entstandene Körper nur für die sinnliche Anschauung.1 Die Verschiedenheit der einzelnen, völlig getrennten Atome der Bestandteile hindert jedoch keineswegs, daß der ganze Körper ein Kontinuum ist. Im Schlamme sind Erde und Wasser für sich betrachtet auch nicht Kontinua, denn ihre einzelnen Teil- chen trennen sich gegenseitig; nichtsdestoweniger ist in dem schlammigen Körper als Ganzem die Kontinuität nicht unter- brochen.2
Mit dieser atomistischen Auffassung der Körperwelt hat Bruno den Bann des scholastischen Mischungs- und Formbe- griffs überwunden. Die Sorge um die einheitliche Form des Kompositums ist gefallen. Das Kontinuum besteht nur für die Sinnlichkeit; der Verstand sieht im zusammengesetzten Körper die unzählbare Menge der Atome; aber gerade darin beruht die Einheitlichkeit des Körpers, denn das Minimum ist ja in allen Atomen als umfassende Substanz ein und dasselbe.
5. Kritik der Atomistik Brunos.
Bruno hat durch den erkenntnistheoretischen Ausgangs- punkt seiner Monadologie sich das bleibende Verdienst erworben, den Atombegriff klar und widerspruchslos festgestellt zu haben. So lange das Atom nur als letztes der Teilung gilt, bleibt es immer fraglich, ob man auf ein solches kommen müsse; erst die Einsicht, daß es ein Erfordernis der Erkenntnis ist, ein Erstes der Zusammensetzung zu haben, macht den Atombegriff zu einem notwendigen. Und dies lehrt Bruno; es muß ein ursprüngliches Ganzes geben, mit welchem die Be- trachtung anfängt; dies ist das Atom. Er erkennt weiter die Relativität des Atombegriffs. Die Größe der ursprüng- lichen Ganzen als Elemente der Zusammensetzung ist willkür- lich und richtet sich nach den Umständen. Nur soweit braucht die Teilung fortgesetzt zu werden, bis die Elemente für den
1De min. II, 9. p. 85. Inalterabilibus (ergo) impenetrabilibusque existentibus atomis, non est quod vere proprieque miscibile possimus intelligere, ast cor- po rum quaedam dum secundum subtiliores partes coarcevantur, in tertiam videntur quandam speciem transire. Sed veritas ista extra sensum non excurrit. (S. auch Anm. 1 S. 378.)
2De l'infinito, Wagner II p. 42.
Beurteilung der Atomistik Brunos.
entstandene Körper nur für die sinnliche Anschauung.1 Die Verschiedenheit der einzelnen, völlig getrennten Atome der Bestandteile hindert jedoch keineswegs, daß der ganze Körper ein Kontinuum ist. Im Schlamme sind Erde und Wasser für sich betrachtet auch nicht Kontinua, denn ihre einzelnen Teil- chen trennen sich gegenseitig; nichtsdestoweniger ist in dem schlammigen Körper als Ganzem die Kontinuität nicht unter- brochen.2
Mit dieser atomistischen Auffassung der Körperwelt hat Bruno den Bann des scholastischen Mischungs- und Formbe- griffs überwunden. Die Sorge um die einheitliche Form des Kompositums ist gefallen. Das Kontinuum besteht nur für die Sinnlichkeit; der Verstand sieht im zusammengesetzten Körper die unzählbare Menge der Atome; aber gerade darin beruht die Einheitlichkeit des Körpers, denn das Minimum ist ja in allen Atomen als umfassende Substanz ein und dasselbe.
5. Kritik der Atomistik Brunos.
Bruno hat durch den erkenntnistheoretischen Ausgangs- punkt seiner Monadologie sich das bleibende Verdienst erworben, den Atombegriff klar und widerspruchslos festgestellt zu haben. So lange das Atom nur als letztes der Teilung gilt, bleibt es immer fraglich, ob man auf ein solches kommen müsse; erst die Einsicht, daß es ein Erfordernis der Erkenntnis ist, ein Erstes der Zusammensetzung zu haben, macht den Atombegriff zu einem notwendigen. Und dies lehrt Bruno; es muß ein ursprüngliches Ganzes geben, mit welchem die Be- trachtung anfängt; dies ist das Atom. Er erkennt weiter die Relativität des Atombegriffs. Die Größe der ursprüng- lichen Ganzen als Elemente der Zusammensetzung ist willkür- lich und richtet sich nach den Umständen. Nur soweit braucht die Teilung fortgesetzt zu werden, bis die Elemente für den
1De min. II, 9. p. 85. Inalterabilibus (ergo) impenetrabilibusque existentibus atomis, non est quod vere proprieque miscibile possimus intelligere, ast cor- po rum quaedam dum secundum subtiliores partes coarcevantur, in tertiam videntur quandam speciem transire. Sed veritas ista extra sensum non excurrit. (S. auch Anm. 1 S. 378.)
2De l’infinito, Wagner II p. 42.
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Beurteilung der Atomistik Brunos.
entstandene Körper nur für die sinnliche Anschauung. 1 Die
Verschiedenheit der einzelnen, völlig getrennten Atome der
Bestandteile hindert jedoch keineswegs, daß der ganze Körper
ein Kontinuum ist. Im Schlamme sind Erde und Wasser für
sich betrachtet auch nicht Kontinua, denn ihre einzelnen Teil-
chen trennen sich gegenseitig; nichtsdestoweniger ist in dem
schlammigen Körper als Ganzem die Kontinuität nicht unter-
brochen. 2
Mit dieser atomistischen Auffassung der Körperwelt hat
Bruno den Bann des scholastischen Mischungs- und Formbe-
griffs überwunden. Die Sorge um die einheitliche Form des
Kompositums ist gefallen. Das Kontinuum besteht nur für die
Sinnlichkeit; der Verstand sieht im zusammengesetzten Körper
die unzählbare Menge der Atome; aber gerade darin beruht
die Einheitlichkeit des Körpers, denn das Minimum ist ja in
allen Atomen als umfassende Substanz ein und dasselbe.
5. Kritik der Atomistik Brunos.
Bruno hat durch den erkenntnistheoretischen Ausgangs-
punkt seiner Monadologie sich das bleibende Verdienst erworben,
den Atombegriff klar und widerspruchslos festgestellt zu haben.
So lange das Atom nur als letztes der Teilung gilt, bleibt es
immer fraglich, ob man auf ein solches kommen müsse; erst
die Einsicht, daß es ein Erfordernis der Erkenntnis ist, ein
Erstes der Zusammensetzung zu haben, macht den
Atombegriff zu einem notwendigen. Und dies lehrt Bruno;
es muß ein ursprüngliches Ganzes geben, mit welchem die Be-
trachtung anfängt; dies ist das Atom. Er erkennt weiter die
Relativität des Atombegriffs. Die Größe der ursprüng-
lichen Ganzen als Elemente der Zusammensetzung ist willkür-
lich und richtet sich nach den Umständen. Nur soweit braucht
die Teilung fortgesetzt zu werden, bis die Elemente für den
1 De min. II, 9. p. 85. Inalterabilibus (ergo) impenetrabilibusque existentibus
atomis, non est quod vere proprieque miscibile possimus intelligere, ast cor-
po rum quaedam dum secundum subtiliores partes coarcevantur, in tertiam
videntur quandam speciem transire. Sed veritas ista extra sensum non
excurrit. (S. auch Anm. 1 S. 378.)
2 De l’infinito, Wagner II p. 42.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/399>, abgerufen am 15.08.2024.
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