließt, mit welcher die gesamten Denkmittel zur Objek-
tivierung der Sinnlichkeit und zur Erzeugung der Naturwissen-
schaft zusammenwirken, während in der Mathematik Quantität
und Variabilität allein in Betracht kommen. Mathematik stellt
ja denjenigen Teil der Wirklichkeit vor, welcher nach Ab-
trennung der substanziellen und kausalen Beziehungen (Kant
würde sagen: der dynamischen Kategorien) übrig bleibt; hier
kann also die Trennung, welche der Atombegriff zwischen
mathematischem und physischem Körper bezeichnet, nicht noch
einmal vollzogen werden.

Indessen mochte Bruno bei seiner mathematischen Ato-
mistik etwas Ähnliches vorschweben, wie es die Differenzial-
rechnung leistet, die Aufsuchung eines Prinzips, welches die
Gesetzlichkeit der Gestaltung für die kontinuierliche Größe im
Unendlichkleinen enthält. Doch kann diese Fixierung der
Tendenz zur Veränderung nicht durch eine Substanzialisierung
des Kontinuums gelingen, sondern nur durch das Denkmittel
der Variabilität; und nicht der Raum mußte starr, sondern
auch die Zahl flüssig gemacht werden. Indem Bruno seine für
die physikalische Atomistik wertvollen Bestimmungen auf den

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[386/0404] Intensive Größe in Physik und Mathematik. intensive Größe nennen, weil sie auf dem Grundsatze der Realität (Variabilität) beruht, so ist dagegen nichts einzuwenden. Man muß nur klar darüber sein, daß diese in der Mathematik oder Phoronomie durch ein Differenzial dy (= f′ (x) dx) oder ds (= f′ (t) dt) definierte intensive Größe eine ganz andere ist, als die in der Physik oder Dynamik als Geschwindigkeit oder Beschleunigung definierte intensive Größe, welche ein Maß für die sinnliche Empfindung enthält. Im ersten Falle handelt es sich um die Veränderung von geometrischen, im letzteren um solche von dynamischen Größen; erstere ist durch die Funktionalbeziehung allein realisiert, letztere bedarf zur Reali- sierung auch noch der Kausalität und eben darum auch der Substanzialität. Daher gibt es Atome nur in der Physik, nicht in der Mathematik, welche auf kausale Abhängigkeit und Wechselwirkung von Substanzen nicht Rücksicht zu nehmen hat. In der Kontinuität des Raumes liegt für die begriffliche Konstitution der mathematischen Gesetze nicht nur kein Be- dürfnis zur Atomistik vor, sondern diese ist geradezu unmöglich, weil die Berechtigung der Atomistik nur aus der Notwendig- keit fließt, mit welcher die gesamten Denkmittel zur Objek- tivierung der Sinnlichkeit und zur Erzeugung der Naturwissen- schaft zusammenwirken, während in der Mathematik Quantität und Variabilität allein in Betracht kommen. Mathematik stellt ja denjenigen Teil der Wirklichkeit vor, welcher nach Ab- trennung der substanziellen und kausalen Beziehungen (Kant würde sagen: der dynamischen Kategorien) übrig bleibt; hier kann also die Trennung, welche der Atombegriff zwischen mathematischem und physischem Körper bezeichnet, nicht noch einmal vollzogen werden. Indessen mochte Bruno bei seiner mathematischen Ato- mistik etwas Ähnliches vorschweben, wie es die Differenzial- rechnung leistet, die Aufsuchung eines Prinzips, welches die Gesetzlichkeit der Gestaltung für die kontinuierliche Größe im Unendlichkleinen enthält. Doch kann diese Fixierung der Tendenz zur Veränderung nicht durch eine Substanzialisierung des Kontinuums gelingen, sondern nur durch das Denkmittel der Variabilität; und nicht der Raum mußte starr, sondern auch die Zahl flüssig gemacht werden. Indem Bruno seine für die physikalische Atomistik wertvollen Bestimmungen auf den

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/404>, abgerufen am 22.11.2024.