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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Die Belebung der Dinge.
sollte ausgeschlossen bleiben, obwohl selbstverständlich ohne
Zweifel an der Allmacht des Schöpfers. Dann gab es nur
zwei Wege; entweder die Gottheit rückte vollständig über die
Welt hinaus und in der Welt waltete nur die Mechanik des
Naturgeschehens; oder der treibende Geist schlüpfte ganz und
gar in die Dinge selbst, das Gesetz dieses Geistes wurde Ge-
setz der Natur, die Dinge selbst enthielten den waltenden
Geist, die Weltseele, die Natur wurde belebt. Das Leben des
Geistes schien zunächst leichter zu erfassen als das Bewegungs-
gesetz der Körper. Das letztere kannte man gar nicht, das
Walten der Seelenthätigkeit glaubte man wenigstens aus
innerer Erfahrung zu kennen. Der Gang der Naturphilosophie
wandte sich der Annahme einer allgemeinen Belebung der
Natur zu. Das Belebtsein der Materie schien mit einem
Schlage alle Zweifel zu lösen. Man sah im menschlichen
Willen und im menschlichen Denken Tag für Tag die kom-
pliziertesten und überraschendsten Wirkungen vor sich gehen;
ein analoges Treiben, eine allgemeine Organisation für die Kör-
perwelt angenommen, konnte vielleicht die Komplikationen der
physischen Thatsachen begreiflich machen. Daher griff die
Naturphilosophie nach dem Gedanken, welchen ihr der Neu-
platonismus in der allgemeinen Belebung der Dinge durch die
Weltseele darbot.

Als der erste, bei welchem das oben geschilderte Bestreben,
die verborgenen Eigenschaften der Dinge durch eine allgemeine
Belebtheit derselben zu erklären, deutlich hervortritt, dürfte
Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486--1535) zu
nennen sein. Trotz seiner mystischen Richtung von freiem,
vorurteilslosem Geiste, trotz seiner Berühmtheit als Zauber-
künstler ein Zweifler und Gegner der Astrologie, erblickte
Agrippa in der Welt gleich Nicolaus von Cusa einen inneren
Zusammenhang, ein Enthaltensein von allem in allem, und
suchte nach dem inneren Grunde dieser allgemeinen Wechsel-
wirkung.

Die Elemente sind bei ihm noch unverändert die vier be-
kannten, Feuer, Wasser, Luft und Erde; aber berührt von
pythagoreischen, platonischen und kabbalistischen Gedanken
schreibt er denselben Eigenschaften zu, welche in bestimmten
zahlenmäßigen Verhältnissen stehen. Unter Berufung auf

Die Belebung der Dinge.
sollte ausgeschlossen bleiben, obwohl selbstverständlich ohne
Zweifel an der Allmacht des Schöpfers. Dann gab es nur
zwei Wege; entweder die Gottheit rückte vollständig über die
Welt hinaus und in der Welt waltete nur die Mechanik des
Naturgeschehens; oder der treibende Geist schlüpfte ganz und
gar in die Dinge selbst, das Gesetz dieses Geistes wurde Ge-
setz der Natur, die Dinge selbst enthielten den waltenden
Geist, die Weltseele, die Natur wurde belebt. Das Leben des
Geistes schien zunächst leichter zu erfassen als das Bewegungs-
gesetz der Körper. Das letztere kannte man gar nicht, das
Walten der Seelenthätigkeit glaubte man wenigstens aus
innerer Erfahrung zu kennen. Der Gang der Naturphilosophie
wandte sich der Annahme einer allgemeinen Belebung der
Natur zu. Das Belebtsein der Materie schien mit einem
Schlage alle Zweifel zu lösen. Man sah im menschlichen
Willen und im menschlichen Denken Tag für Tag die kom-
pliziertesten und überraschendsten Wirkungen vor sich gehen;
ein analoges Treiben, eine allgemeine Organisation für die Kör-
perwelt angenommen, konnte vielleicht die Komplikationen der
physischen Thatsachen begreiflich machen. Daher griff die
Naturphilosophie nach dem Gedanken, welchen ihr der Neu-
platonismus in der allgemeinen Belebung der Dinge durch die
Weltseele darbot.

