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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Campanella: Zwei unverwandelbare Elemente.
Forschung, verliert sich aber in poetischer Auffassung des
Weltgetriebes. Wie Telesio kennt er nur zwei Prinzipien,
Wärme und Kälte, welche sich durch Liebe und Abneigung
bewegen. Ihnen gegenüber verhält sich die Materie bloß lei-
dend. Sie ist ungestaltet, aber der Zusammenziehung und Aus-
dehnung, Trennung und Vereinigung fähig. Für die Einbildungs-
kraft ist sie ins Unendliche, für die Sinne bis zu den kleinsten
Atomen, die als Sonnenstäubchen sichtbar werden, teilbar.1 Das
Licht ist unkörperlich, es durchdringt die durchsichtigen Körper
nicht bloß mechanisch, durch die Poren, sondern geistig (dy-
namisch), durch eine unkörperliche Kraft. Wäre es körperlich,
so müßte es in einem Saale, den man erhellt hat, verbleiben,
auch nachdem man den weiteren Zutritt des Lichtes abge-
schlossen. Wie das Licht und die Wärme sind auch Finster-
nis und Kälte etwas Positives. Die Materie ist träge, unsicht-
bar, schwarz und schwer. Wärme und Kälte sind ihr als Ur-
kräfte angeboren, aus ihrem Konflikte entstanden alle Körper.

Materie ist dasjenige, woraus ursprünglich (primitus) etwas
wird, Element aber dasjenige, woraus primitus et proprie etwas
zusammengesetzt und worein es aufgelöst wird, wie die Rede
aus Buchstaben besteht und in dieselben zerfällt. Die Ver-
bindung der Elemente ist Zusammensetzung; ein Element
selbst ist zwar etwas Verursachtes, nicht aber wieder etwas
Zusammengesetztes.2 Die Zahl der Elemente beträgt nicht
vier, sondern zwei; Feuer und Erde, entsprechend den Prinzipien
der Wärme und Kälte, sind die einzigen Elemente. Diese bleiben
immer unverändert und verwandeln sich nicht ineinander.
Leere Räume, welche es nur durch Gewalt geben kann, und
Poren will Campanella nicht anerkennen.3 Der Raum hat die
Fähigkeit und das Streben,4 die Körper an sich zu ziehen, er
freut sich ihrer gegenseitigen Berührung. Die Verdünnung er-
folgt allerdings durch Auseinandertreten der Teile, aber nicht
durch ein Auseinanderrücken von Atomen und Zwischenfügung
von leeren Räumen, sondern durch stetige Ausdehnung nach

1 De rer. nat. ps. I c. 1. art. 3. p. 6.
2 Metaphys. l. II c. 5 art. 6. p. 190 f., art. 8. p. 197 f.
3 De sensu rerum I c. 9. p. 35.
4 De sensu rer. I c. 12. p. 40. "non quidem instrumentis, sed adpetitivo
sensu."

Campanella: Zwei unverwandelbare Elemente.
Forschung, verliert sich aber in poetischer Auffassung des
Weltgetriebes. Wie Telesio kennt er nur zwei Prinzipien,
Wärme und Kälte, welche sich durch Liebe und Abneigung
bewegen. Ihnen gegenüber verhält sich die Materie bloß lei-
dend. Sie ist ungestaltet, aber der Zusammenziehung und Aus-
dehnung, Trennung und Vereinigung fähig. Für die Einbildungs-
kraft ist sie ins Unendliche, für die Sinne bis zu den kleinsten
Atomen, die als Sonnenstäubchen sichtbar werden, teilbar.1 Das
Licht ist unkörperlich, es durchdringt die durchsichtigen Körper
nicht bloß mechanisch, durch die Poren, sondern geistig (dy-
namisch), durch eine unkörperliche Kraft. Wäre es körperlich,
so müßte es in einem Saale, den man erhellt hat, verbleiben,
auch nachdem man den weiteren Zutritt des Lichtes abge-
schlossen. Wie das Licht und die Wärme sind auch Finster-
nis und Kälte etwas Positives. Die Materie ist träge, unsicht-
bar, schwarz und schwer. Wärme und Kälte sind ihr als Ur-
kräfte angeboren, aus ihrem Konflikte entstanden alle Körper.

