Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Dionysius: Aus Atomen nichts Zweckmäßiges.
woher der unsagbare Kreislauf der Himmelskörper kommt,
da ja nicht ein einziger Haufen Atome planlos wie eine Schleu-
der herumgedreht wird, sondern der stattliche Rundtanz gesetz-
und gleichmässig dahinschreitet und im Kreise sich bewegt.
Wie kommt es, daß die ungeordneten, einsichtslosen und unter-
einander unbekannten Atome alle miteinander dahinziehen?"

Noch viel unerklärlicher aber bleibt die zweckvolle Ein-
richtung des Menschen. "Wieviel und was für Atome hat der
Vater des Epikur ausfließen lassen, als er den Epikur erzeugte?
Wie wurden sie, als sie in seiner Mutter Schoß eingeschlossen
waren, verbunden, gestaltet, geformt, bewegt und vermehrt?"
Dionysius schildert nunmehr die Zweckmäßigkeit der mensch-
lichen Organe und ihr wohlgeordnetes Zusammenwirken. Alles
dieses soll die vernunftlose Menge der Atome bewirkt haben.
"Aber jene können, wenn sie zusammenkommen, weder ein
thönernes Bild formen, noch eine steinerne Figur meißeln,
noch ein goldenes oder silbernes Götterbild gießen und zu-
sammenstellen; sondern diese Künste und Fertigkeiten sind
von Menschen erfunden worden. Wie sollten nun von Dingen,
deren Abbilder und Zeichnungen nicht ohne Weisheit herge-
stellt werden, die wahren Urbilder von selbst entstanden sein?
Woher hat der Philosoph seine Seele, seinen Verstand und
seine Vernunft? Hat er sie etwa von den unbeseelten, ver-
stand- und vernunftlosen Atomen erhalten? Und hat ihm
jedes von ihnen eine Erkenntnis und Lehre eingehaucht?"
Es ist also ganz unmöglich, daß die Atomisten die geistigen
Thätigkeiten und Interessen der Menschen zu begründen vermögen.
Woher wollen sie etwas von den Göttern wissen, da diese jeder
Erfahrung unzugänglich sind? So fürchtet denn auch Epikur
trotz seiner Beteuerungen keineswegs die Götter, er hat selbst
keine Scheu vor dem Eide, sondern seine Schwüre "beim
Zeus!" "bei den Göttern!" sind nur "ein nichtiges, lügnerisches,
unnützes und nichtssagendes Anhängsel zu seinen Worten,
wie wenn er sich räusperte, ausspie, das Gesicht verzöge oder
die Hand bewegte." Denn diese Anrufung der Götter war bei
ihm eine sinnlose und nichtige Heuchelei, hervorgerufen durch
die Furcht, den Athenern als Atheist zu erscheinen und das
Schicksal des Sokrates zu erleiden. Niemals hat er ja die
bunte Menge der lebenden Geschöpfe, mit denen die Weisheit

Laßwitz. 2

Dionysius: Aus Atomen nichts Zweckmäßiges.
woher der unsagbare Kreislauf der Himmelskörper kommt,
da ja nicht ein einziger Haufen Atome planlos wie eine Schleu-
der herumgedreht wird, sondern der stattliche Rundtanz gesetz-
und gleichmässig dahinschreitet und im Kreise sich bewegt.
Wie kommt es, daß die ungeordneten, einsichtslosen und unter-
einander unbekannten Atome alle miteinander dahinziehen?‟

