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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Paracelsus: Welt und Forschung.
hochstellt, gelehrt hatte, verdeckte und verdarb. "Und so ihr
schon Aristoteles selbst werendt und der Porphyrius und
Albertus, dorzu Avicenna, Galenus selbst, noch ist kein
Grund da, das Ihr einen Einigen Krancken darauff möchten
vertrösten. Dann wer will sich ein Lügnerey und Speculierung
vertrösten? Niemandts."1 Fort mit der Autorität, zurück zur
Natur, aus dem Bücherkram hinaus ins Freie, das ist die Lo-
sung des Paracelsus, die er mit scharfen Worten verkündet,
der er mit energischem Thun nachlebt.

Die Welt ist von Gott geschaffen aus dem Nichts, zunächst
als der ungeordnete, eigenschaftslose Limbus; aus diesem ist
sowohl die große als die kleine Welt, Universum wie Mensch,
herausgebildet.2 Und weil sie beide aus demselben Limbus
entstanden, so sind auch die Gesetze für beide Welten, Makro-
kosmus und Mikrokosmus dieselben. Daraus folgt einerseits,
daß die Natur des Menschen nur aus der Erforschung der
großen Welt erkannt werden kann,3 andrerseits aber, daß in
der großen Welt alles in ähnlicher Weise verläuft, wie im
Leben des einzelnen Menschen. Alles ist organisiert, und es
gibt keine Entstehung von außen her, sondern nur eine Ent-
wickelung von innen, nach Analogie des Samens, welchen die
ganze Welt und jedes Einzelwesen in sich trägt.4 Auf diese
Weise gewinnt die Welt bei Paracelsus die Selbständig-
keit
, welche sie besitzen muß, wenn ihre Gesetze unsrer
Erforschung zugänglich sein sollen. Diese Erforschung ist das
Edelste, was der Mensch auf Erden leisten und genießen kann;
bei der Scholastik freilich ist sie nicht zu finden.5

1 Ich benutze die Gesamtausgabe der Werke des Paracelsus von Huser,
Basel 1589. Die angezogene Stelle in Paragrani alterius Tractatus, II p. 115.
Vgl. auch p. 105 und p. 22, 32. Die letzteren gehören zu der minder be-
glaubigten Fassung des Werkes. Über die Zuverlässigkeit der Huserschen
Ausgabe vgl. Haeser, Gesch. d. Med. 2. Bd., S. 80 ff.; Eucken, Untersuchungen
z. Geschichte der älteren deutschen Philosophie
III.; Philosoph. Monatshefte XVI.
S. 321 ff. Leipz. 1880 u. Mook, Th. Paracelsus. München 1876, p. 21. Ich
citiere, wo ich keine besondere Bemerkung mache, nur solche Schriften, welche
aus eigenhändigen Büchern des Paracelsus stammen.
2 Vom Podagra. 1. Buch. IV p. 253.
3 Paramirum, B. 1. c. 1. I p. 72.
4 De meteoris c. III. VIII p. 188, 198. u. sonst oft. Vgl. hierüber bes.
Eucken a. a. O.
5 De generatione hominis. I p. 330.

Paracelsus: Welt und Forschung.
hochstellt, gelehrt hatte, verdeckte und verdarb. „Und so ihr
schon Aristoteles selbst werendt und der Porphyrius und
Albertus, dorzu Avicenna, Galenus selbst, noch ist kein
Grund da, das Ihr einen Einigen Krancken darauff möchten
vertrösten. Dann wer will sich ein Lügnerey und Speculierung
vertrösten? Niemandts.‟1 Fort mit der Autorität, zurück zur
Natur, aus dem Bücherkram hinaus ins Freie, das ist die Lo-
sung des Paracelsus, die er mit scharfen Worten verkündet,
der er mit energischem Thun nachlebt.

Die Welt ist von Gott geschaffen aus dem Nichts, zunächst
als der ungeordnete, eigenschaftslose Limbus; aus diesem ist
sowohl die große als die kleine Welt, Universum wie Mensch,
herausgebildet.2 Und weil sie beide aus demselben Limbus
entstanden, so sind auch die Gesetze für beide Welten, Makro-
kosmus und Mikrokosmus dieselben. Daraus folgt einerseits,
daß die Natur des Menschen nur aus der Erforschung der
großen Welt erkannt werden kann,3 andrerseits aber, daß in
der großen Welt alles in ähnlicher Weise verläuft, wie im
Leben des einzelnen Menschen. Alles ist organisiert, und es
gibt keine Entstehung von außen her, sondern nur eine Ent-
wickelung von innen, nach Analogie des Samens, welchen die
ganze Welt und jedes Einzelwesen in sich trägt.4 Auf diese
Weise gewinnt die Welt bei Paracelsus die Selbständig-
keit
, welche sie besitzen muß, wenn ihre Gesetze unsrer
Erforschung zugänglich sein sollen. Diese Erforschung ist das
Edelste, was der Mensch auf Erden leisten und genießen kann;
bei der Scholastik freilich ist sie nicht zu finden.5