Materie ist dasjenige, woraus ursprünglich (primitus) etwas
wird, Element aber dasjenige, woraus primitus et proprie etwas
zusammengesetzt und worein es aufgelöst wird, wie die Rede
aus Buchstaben besteht und in dieselben zerfällt. Die Ver-
bindung der Elemente ist Zusammensetzung; ein Element
selbst ist zwar etwas Verursachtes, nicht aber wieder etwas
Zusammengesetztes.2 Die Zahl der Elemente beträgt nicht
vier, sondern zwei; Feuer und Erde, entsprechend den Prinzipien
der Wärme und Kälte, sind die einzigen Elemente. Diese bleiben
immer unverändert und verwandeln sich nicht ineinander.
Leere Räume, welche es nur durch Gewalt geben kann, und
Poren will Campanella nicht anerkennen.3 Der Raum hat die
Fähigkeit und das Streben,4 die Körper an sich zu ziehen, er
freut sich ihrer gegenseitigen Berührung. Die Verdünnung er-
folgt allerdings durch Auseinandertreten der Teile, aber nicht
durch ein Auseinanderrücken von Atomen und Zwischenfügung
von leeren Räumen, sondern durch stetige Ausdehnung nach

1 De rer. nat. ps. I c. 1. art. 3. p. 6.
2 Metaphys. l. II c. 5 art. 6. p. 190 f., art. 8. p. 197 f.
3 De sensu rerum I c. 9. p. 35.
4 De sensu rer. I c. 12. p. 40. „non quidem instrumentis, sed adpetitivo
sensu.‟
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[341/0359] Campanella: Zwei unverwandelbare Elemente. Forschung, verliert sich aber in poetischer Auffassung des Weltgetriebes. Wie Telesio kennt er nur zwei Prinzipien, Wärme und Kälte, welche sich durch Liebe und Abneigung bewegen. Ihnen gegenüber verhält sich die Materie bloß lei- dend. Sie ist ungestaltet, aber der Zusammenziehung und Aus- dehnung, Trennung und Vereinigung fähig. Für die Einbildungs- kraft ist sie ins Unendliche, für die Sinne bis zu den kleinsten Atomen, die als Sonnenstäubchen sichtbar werden, teilbar. 1 Das Licht ist unkörperlich, es durchdringt die durchsichtigen Körper nicht bloß mechanisch, durch die Poren, sondern geistig (dy- namisch), durch eine unkörperliche Kraft. Wäre es körperlich, so müßte es in einem Saale, den man erhellt hat, verbleiben, auch nachdem man den weiteren Zutritt des Lichtes abge- schlossen. Wie das Licht und die Wärme sind auch Finster- nis und Kälte etwas Positives. Die Materie ist träge, unsicht- bar, schwarz und schwer. Wärme und Kälte sind ihr als Ur- kräfte angeboren, aus ihrem Konflikte entstanden alle Körper. Materie ist dasjenige, woraus ursprünglich (primitus) etwas wird, Element aber dasjenige, woraus primitus et proprie etwas zusammengesetzt und worein es aufgelöst wird, wie die Rede aus Buchstaben besteht und in dieselben zerfällt. Die Ver- bindung der Elemente ist Zusammensetzung; ein Element selbst ist zwar etwas Verursachtes, nicht aber wieder etwas Zusammengesetztes. 2 Die Zahl der Elemente beträgt nicht vier, sondern zwei; Feuer und Erde, entsprechend den Prinzipien der Wärme und Kälte, sind die einzigen Elemente. Diese bleiben immer unverändert und verwandeln sich nicht ineinander. Leere Räume, welche es nur durch Gewalt geben kann, und Poren will Campanella nicht anerkennen. 3 Der Raum hat die Fähigkeit und das Streben, 4 die Körper an sich zu ziehen, er freut sich ihrer gegenseitigen Berührung. Die Verdünnung er- folgt allerdings durch Auseinandertreten der Teile, aber nicht durch ein Auseinanderrücken von Atomen und Zwischenfügung von leeren Räumen, sondern durch stetige Ausdehnung nach 1 De rer. nat. ps. I c. 1. art. 3. p. 6. 2 Metaphys. l. II c. 5 art. 6. p. 190 f., art. 8. p. 197 f. 3 De sensu rerum I c. 9. p. 35. 4 De sensu rer. I c. 12. p. 40. „non quidem instrumentis, sed adpetitivo sensu.‟

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/359>, abgerufen am 22.11.2024.