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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Ibn Roschd: Immanente Notwendigkeit.
wiedergekehrt. Die Formen werden zu Kräften, der Weltbe-
weger wird beiseite geschoben und die Ewigkeit von Stoff
und Kraft macht den Wechsel des Weltenlaufes aus.

Ibn Roschd selbst hebt die Notwendigkeit und Ewigkeit des
Naturlaufs, die unveränderliche Herrschaft des Naturgesetzes
hervor. Die Seelen und die Gedanken selbst, als Formen
schon in der Materie angelegt, sind ebenfalls an den großen
Kreislauf gebunden, welcher den ganzen Weltprozeß bildet.
In Natur und Verstand kann nichts Neues entstehen, nur
Ewiges sich wiederholen und an veränderten Stellen auftreten.
"Daher darf auch die Wissenschaft des Menschen nicht als
entstanden angesehen werden, noch darf sie jemals vergehen,
ja sie darf sich weder mehren noch mindern. Ist doch die
ganze Welt ein System von ewiger Dauer. Die Sphären der
Welt halten ihren beständigen Kreislauf inne; auch die Sphäre
des Mondes verändert ihre Bahn nicht; unaufhörlich hat sie
den Lauf der irdischen Dinge bewegt, uns informiert, und
darin wird kein Wandel eintreten."1

Enthält schon diese Auffassung des Weltlaufs als eines in
sich selbst abgeschlossenen Bewegungsprozesses einen Hinweis
auf die der Atomistik verwandte mechanische Weltauffassung,
so wird sie noch von besonderer Bedeutung für die Geschichte
der Naturerkenntnis durch die Aussicht, welche sie für die Er-
forschung der Materie eröffnet. Denn so lange die Formen
außerhalb der Materie standen, blieb diese für den Verstand,
der ja nur die allgemeinen Formen erfassen sollte, unbegreif-
lich. Liegen aber die Formen schon in der Materie selbst, so
werden wir ja auch dieselben Formen in uns selbst auffinden
und wir werden hoffen dürfen, einen durchdringenden Einblick
in das innere Wesen der Materie zu gewinnen. Durch diese
Hoffnung muß die Beschäftigung mit der Theorie der Materie
einen wesentlichen Aufschwung erlangen. Aus der gewisser-
maßen verächtlichen Stellung, welche die Materie in der Reihe
der Begriffe einnahm (eine Folge der neuplatonischen An-
schauung), wird dieselbe durch Ibn Roschd emporgehoben, sie
ist nicht mehr der tote Stoff, sondern der nur noch unbelebte

1 Ritter, Die christliche Philosophie etc. I S. 599.

Ibn Roschd: Immanente Notwendigkeit.
wiedergekehrt. Die Formen werden zu Kräften, der Weltbe-
weger wird beiseite geschoben und die Ewigkeit von Stoff
und Kraft macht den Wechsel des Weltenlaufes aus.

Ibn Roschd selbst hebt die Notwendigkeit und Ewigkeit des
Naturlaufs, die unveränderliche Herrschaft des Naturgesetzes
hervor. Die Seelen und die Gedanken selbst, als Formen
schon in der Materie angelegt, sind ebenfalls an den großen
Kreislauf gebunden, welcher den ganzen Weltprozeß bildet.
In Natur und Verstand kann nichts Neues entstehen, nur
Ewiges sich wiederholen und an veränderten Stellen auftreten.
„Daher darf auch die Wissenschaft des Menschen nicht als
entstanden angesehen werden, noch darf sie jemals vergehen,
ja sie darf sich weder mehren noch mindern. Ist doch die
ganze Welt ein System von ewiger Dauer. Die Sphären der
Welt halten ihren beständigen Kreislauf inne; auch die Sphäre
des Mondes verändert ihre Bahn nicht; unaufhörlich hat sie
den Lauf der irdischen Dinge bewegt, uns informiert, und
darin wird kein Wandel eintreten.‟1

