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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Griechische Mathematik: Gleichheit.
in der Weise behandelt, daß gezeigt wird, wie die Abweichung
des gesuchten Verhältnisses von einem bekannten rationalen
kleiner gemacht werden kann als eine beliebig kleine Zahl;
aber dazu wird immer noch ein apagogischer Beweis gefügt,
daß das Verhältnis der die krumme Fläche erschöpfenden
Polygone nicht größer oder kleiner sein könne als das der
Flächeninhalte der krummlinigen Figuren. Und dieser Beweis
wurde in jedem einzelnen Falle ausführlich wiederholt.1 Nie-
mals konnten sich die griechischen Mathematiker entschließen,
den Rest, von welchem bewiesen war, daß er beliebig klein
gemacht werden konnte, als eine wirklich verschwindende
Größe anzuerkennen. Dieser Grenzbegriff der gegen Null
konvergierenden Größe war ihnen fremd. Zwischen dem durch
eine endliche, wenn auch noch so kleine Zahl ausdrückbaren
Unterschiede und der Gleichheit geometrischer Figuren war eine
unüberbrückbare Kluft, welche wohl durch einen indirekten
Beweis umgangen, aber nicht im geraden Anlauf übersprungen
werden konnte. Denn in der Zahl gab es keinen stetigen
Übergang von der Ungleichheit zur Gleichheit, Zählen ist ja
keine Bewegung. Wäre nicht die Anschauung als Erkenntnis-
mittel ausgeschlossen gewesen, so hätte dieser Übergang zur
Grenze nahe gelegen. In der sinnlichen Erfahrung macht es
nichts aus, ob zwei Größen absolut gleich sind, oder ob ihr
Unterschied nur unterhalb der Grenzen der Wahrnehmbarkeit
liegt. Das Denken allein kann zu einer Gleichsetzung zweier
verschiedener Größen nicht gelangen, wenn es hierzu den
erschöpfenden Weg einschlagen muß, den Unterschied immer
und immer wieder durch Teilung zu verringern; denn dieser
unendliche Progreß ist nicht ausführbar. Es kommt darauf an,
ein Denkmittel zu gewinnen, den in der Anschauung vollzogenen
Akt der Gleichsetzung auch im Denken zu formulieren, ohne
den unendlichen Progreß zu vollziehen. Dieses Denkmittel
eröffnet sich im Infinitesimalbegriff. Aber derselbe schließt
die Vorstellung der Bewegung ein, wie er auch zugleich die
angeschaute Bewegung erst begrifflich fixieren lehrt. Er
macht die bloße empirische Vernachlässigung des sinnlich nicht
mehr erkennbaren Unterschieds zur begrifflichen Gewißheit des

1 Hankel, a. a. O. p. 125 f. Cantor, p. 190. 262 u.a.

Griechische Mathematik: Gleichheit.
in der Weise behandelt, daß gezeigt wird, wie die Abweichung
des gesuchten Verhältnisses von einem bekannten rationalen
kleiner gemacht werden kann als eine beliebig kleine Zahl;
aber dazu wird immer noch ein apagogischer Beweis gefügt,
daß das Verhältnis der die krumme Fläche erschöpfenden
Polygone nicht größer oder kleiner sein könne als das der
Flächeninhalte der krummlinigen Figuren. Und dieser Beweis
wurde in jedem einzelnen Falle ausführlich wiederholt.1 Nie-
mals konnten sich die griechischen Mathematiker entschließen,
den Rest, von welchem bewiesen war, daß er beliebig klein
gemacht werden konnte, als eine wirklich verschwindende
Größe anzuerkennen. Dieser Grenzbegriff der gegen Null
konvergierenden Größe war ihnen fremd. Zwischen dem durch
eine endliche, wenn auch noch so kleine Zahl ausdrückbaren
Unterschiede und der Gleichheit geometrischer Figuren war eine
unüberbrückbare Kluft, welche wohl durch einen indirekten
Beweis umgangen, aber nicht im geraden Anlauf übersprungen
werden konnte. Denn in der Zahl gab es keinen stetigen
Übergang von der Ungleichheit zur Gleichheit, Zählen ist ja
keine Bewegung. Wäre nicht die Anschauung als Erkenntnis-
mittel ausgeschlossen gewesen, so hätte dieser Übergang zur
Grenze nahe gelegen. In der sinnlichen Erfahrung macht es
nichts aus, ob zwei Größen absolut gleich sind, oder ob ihr
Unterschied nur unterhalb der Grenzen der Wahrnehmbarkeit
liegt. Das Denken allein kann zu einer Gleichsetzung zweier
verschiedener Größen nicht gelangen, wenn es hierzu den
erschöpfenden Weg einschlagen muß, den Unterschied immer
und immer wieder durch Teilung zu verringern; denn dieser
unendliche Progreß ist nicht ausführbar. Es kommt darauf an,
ein Denkmittel zu gewinnen, den in der Anschauung vollzogenen
Akt der Gleichsetzung auch im Denken zu formulieren, ohne
den unendlichen Progreß zu vollziehen. Dieses Denkmittel
eröffnet sich im Infinitesimalbegriff. Aber derselbe schließt
die Vorstellung der Bewegung ein, wie er auch zugleich die
angeschaute Bewegung erst begrifflich fixieren lehrt. Er
macht die bloße empirische Vernachlässigung des sinnlich nicht
mehr erkennbaren Unterschieds zur begrifflichen Gewißheit des

