aus den Einzeldingen durch Abstraktion abgesondert werden kann.
So ist die göttliche Ordnung der Welt zugleich mit ihrer Erkennbarkeit gesichert. Dieser Metaphysik gab es nichts Besseres entgegenzustellen. Aber die Kritik blieb ihr nicht fern; und während diese nur die Art der Begründung zu be- zweifeln meinte, rüttelte sie zugleich unwissentlich an den Grundsäulen des Systems. Der Nominalismus erhebt wieder sein Haupt, diesmal mit besserem Erfolge, in Wilhelm von Occam (+ 1347). Das Allgemeine soll gar nicht mehr in den Dingen, sondern nur im denkenden Geiste existieren, aber auch hier nicht substanziell (subjective heißt der scholastische Terminus), sondern nur als Vorstellung (objective). Reell sind nur die Einzeldinge, und die Ursache jedes Dinges ist zugleich die Ursache seiner Einzelexistenz. Die Kategorien bezeichnen nicht eine Einteilung der Dinge, sondern nur der Worte, welche nach Übereinkommen die Objekte repräsentieren. Die Einzel- dinge werden durch Anschauung erkannt, wobei freilich die sinnliche Anschauung allein nur Zeichen für die Dinge gibt; die innere Anschauung erkennt die Zustände der Seele. So leitet Occams Kampf gegen die Hypostasierung aller Begriffe und sein Grundsatz, daß es unnötig sei, vieles anzunehmen, wo Eines ausreicht, darauf hin, daß die Betrachtung der Dinge selbst statt der künstlich eingeführten Formen und ver- borgenen Qualitäten eine neue Art der Naturerkenntnis ermög- lichen dürfte. Je mehr die Realität der Natur auf den Einzel- dingen beruht und durch die Beobachtung derselben zu erfassen ist, umsomehr muß die Wechselwirkung derselben in Betracht kommen und das Denkmittel der mechanischen Kausalität in Erscheinung treten.1
Unter dem Einflusse der Betonung der Erfahrung durch Occam2 findet sich in der Mitte des 14. Jahrhunderts sogar der schüchterne Versuch, an Stelle der Kommentierung des Ari- stoteles und Averroes die Beobachtung der Dinge selbst zu setzen und die Naturerklärung auf atomistische Grundsätze zu basieren. Im Jahre 1348 nämlich wurde Nicolaus de Ultri-
1 Vgl. über den Nominalismus auch oben S. 58, 59.
2 Vgl. Prantl, Gesch. d. Log. etc. Bd. 3. p. 418 A. 1038 und Bd. 4, S. 2.
Occam.
aus den Einzeldingen durch Abstraktion abgesondert werden kann.
So ist die göttliche Ordnung der Welt zugleich mit ihrer Erkennbarkeit gesichert. Dieser Metaphysik gab es nichts Besseres entgegenzustellen. Aber die Kritik blieb ihr nicht fern; und während diese nur die Art der Begründung zu be- zweifeln meinte, rüttelte sie zugleich unwissentlich an den Grundsäulen des Systems. Der Nominalismus erhebt wieder sein Haupt, diesmal mit besserem Erfolge, in Wilhelm von Occam († 1347). Das Allgemeine soll gar nicht mehr in den Dingen, sondern nur im denkenden Geiste existieren, aber auch hier nicht substanziell (subjective heißt der scholastische Terminus), sondern nur als Vorstellung (objective). Reell sind nur die Einzeldinge, und die Ursache jedes Dinges ist zugleich die Ursache seiner Einzelexistenz. Die Kategorien bezeichnen nicht eine Einteilung der Dinge, sondern nur der Worte, welche nach Übereinkommen die Objekte repräsentieren. Die Einzel- dinge werden durch Anschauung erkannt, wobei freilich die sinnliche Anschauung allein nur Zeichen für die Dinge gibt; die innere Anschauung erkennt die Zustände der Seele. So leitet Occams Kampf gegen die Hypostasierung aller Begriffe und sein Grundsatz, daß es unnötig sei, vieles anzunehmen, wo Eines ausreicht, darauf hin, daß die Betrachtung der Dinge selbst statt der künstlich eingeführten Formen und ver- borgenen Qualitäten eine neue Art der Naturerkenntnis ermög- lichen dürfte. Je mehr die Realität der Natur auf den Einzel- dingen beruht und durch die Beobachtung derselben zu erfassen ist, umsomehr muß die Wechselwirkung derselben in Betracht kommen und das Denkmittel der mechanischen Kausalität in Erscheinung treten.1
Unter dem Einflusse der Betonung der Erfahrung durch Occam2 findet sich in der Mitte des 14. Jahrhunderts sogar der schüchterne Versuch, an Stelle der Kommentierung des Ari- stoteles und Averroes die Beobachtung der Dinge selbst zu setzen und die Naturerklärung auf atomistische Grundsätze zu basieren. Im Jahre 1348 nämlich wurde Nicolaus de Ultri-