Enthält schon diese Auffassung des Weltlaufs als eines in
sich selbst abgeschlossenen Bewegungsprozesses einen Hinweis
auf die der Atomistik verwandte mechanische Weltauffassung,
so wird sie noch von besonderer Bedeutung für die Geschichte
der Naturerkenntnis durch die Aussicht, welche sie für die Er-
forschung der Materie eröffnet. Denn so lange die Formen
außerhalb der Materie standen, blieb diese für den Verstand,
der ja nur die allgemeinen Formen erfassen sollte, unbegreif-
lich. Liegen aber die Formen schon in der Materie selbst, so
werden wir ja auch dieselben Formen in uns selbst auffinden
und wir werden hoffen dürfen, einen durchdringenden Einblick
in das innere Wesen der Materie zu gewinnen. Durch diese
Hoffnung muß die Beschäftigung mit der Theorie der Materie
einen wesentlichen Aufschwung erlangen. Aus der gewisser-
maßen verächtlichen Stellung, welche die Materie in der Reihe
der Begriffe einnahm (eine Folge der neuplatonischen An-
schauung), wird dieselbe durch Ibn Roschd emporgehoben, sie
ist nicht mehr der tote Stoff, sondern der nur noch unbelebte

1 Ritter, Die christliche Philosophie etc. I S. 599.
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[172/0190] Ibn Roschd: Immanente Notwendigkeit. wiedergekehrt. Die Formen werden zu Kräften, der Weltbe- weger wird beiseite geschoben und die Ewigkeit von Stoff und Kraft macht den Wechsel des Weltenlaufes aus. Ibn Roschd selbst hebt die Notwendigkeit und Ewigkeit des Naturlaufs, die unveränderliche Herrschaft des Naturgesetzes hervor. Die Seelen und die Gedanken selbst, als Formen schon in der Materie angelegt, sind ebenfalls an den großen Kreislauf gebunden, welcher den ganzen Weltprozeß bildet. In Natur und Verstand kann nichts Neues entstehen, nur Ewiges sich wiederholen und an veränderten Stellen auftreten. „Daher darf auch die Wissenschaft des Menschen nicht als entstanden angesehen werden, noch darf sie jemals vergehen, ja sie darf sich weder mehren noch mindern. Ist doch die ganze Welt ein System von ewiger Dauer. Die Sphären der Welt halten ihren beständigen Kreislauf inne; auch die Sphäre des Mondes verändert ihre Bahn nicht; unaufhörlich hat sie den Lauf der irdischen Dinge bewegt, uns informiert, und darin wird kein Wandel eintreten.‟ 1 Enthält schon diese Auffassung des Weltlaufs als eines in sich selbst abgeschlossenen Bewegungsprozesses einen Hinweis auf die der Atomistik verwandte mechanische Weltauffassung, so wird sie noch von besonderer Bedeutung für die Geschichte der Naturerkenntnis durch die Aussicht, welche sie für die Er- forschung der Materie eröffnet. Denn so lange die Formen außerhalb der Materie standen, blieb diese für den Verstand, der ja nur die allgemeinen Formen erfassen sollte, unbegreif- lich. Liegen aber die Formen schon in der Materie selbst, so werden wir ja auch dieselben Formen in uns selbst auffinden und wir werden hoffen dürfen, einen durchdringenden Einblick in das innere Wesen der Materie zu gewinnen. Durch diese Hoffnung muß die Beschäftigung mit der Theorie der Materie einen wesentlichen Aufschwung erlangen. Aus der gewisser- maßen verächtlichen Stellung, welche die Materie in der Reihe der Begriffe einnahm (eine Folge der neuplatonischen An- schauung), wird dieselbe durch Ibn Roschd emporgehoben, sie ist nicht mehr der tote Stoff, sondern der nur noch unbelebte 1 Ritter, Die christliche Philosophie etc. I S. 599.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/190>, abgerufen am 28.11.2024.