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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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G. Bruno: Notwendigkeit und Wesen des Minimums.
überhaupt nichts, ohne Einheit nichts Zählbares und nichts
Zählendes. Jede Gattung des Seins muß in sich ein be-
stimmtes Minimum besitzen, ohne welches keine graduelle Ab-
stufung und keine Anlegung eines Maßes möglich wäre.1 Auf
ihm beruht die Ordnung der Natur, aus ihm setzt die Natur
alles zusammen und löst durch dasselbe die Dinge wieder in
ihre kleinsten Teile auf. Dem Verfahren der Natur folgt die
Kunst; wie die Naturvorgänge in einem Zusammensetzen und
Auflösen aus dem Minimum und in das Minimum bestehen, so
erfordert auch die Betrachtung und das Denken des Menschen
ein solches Element der Zusammensetzung und Auflösung.2
Das Minimum ist also das Prinzip, ohne welches ein Sein
überhaupt nicht wäre. Es enthält und entsendet gewisser-
maßen den Weltgeist, welcher ohne Beschränkung durch die
Masse alles durchdringt und allen Dingen sein Zeichen auf-
drückt; durch diese weltgestaltende und weltordnende Wirkung
ist das Minimum Wesen und Materie der Dinge.3

In seiner Eigenschaft als Grundlage alles Seins wird das
Minimum aber Eines mit dem Maximum, das Kleinste wird
zum Größten, denn es schließt alles Endliche in sich, dessen
Element es ist. Daher ist das Minimum erhaben über jedes
endliche Sein und umfaßt jedes besondre Sein; es ist un-
veränderlich, einfach, ohne inneren Gegensatz, immer sich
selbst gleich, durch keine Kraft erzeugt, durch keine
zerstörbar, unwandelbar und ewig.4 Das Minimum ist nicht
nur Element der Zusammensetzung und Gestaltung, sondern
auch selbst das Zusammensetzende, Gestaltende, Vermehrende;5
es ist zu gleicher Zeit Endziel und bewirkende Ursache.6 Keim
und Leben jedes Dinges ist in ihm enthalten. Aus ihm heraus
entwickeln sich die Kräfte und Massen der Natur. Insofern
ist es das Mächtigste von allem, weil es Größe, Beweggrund
und Wirkungsfähigkeit von allem umschließt. Und daher

1 De minimo, 1. IV c. 2. (mit der Überschrift: Ex minimo crescit et in
minimum omnis magnitudo extenuatur), Schol. p. 102.
2 De min. I c. 2. v. 16--24 f.
3 A. a. O. v. 7--10.
4 A. a. O. v. 35--37.
5 De min. I. c. 4. Schol. p. 16.
6 S. Anm. 2, S. 365.

G. Bruno: Notwendigkeit und Wesen des Minimums.
überhaupt nichts, ohne Einheit nichts Zählbares und nichts
Zählendes. Jede Gattung des Seins muß in sich ein be-
stimmtes Minimum besitzen, ohne welches keine graduelle Ab-
stufung und keine Anlegung eines Maßes möglich wäre.1 Auf
ihm beruht die Ordnung der Natur, aus ihm setzt die Natur
alles zusammen und löst durch dasselbe die Dinge wieder in
ihre kleinsten Teile auf. Dem Verfahren der Natur folgt die
Kunst; wie die Naturvorgänge in einem Zusammensetzen und
Auflösen aus dem Minimum und in das Minimum bestehen, so
erfordert auch die Betrachtung und das Denken des Menschen
ein solches Element der Zusammensetzung und Auflösung.2
Das Minimum ist also das Prinzip, ohne welches ein Sein
überhaupt nicht wäre. Es enthält und entsendet gewisser-
maßen den Weltgeist, welcher ohne Beschränkung durch die
Masse alles durchdringt und allen Dingen sein Zeichen auf-
drückt; durch diese weltgestaltende und weltordnende Wirkung
ist das Minimum Wesen und Materie der Dinge.3

