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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Die Mischung: Thomisten. Scotus.
die Scholastik über diese Frage hervorgebracht hat. So unge-
heuer auch die Litteratur darüber, so subtil und scharfsinnig
die Untersuchungen sind, Neues konnten sie nicht mehr zu
Tage fördern, so lange die aristotelischen Begriffe von Form,
Materie und Mischung unverändert gelten sollten. Es bleibt
daher über die verschiedenen Gestalten, in denen die alte Frage
immer wieder auftaucht, verhältnismäßig wenig zu sagen, da
sich dieselben meist auf die Behauptungen von Avicenna,
Albert, Averroes
oder Thomas zurückführen lassen.

Anhänger der Lehre, daß die Elemente in den Verbin-
dungen untergehen, sind naturgemäß die meisten Dominikaner,
so der dem Nominalismus zugeneigte Durandus de S. Porciano,
genannt Dr. resolutissimus (+ 1332), aus dem 15. Jahrhundert
Johannes Capreolus, Dominicus Bannez, Chrysostomus Javellus
und viele andere, ferner von der späteren Scholastik die Je-
suiten Toletus (geb. 1532), Franziskus Suarez (geb. 1548),
de Arriaga1 (geb. 1592), Thomas Compton und jüngere mehr.2
Überhaupt erfordert die Abweichung von dieser Lehre eine
um so größere Selbständigkeit, je mehr die scholastischen
Lehren systematische Gestalt annehmen. Denn nicht nur die
Thomisten leugnen das Beharren der Elemente, sondern auch
das Haupt der anderen großen philosophisch-theologischen
Schule, welche dem Thomismus entgegentrat, Johannes Duns
Scotus
(+ 1308), lehrt, wie beim Kontinuitätsproblem, so auch
in dieser Frage der Hauptsache nach mit seinem Gegner über-
einstimmend, daß die Elemente der Substanz nach nicht
in der Mischung bleiben.3 Auch der Neubegründer des Nomi-
nalismus, Wilhelm von Occam, ist ein Gegner des Beharrens
der Elemente.4

Bei Duns Scotus gewinnt jedoch die Theorie der Materie
eine von der aristotelischen Scholastik abweichende Form und

1 Cursus philos. Lugd. 1669, p. 703.
2 S. Pfeiffer, a. a. O. S. 34, 39. Daselbst Näheres über die Gründe
Einzelner für ihre Meinungen.
3 Jo. Duns Scoti Doctoris subtilis etc. Opera. Lugduni 1639. Tom. VI.
p. 753. L. II. Dist. XV. Quaest. unica. Vgl. auch Schneid, Die Körperlehre etc.
4 Ein weiteres Verzeichnis von Namen der Verteidiger des Vergehens der
Elemente in den Verbindungen findet man in Comment. Collegii Conimbricensis
in Libr. I De gen. et corr. Arist. Moguntiae 1600. p. 358.

Die Mischung: Thomisten. Scotus.
die Scholastik über diese Frage hervorgebracht hat. So unge-
heuer auch die Litteratur darüber, so subtil und scharfsinnig
die Untersuchungen sind, Neues konnten sie nicht mehr zu
Tage fördern, so lange die aristotelischen Begriffe von Form,
Materie und Mischung unverändert gelten sollten. Es bleibt
daher über die verschiedenen Gestalten, in denen die alte Frage
immer wieder auftaucht, verhältnismäßig wenig zu sagen, da
sich dieselben meist auf die Behauptungen von Avicenna,
Albert, Averroes
oder Thomas zurückführen lassen.

Anhänger der Lehre, daß die Elemente in den Verbin-
dungen untergehen, sind naturgemäß die meisten Dominikaner,
so der dem Nominalismus zugeneigte Durandus de S. Porciano,
genannt Dr. resolutissimus († 1332), aus dem 15. Jahrhundert
Johannes Capreolus, Dominicus Bannez, Chrysostomus Javellus
und viele andere, ferner von der späteren Scholastik die Je-
suiten Toletus (geb. 1532), Franziskus Suarez (geb. 1548),
de Arriaga1 (geb. 1592), Thomas Compton und jüngere mehr.2
Überhaupt erfordert die Abweichung von dieser Lehre eine
um so größere Selbständigkeit, je mehr die scholastischen
Lehren systematische Gestalt annehmen. Denn nicht nur die
Thomisten leugnen das Beharren der Elemente, sondern auch
das Haupt der anderen großen philosophisch-theologischen
Schule, welche dem Thomismus entgegentrat, Johannes Duns
Scotus
(† 1308), lehrt, wie beim Kontinuitätsproblem, so auch
in dieser Frage der Hauptsache nach mit seinem Gegner über-
einstimmend, daß die Elemente der Substanz nach nicht
in der Mischung bleiben.3 Auch der Neubegründer des Nomi-
nalismus, Wilhelm von Occam, ist ein Gegner des Beharrens
der Elemente.4