1 Ich benutze die Gesamtausgabe der Werke des Paracelsus von Huser,
Basel 1589. Die angezogene Stelle in Paragrani alterius Tractatus, II p. 115.
Vgl. auch p. 105 und p. 22, 32. Die letzteren gehören zu der minder be-
glaubigten Fassung des Werkes. Über die Zuverlässigkeit der Huserschen
Ausgabe vgl. Haeser, Gesch. d. Med. 2. Bd., S. 80 ff.; Eucken, Untersuchungen
z. Geschichte der älteren deutschen Philosophie
III.; Philosoph. Monatshefte XVI.
S. 321 ff. Leipz. 1880 u. Mook, Th. Paracelsus. München 1876, p. 21. Ich
citiere, wo ich keine besondere Bemerkung mache, nur solche Schriften, welche
aus eigenhändigen Büchern des Paracelsus stammen.
2 Vom Podagra. 1. Buch. IV p. 253.
3 Paramirum, B. 1. c. 1. I p. 72.
4 De meteoris c. III. VIII p. 188, 198. u. sonst oft. Vgl. hierüber bes.
Eucken a. a. O.
5 De generatione hominis. I p. 330.
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[299/0317] Paracelsus: Welt und Forschung. hochstellt, gelehrt hatte, verdeckte und verdarb. „Und so ihr schon Aristoteles selbst werendt und der Porphyrius und Albertus, dorzu Avicenna, Galenus selbst, noch ist kein Grund da, das Ihr einen Einigen Krancken darauff möchten vertrösten. Dann wer will sich ein Lügnerey und Speculierung vertrösten? Niemandts.‟ 1 Fort mit der Autorität, zurück zur Natur, aus dem Bücherkram hinaus ins Freie, das ist die Lo- sung des Paracelsus, die er mit scharfen Worten verkündet, der er mit energischem Thun nachlebt. Die Welt ist von Gott geschaffen aus dem Nichts, zunächst als der ungeordnete, eigenschaftslose Limbus; aus diesem ist sowohl die große als die kleine Welt, Universum wie Mensch, herausgebildet. 2 Und weil sie beide aus demselben Limbus entstanden, so sind auch die Gesetze für beide Welten, Makro- kosmus und Mikrokosmus dieselben. Daraus folgt einerseits, daß die Natur des Menschen nur aus der Erforschung der großen Welt erkannt werden kann, 3 andrerseits aber, daß in der großen Welt alles in ähnlicher Weise verläuft, wie im Leben des einzelnen Menschen. Alles ist organisiert, und es gibt keine Entstehung von außen her, sondern nur eine Ent- wickelung von innen, nach Analogie des Samens, welchen die ganze Welt und jedes Einzelwesen in sich trägt. 4 Auf diese Weise gewinnt die Welt bei Paracelsus die Selbständig- keit, welche sie besitzen muß, wenn ihre Gesetze unsrer Erforschung zugänglich sein sollen. Diese Erforschung ist das Edelste, was der Mensch auf Erden leisten und genießen kann; bei der Scholastik freilich ist sie nicht zu finden. 5 1 Ich benutze die Gesamtausgabe der Werke des Paracelsus von Huser, Basel 1589. Die angezogene Stelle in Paragrani alterius Tractatus, II p. 115. Vgl. auch p. 105 und p. 22, 32. Die letzteren gehören zu der minder be- glaubigten Fassung des Werkes. Über die Zuverlässigkeit der Huserschen Ausgabe vgl. Haeser, Gesch. d. Med. 2. Bd., S. 80 ff.; Eucken, Untersuchungen z. Geschichte der älteren deutschen Philosophie III.; Philosoph. Monatshefte XVI. S. 321 ff. Leipz. 1880 u. Mook, Th. Paracelsus. München 1876, p. 21. Ich citiere, wo ich keine besondere Bemerkung mache, nur solche Schriften, welche aus eigenhändigen Büchern des Paracelsus stammen. 2 Vom Podagra. 1. Buch. IV p. 253. 3 Paramirum, B. 1. c. 1. I p. 72. 4 De meteoris c. III. VIII p. 188, 198. u. sonst oft. Vgl. hierüber bes. Eucken a. a. O. 5 De generatione hominis. I p. 330.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/317>, abgerufen am 22.11.2024.