In seiner Eigenschaft als Grundlage alles Seins wird das
Minimum aber Eines mit dem Maximum, das Kleinste wird
zum Größten, denn es schließt alles Endliche in sich, dessen
Element es ist. Daher ist das Minimum erhaben über jedes
endliche Sein und umfaßt jedes besondre Sein; es ist un-
veränderlich, einfach, ohne inneren Gegensatz, immer sich
selbst gleich, durch keine Kraft erzeugt, durch keine
zerstörbar, unwandelbar und ewig.4 Das Minimum ist nicht
nur Element der Zusammensetzung und Gestaltung, sondern
auch selbst das Zusammensetzende, Gestaltende, Vermehrende;5
es ist zu gleicher Zeit Endziel und bewirkende Ursache.6 Keim
und Leben jedes Dinges ist in ihm enthalten. Aus ihm heraus
entwickeln sich die Kräfte und Massen der Natur. Insofern
ist es das Mächtigste von allem, weil es Größe, Beweggrund
und Wirkungsfähigkeit von allem umschließt. Und daher

1 De minimo, 1. IV c. 2. (mit der Überschrift: Ex minimo crescit et in
minimum omnis magnitudo extenuatur), Schol. p. 102.
2 De min. I c. 2. v. 16—24 f.
3 A. a. O. v. 7—10.
4 A. a. O. v. 35—37.
5 De min. I. c. 4. Schol. p. 16.
6 S. Anm. 2, S. 365.
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[366/0384] G. Bruno: Notwendigkeit und Wesen des Minimums. überhaupt nichts, ohne Einheit nichts Zählbares und nichts Zählendes. Jede Gattung des Seins muß in sich ein be- stimmtes Minimum besitzen, ohne welches keine graduelle Ab- stufung und keine Anlegung eines Maßes möglich wäre. 1 Auf ihm beruht die Ordnung der Natur, aus ihm setzt die Natur alles zusammen und löst durch dasselbe die Dinge wieder in ihre kleinsten Teile auf. Dem Verfahren der Natur folgt die Kunst; wie die Naturvorgänge in einem Zusammensetzen und Auflösen aus dem Minimum und in das Minimum bestehen, so erfordert auch die Betrachtung und das Denken des Menschen ein solches Element der Zusammensetzung und Auflösung. 2 Das Minimum ist also das Prinzip, ohne welches ein Sein überhaupt nicht wäre. Es enthält und entsendet gewisser- maßen den Weltgeist, welcher ohne Beschränkung durch die Masse alles durchdringt und allen Dingen sein Zeichen auf- drückt; durch diese weltgestaltende und weltordnende Wirkung ist das Minimum Wesen und Materie der Dinge. 3 In seiner Eigenschaft als Grundlage alles Seins wird das Minimum aber Eines mit dem Maximum, das Kleinste wird zum Größten, denn es schließt alles Endliche in sich, dessen Element es ist. Daher ist das Minimum erhaben über jedes endliche Sein und umfaßt jedes besondre Sein; es ist un- veränderlich, einfach, ohne inneren Gegensatz, immer sich selbst gleich, durch keine Kraft erzeugt, durch keine zerstörbar, unwandelbar und ewig. 4 Das Minimum ist nicht nur Element der Zusammensetzung und Gestaltung, sondern auch selbst das Zusammensetzende, Gestaltende, Vermehrende; 5 es ist zu gleicher Zeit Endziel und bewirkende Ursache. 6 Keim und Leben jedes Dinges ist in ihm enthalten. Aus ihm heraus entwickeln sich die Kräfte und Massen der Natur. Insofern ist es das Mächtigste von allem, weil es Größe, Beweggrund und Wirkungsfähigkeit von allem umschließt. Und daher 1 De minimo, 1. IV c. 2. (mit der Überschrift: Ex minimo crescit et in minimum omnis magnitudo extenuatur), Schol. p. 102. 2 De min. I c. 2. v. 16—24 f. 3 A. a. O. v. 7—10. 4 A. a. O. v. 35—37. 5 De min. I. c. 4. Schol. p. 16. 6 S. Anm. 2, S. 365.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/384>, abgerufen am 22.11.2024.