Noch viel unerklärlicher aber bleibt die zweckvolle Ein-
richtung des Menschen. „Wieviel und was für Atome hat der
Vater des Epikur ausfließen lassen, als er den Epikur erzeugte?
Wie wurden sie, als sie in seiner Mutter Schoß eingeschlossen
waren, verbunden, gestaltet, geformt, bewegt und vermehrt?‟
Dionysius schildert nunmehr die Zweckmäßigkeit der mensch-
lichen Organe und ihr wohlgeordnetes Zusammenwirken. Alles
dieses soll die vernunftlose Menge der Atome bewirkt haben.
„Aber jene können, wenn sie zusammenkommen, weder ein
thönernes Bild formen, noch eine steinerne Figur meißeln,
noch ein goldenes oder silbernes Götterbild gießen und zu-
sammenstellen; sondern diese Künste und Fertigkeiten sind
von Menschen erfunden worden. Wie sollten nun von Dingen,
deren Abbilder und Zeichnungen nicht ohne Weisheit herge-
stellt werden, die wahren Urbilder von selbst entstanden sein?
Woher hat der Philosoph seine Seele, seinen Verstand und
seine Vernunft? Hat er sie etwa von den unbeseelten, ver-
stand- und vernunftlosen Atomen erhalten? Und hat ihm
jedes von ihnen eine Erkenntnis und Lehre eingehaucht?‟
Es ist also ganz unmöglich, daß die Atomisten die geistigen
Thätigkeiten und Interessen der Menschen zu begründen vermögen.
Woher wollen sie etwas von den Göttern wissen, da diese jeder
Erfahrung unzugänglich sind? So fürchtet denn auch Epikur
trotz seiner Beteuerungen keineswegs die Götter, er hat selbst
keine Scheu vor dem Eide, sondern seine Schwüre „beim
Zeus!‟ „bei den Göttern!‟ sind nur „ein nichtiges, lügnerisches,
unnützes und nichtssagendes Anhängsel zu seinen Worten,
wie wenn er sich räusperte, ausspie, das Gesicht verzöge oder
die Hand bewegte.‟ Denn diese Anrufung der Götter war bei
ihm eine sinnlose und nichtige Heuchelei, hervorgerufen durch
die Furcht, den Athenern als Atheist zu erscheinen und das
Schicksal des Sokrates zu erleiden. Niemals hat er ja die
bunte Menge der lebenden Geschöpfe, mit denen die Weisheit