Bei Duns Scotus gewinnt jedoch die Theorie der Materie
eine von der aristotelischen Scholastik abweichende Form und

1 Cursus philos. Lugd. 1669, p. 703.
2 S. Pfeiffer, a. a. O. S. 34, 39. Daselbst Näheres über die Gründe
Einzelner für ihre Meinungen.
3 Jo. Duns Scoti Doctoris subtilis etc. Opera. Lugduni 1639. Tom. VI.
p. 753. L. II. Dist. XV. Quaest. unica. Vgl. auch Schneid, Die Körperlehre etc.
4 Ein weiteres Verzeichnis von Namen der Verteidiger des Vergehens der
Elemente in den Verbindungen findet man in Comment. Collegii Conimbricensis
in Libr. I De gen. et corr. Arist. Moguntiae 1600. p. 358.
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[248/0266] Die Mischung: Thomisten. Scotus. die Scholastik über diese Frage hervorgebracht hat. So unge- heuer auch die Litteratur darüber, so subtil und scharfsinnig die Untersuchungen sind, Neues konnten sie nicht mehr zu Tage fördern, so lange die aristotelischen Begriffe von Form, Materie und Mischung unverändert gelten sollten. Es bleibt daher über die verschiedenen Gestalten, in denen die alte Frage immer wieder auftaucht, verhältnismäßig wenig zu sagen, da sich dieselben meist auf die Behauptungen von Avicenna, Albert, Averroes oder Thomas zurückführen lassen. Anhänger der Lehre, daß die Elemente in den Verbin- dungen untergehen, sind naturgemäß die meisten Dominikaner, so der dem Nominalismus zugeneigte Durandus de S. Porciano, genannt Dr. resolutissimus († 1332), aus dem 15. Jahrhundert Johannes Capreolus, Dominicus Bannez, Chrysostomus Javellus und viele andere, ferner von der späteren Scholastik die Je- suiten Toletus (geb. 1532), Franziskus Suarez (geb. 1548), de Arriaga 1 (geb. 1592), Thomas Compton und jüngere mehr. 2 Überhaupt erfordert die Abweichung von dieser Lehre eine um so größere Selbständigkeit, je mehr die scholastischen Lehren systematische Gestalt annehmen. Denn nicht nur die Thomisten leugnen das Beharren der Elemente, sondern auch das Haupt der anderen großen philosophisch-theologischen Schule, welche dem Thomismus entgegentrat, Johannes Duns Scotus († 1308), lehrt, wie beim Kontinuitätsproblem, so auch in dieser Frage der Hauptsache nach mit seinem Gegner über- einstimmend, daß die Elemente der Substanz nach nicht in der Mischung bleiben. 3 Auch der Neubegründer des Nomi- nalismus, Wilhelm von Occam, ist ein Gegner des Beharrens der Elemente. 4 Bei Duns Scotus gewinnt jedoch die Theorie der Materie eine von der aristotelischen Scholastik abweichende Form und 1 Cursus philos. Lugd. 1669, p. 703. 2 S. Pfeiffer, a. a. O. S. 34, 39. Daselbst Näheres über die Gründe Einzelner für ihre Meinungen. 3 Jo. Duns Scoti Doctoris subtilis etc. Opera. Lugduni 1639. Tom. VI. p. 753. L. II. Dist. XV. Quaest. unica. Vgl. auch Schneid, Die Körperlehre etc. 4 Ein weiteres Verzeichnis von Namen der Verteidiger des Vergehens der Elemente in den Verbindungen findet man in Comment. Collegii Conimbricensis in Libr. I De gen. et corr. Arist. Moguntiae 1600. p. 358.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/266>, abgerufen am 24.11.2024.