Als der erste, bei welchem das oben geschilderte Bestreben,
die verborgenen Eigenschaften der Dinge durch eine allgemeine
Belebtheit derselben zu erklären, deutlich hervortritt, dürfte
Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486—1535) zu
nennen sein. Trotz seiner mystischen Richtung von freiem,
vorurteilslosem Geiste, trotz seiner Berühmtheit als Zauber-
künstler ein Zweifler und Gegner der Astrologie, erblickte
Agrippa in der Welt gleich Nicolaus von Cusa einen inneren
Zusammenhang, ein Enthaltensein von allem in allem, und
suchte nach dem inneren Grunde dieser allgemeinen Wechsel-
wirkung.

Die Elemente sind bei ihm noch unverändert die vier be-
kannten, Feuer, Wasser, Luft und Erde; aber berührt von
pythagoreischen, platonischen und kabbalistischen Gedanken
schreibt er denselben Eigenschaften zu, welche in bestimmten
zahlenmäßigen Verhältnissen stehen. Unter Berufung auf

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[290/0308] Die Belebung der Dinge. sollte ausgeschlossen bleiben, obwohl selbstverständlich ohne Zweifel an der Allmacht des Schöpfers. Dann gab es nur zwei Wege; entweder die Gottheit rückte vollständig über die Welt hinaus und in der Welt waltete nur die Mechanik des Naturgeschehens; oder der treibende Geist schlüpfte ganz und gar in die Dinge selbst, das Gesetz dieses Geistes wurde Ge- setz der Natur, die Dinge selbst enthielten den waltenden Geist, die Weltseele, die Natur wurde belebt. Das Leben des Geistes schien zunächst leichter zu erfassen als das Bewegungs- gesetz der Körper. Das letztere kannte man gar nicht, das Walten der Seelenthätigkeit glaubte man wenigstens aus innerer Erfahrung zu kennen. Der Gang der Naturphilosophie wandte sich der Annahme einer allgemeinen Belebung der Natur zu. Das Belebtsein der Materie schien mit einem Schlage alle Zweifel zu lösen. Man sah im menschlichen Willen und im menschlichen Denken Tag für Tag die kom- pliziertesten und überraschendsten Wirkungen vor sich gehen; ein analoges Treiben, eine allgemeine Organisation für die Kör- perwelt angenommen, konnte vielleicht die Komplikationen der physischen Thatsachen begreiflich machen. Daher griff die Naturphilosophie nach dem Gedanken, welchen ihr der Neu- platonismus in der allgemeinen Belebung der Dinge durch die Weltseele darbot. Als der erste, bei welchem das oben geschilderte Bestreben, die verborgenen Eigenschaften der Dinge durch eine allgemeine Belebtheit derselben zu erklären, deutlich hervortritt, dürfte Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486—1535) zu nennen sein. Trotz seiner mystischen Richtung von freiem, vorurteilslosem Geiste, trotz seiner Berühmtheit als Zauber- künstler ein Zweifler und Gegner der Astrologie, erblickte Agrippa in der Welt gleich Nicolaus von Cusa einen inneren Zusammenhang, ein Enthaltensein von allem in allem, und suchte nach dem inneren Grunde dieser allgemeinen Wechsel- wirkung. Die Elemente sind bei ihm noch unverändert die vier be- kannten, Feuer, Wasser, Luft und Erde; aber berührt von pythagoreischen, platonischen und kabbalistischen Gedanken schreibt er denselben Eigenschaften zu, welche in bestimmten zahlenmäßigen Verhältnissen stehen. Unter Berufung auf

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/308>, abgerufen am 25.11.2024.