Laßwitz. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0035" n="17"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Dionysius</hi>: Aus Atomen nichts Zweckmäßiges.</fw><lb/>
woher der unsagbare Kreislauf der Himmelskörper kommt,<lb/>
da ja nicht ein einziger Haufen Atome planlos wie eine Schleu-<lb/>
der herumgedreht wird, sondern der stattliche Rundtanz gesetz-<lb/>
und gleichmässig dahinschreitet und im Kreise sich bewegt.<lb/>
Wie kommt es, daß die ungeordneten, einsichtslosen und unter-<lb/>
einander unbekannten Atome alle miteinander dahinziehen?&#x201F;</p><lb/>
            <p>Noch viel unerklärlicher aber bleibt die zweckvolle Ein-<lb/>
richtung des Menschen. &#x201E;Wieviel und was für Atome hat der<lb/>
Vater des <hi rendition="#k">Epikur</hi> ausfließen lassen, als er den <hi rendition="#k">Epikur</hi> erzeugte?<lb/>
Wie wurden sie, als sie in seiner Mutter Schoß eingeschlossen<lb/>
waren, verbunden, gestaltet, geformt, bewegt und vermehrt?&#x201F;<lb/><hi rendition="#k">Dionysius</hi> schildert nunmehr die Zweckmäßigkeit der mensch-<lb/>
lichen Organe und ihr wohlgeordnetes Zusammenwirken. Alles<lb/>
dieses soll die vernunftlose Menge der Atome bewirkt haben.<lb/>
&#x201E;Aber jene können, wenn sie zusammenkommen, weder ein<lb/>
thönernes Bild formen, noch eine steinerne Figur meißeln,<lb/>
noch ein goldenes oder silbernes Götterbild gießen und zu-<lb/>
sammenstellen; sondern diese Künste und Fertigkeiten sind<lb/>
von Menschen erfunden worden. Wie sollten nun von Dingen,<lb/>
deren Abbilder und Zeichnungen nicht ohne Weisheit herge-<lb/>
stellt werden, die wahren Urbilder von selbst entstanden sein?<lb/>
Woher hat der Philosoph seine Seele, seinen Verstand und<lb/>
seine Vernunft? Hat er sie etwa von den unbeseelten, ver-<lb/>
stand- und vernunftlosen Atomen erhalten? Und hat ihm<lb/>
jedes von ihnen eine Erkenntnis und Lehre eingehaucht?&#x201F;<lb/>
Es ist also ganz unmöglich, daß die Atomisten die geistigen<lb/>
Thätigkeiten und Interessen der Menschen zu begründen vermögen.<lb/>
Woher wollen sie etwas von den Göttern wissen, da diese jeder<lb/>
Erfahrung unzugänglich sind? So fürchtet denn auch Epikur<lb/>
trotz seiner Beteuerungen keineswegs die Götter, er hat selbst<lb/>
keine Scheu vor dem Eide, sondern seine Schwüre &#x201E;beim<lb/>
Zeus!&#x201F; &#x201E;bei den Göttern!&#x201F; sind nur &#x201E;ein nichtiges, lügnerisches,<lb/>
unnützes und nichtssagendes Anhängsel zu seinen Worten,<lb/>
wie wenn er sich räusperte, ausspie, das Gesicht verzöge oder<lb/>
die Hand bewegte.&#x201F; Denn diese Anrufung der Götter war bei<lb/>
ihm eine sinnlose und nichtige Heuchelei, hervorgerufen durch<lb/>
die Furcht, den Athenern als Atheist zu erscheinen und das<lb/>
Schicksal des <hi rendition="#k">Sokrates</hi> zu erleiden. Niemals hat er ja die<lb/>
bunte Menge der lebenden Geschöpfe, mit denen die Weisheit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Laßwitz. 2</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0035] Dionysius: Aus Atomen nichts Zweckmäßiges. woher der unsagbare Kreislauf der Himmelskörper kommt, da ja nicht ein einziger Haufen Atome planlos wie eine Schleu- der herumgedreht wird, sondern der stattliche Rundtanz gesetz- und gleichmässig dahinschreitet und im Kreise sich bewegt. Wie kommt es, daß die ungeordneten, einsichtslosen und unter- einander unbekannten Atome alle miteinander dahinziehen?‟ Noch viel unerklärlicher aber bleibt die zweckvolle Ein- richtung des Menschen. „Wieviel und was für Atome hat der Vater des Epikur ausfließen lassen, als er den Epikur erzeugte? Wie wurden sie, als sie in seiner Mutter Schoß eingeschlossen waren, verbunden, gestaltet, geformt, bewegt und vermehrt?‟ Dionysius schildert nunmehr die Zweckmäßigkeit der mensch- lichen Organe und ihr wohlgeordnetes Zusammenwirken. Alles dieses soll die vernunftlose Menge der Atome bewirkt haben. „Aber jene können, wenn sie zusammenkommen, weder ein thönernes Bild formen, noch eine steinerne Figur meißeln, noch ein goldenes oder silbernes Götterbild gießen und zu- sammenstellen; sondern diese Künste und Fertigkeiten sind von Menschen erfunden worden. Wie sollten nun von Dingen, deren Abbilder und Zeichnungen nicht ohne Weisheit herge- stellt werden, die wahren Urbilder von selbst entstanden sein? Woher hat der Philosoph seine Seele, seinen Verstand und seine Vernunft? Hat er sie etwa von den unbeseelten, ver- stand- und vernunftlosen Atomen erhalten? Und hat ihm jedes von ihnen eine Erkenntnis und Lehre eingehaucht?‟ Es ist also ganz unmöglich, daß die Atomisten die geistigen Thätigkeiten und Interessen der Menschen zu begründen vermögen. Woher wollen sie etwas von den Göttern wissen, da diese jeder Erfahrung unzugänglich sind? So fürchtet denn auch Epikur trotz seiner Beteuerungen keineswegs die Götter, er hat selbst keine Scheu vor dem Eide, sondern seine Schwüre „beim Zeus!‟ „bei den Göttern!‟ sind nur „ein nichtiges, lügnerisches, unnützes und nichtssagendes Anhängsel zu seinen Worten, wie wenn er sich räusperte, ausspie, das Gesicht verzöge oder die Hand bewegte.‟ Denn diese Anrufung der Götter war bei ihm eine sinnlose und nichtige Heuchelei, hervorgerufen durch die Furcht, den Athenern als Atheist zu erscheinen und das Schicksal des Sokrates zu erleiden. Niemals hat er ja die bunte Menge der lebenden Geschöpfe, mit denen die Weisheit Laßwitz. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/35
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/35>, abgerufen am 25.04.2024.