1 Hankel, a. a. O. p. 125 f. Cantor, p. 190. 262 u.a.
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[178/0196] Griechische Mathematik: Gleichheit. in der Weise behandelt, daß gezeigt wird, wie die Abweichung des gesuchten Verhältnisses von einem bekannten rationalen kleiner gemacht werden kann als eine beliebig kleine Zahl; aber dazu wird immer noch ein apagogischer Beweis gefügt, daß das Verhältnis der die krumme Fläche erschöpfenden Polygone nicht größer oder kleiner sein könne als das der Flächeninhalte der krummlinigen Figuren. Und dieser Beweis wurde in jedem einzelnen Falle ausführlich wiederholt. 1 Nie- mals konnten sich die griechischen Mathematiker entschließen, den Rest, von welchem bewiesen war, daß er beliebig klein gemacht werden konnte, als eine wirklich verschwindende Größe anzuerkennen. Dieser Grenzbegriff der gegen Null konvergierenden Größe war ihnen fremd. Zwischen dem durch eine endliche, wenn auch noch so kleine Zahl ausdrückbaren Unterschiede und der Gleichheit geometrischer Figuren war eine unüberbrückbare Kluft, welche wohl durch einen indirekten Beweis umgangen, aber nicht im geraden Anlauf übersprungen werden konnte. Denn in der Zahl gab es keinen stetigen Übergang von der Ungleichheit zur Gleichheit, Zählen ist ja keine Bewegung. Wäre nicht die Anschauung als Erkenntnis- mittel ausgeschlossen gewesen, so hätte dieser Übergang zur Grenze nahe gelegen. In der sinnlichen Erfahrung macht es nichts aus, ob zwei Größen absolut gleich sind, oder ob ihr Unterschied nur unterhalb der Grenzen der Wahrnehmbarkeit liegt. Das Denken allein kann zu einer Gleichsetzung zweier verschiedener Größen nicht gelangen, wenn es hierzu den erschöpfenden Weg einschlagen muß, den Unterschied immer und immer wieder durch Teilung zu verringern; denn dieser unendliche Progreß ist nicht ausführbar. Es kommt darauf an, ein Denkmittel zu gewinnen, den in der Anschauung vollzogenen Akt der Gleichsetzung auch im Denken zu formulieren, ohne den unendlichen Progreß zu vollziehen. Dieses Denkmittel eröffnet sich im Infinitesimalbegriff. Aber derselbe schließt die Vorstellung der Bewegung ein, wie er auch zugleich die angeschaute Bewegung erst begrifflich fixieren lehrt. Er macht die bloße empirische Vernachlässigung des sinnlich nicht mehr erkennbaren Unterschieds zur begrifflichen Gewißheit des 1 Hankel, a. a. O. p. 125 f. Cantor, p. 190. 262 u.a.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/196>, abgerufen am 29.11.2024.