1 Vgl. über den Nominalismus auch oben S. 58, 59.
2 Vgl. Prantl, Gesch. d. Log. etc. Bd. 3. p. 418 A. 1038 und Bd. 4, S. 2.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0274"n="256"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#k">Occam</hi>.</fw><lb/>
aus den Einzeldingen durch Abstraktion abgesondert werden<lb/>
kann.</p><lb/><p>So ist die göttliche Ordnung der Welt zugleich mit ihrer<lb/>
Erkennbarkeit gesichert. Dieser Metaphysik gab es nichts<lb/>
Besseres entgegenzustellen. Aber die Kritik blieb ihr nicht<lb/>
fern; und während diese nur die Art der Begründung zu be-<lb/>
zweifeln meinte, rüttelte sie zugleich unwissentlich an den<lb/>
Grundsäulen des Systems. Der Nominalismus erhebt wieder<lb/>
sein Haupt, diesmal mit besserem Erfolge, in <hirendition="#k">Wilhelm von<lb/>
Occam</hi> († 1347). Das Allgemeine soll gar nicht mehr in den<lb/>
Dingen, sondern nur im denkenden Geiste existieren, aber<lb/>
auch hier nicht substanziell (<hirendition="#i">subjective</hi> heißt der scholastische<lb/>
Terminus), sondern nur als Vorstellung (<hirendition="#i">objective</hi>). Reell sind<lb/>
nur die Einzeldinge, und die Ursache jedes Dinges ist zugleich<lb/>
die Ursache seiner Einzelexistenz. Die Kategorien bezeichnen<lb/>
nicht eine Einteilung der Dinge, sondern nur der Worte, welche<lb/>
nach Übereinkommen die Objekte repräsentieren. Die Einzel-<lb/>
dinge werden durch Anschauung erkannt, wobei freilich die<lb/>
sinnliche Anschauung allein nur <hirendition="#g">Zeichen</hi> für die Dinge gibt;<lb/>
die innere Anschauung erkennt die Zustände der Seele. So<lb/>
leitet <hirendition="#k">Occams</hi> Kampf gegen die Hypostasierung aller Begriffe<lb/>
und sein Grundsatz, daß es unnötig sei, vieles anzunehmen,<lb/>
wo <hirendition="#g">Eines</hi> ausreicht, darauf hin, daß die Betrachtung der<lb/>
Dinge selbst statt der künstlich eingeführten Formen und ver-<lb/>
borgenen Qualitäten eine neue Art der Naturerkenntnis ermög-<lb/>
lichen dürfte. Je mehr die Realität der Natur auf den Einzel-<lb/>
dingen beruht und durch die Beobachtung derselben zu erfassen<lb/>
ist, umsomehr muß die Wechselwirkung derselben in Betracht<lb/>
kommen und das Denkmittel der mechanischen Kausalität in<lb/>
Erscheinung treten.<noteplace="foot"n="1">Vgl. über den Nominalismus auch oben S. 58, 59.</note></p><lb/><p>Unter dem Einflusse der Betonung der Erfahrung durch<lb/><hirendition="#k">Occam</hi><noteplace="foot"n="2">Vgl. <hirendition="#k">Prantl</hi>, <hirendition="#i">Gesch. d. Log.</hi> etc. Bd. 3. p. 418 A. 1038 und Bd. 4, S. 2.</note> findet sich in der Mitte des 14. Jahrhunderts sogar der<lb/>
schüchterne Versuch, an Stelle der Kommentierung des <hirendition="#k">Ari-<lb/>
stoteles</hi> und <hirendition="#k">Averroes</hi> die Beobachtung der Dinge selbst zu<lb/>
setzen und die Naturerklärung auf atomistische Grundsätze zu<lb/>
basieren. Im Jahre 1348 nämlich wurde <hirendition="#k">Nicolaus de Ultri-</hi><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[256/0274]
Occam.
aus den Einzeldingen durch Abstraktion abgesondert werden
kann.
So ist die göttliche Ordnung der Welt zugleich mit ihrer
Erkennbarkeit gesichert. Dieser Metaphysik gab es nichts
Besseres entgegenzustellen. Aber die Kritik blieb ihr nicht
fern; und während diese nur die Art der Begründung zu be-
zweifeln meinte, rüttelte sie zugleich unwissentlich an den
Grundsäulen des Systems. Der Nominalismus erhebt wieder
sein Haupt, diesmal mit besserem Erfolge, in Wilhelm von
Occam († 1347). Das Allgemeine soll gar nicht mehr in den
Dingen, sondern nur im denkenden Geiste existieren, aber
auch hier nicht substanziell (subjective heißt der scholastische
Terminus), sondern nur als Vorstellung (objective). Reell sind
nur die Einzeldinge, und die Ursache jedes Dinges ist zugleich
die Ursache seiner Einzelexistenz. Die Kategorien bezeichnen
nicht eine Einteilung der Dinge, sondern nur der Worte, welche
nach Übereinkommen die Objekte repräsentieren. Die Einzel-
dinge werden durch Anschauung erkannt, wobei freilich die
sinnliche Anschauung allein nur Zeichen für die Dinge gibt;
die innere Anschauung erkennt die Zustände der Seele. So
leitet Occams Kampf gegen die Hypostasierung aller Begriffe
und sein Grundsatz, daß es unnötig sei, vieles anzunehmen,
wo Eines ausreicht, darauf hin, daß die Betrachtung der
Dinge selbst statt der künstlich eingeführten Formen und ver-
borgenen Qualitäten eine neue Art der Naturerkenntnis ermög-
lichen dürfte. Je mehr die Realität der Natur auf den Einzel-
dingen beruht und durch die Beobachtung derselben zu erfassen
ist, umsomehr muß die Wechselwirkung derselben in Betracht
kommen und das Denkmittel der mechanischen Kausalität in
Erscheinung treten. 1
Unter dem Einflusse der Betonung der Erfahrung durch
Occam 2 findet sich in der Mitte des 14. Jahrhunderts sogar der
schüchterne Versuch, an Stelle der Kommentierung des Ari-
stoteles und Averroes die Beobachtung der Dinge selbst zu
setzen und die Naturerklärung auf atomistische Grundsätze zu
basieren. Im Jahre 1348 nämlich wurde Nicolaus de Ultri-
1 Vgl. über den Nominalismus auch oben S. 58, 59.
2 Vgl. Prantl, Gesch. d. Log. etc. Bd. 3. p. 418 A. 1038 und Bd. 4, S. 2.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/274>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.