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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Mutakallimun: Atome. Vacuum.
einigung von zweien dieser Atome jedes derselben ein Körper
wird, so daß zwei Körper entstehen. Es soll dies bedeuten,
daß jedes Atom durch das Zusammentreten mit andern einen
quantitativen Wert bekommt. Die Atome sind demnach punk-
tuell, sie haben keine Ausdehnung und nehmen keinen Raum
ein, besitzen aber eine bestimmte Position.1 Sie sind nicht
im Makan, dem nach drei Dimensionen ausgedehnten Raume,
aber im Hayyiz, dem der Lage nach bestimmten Orte.2
Durch diese bestimmte Position, die sie zu einander haben, ent-
steht die Raumgröße; die Quantität wird erst durch die Lage-
beziehung der Atome geschaffen. Es ist dies offenbar die ganz
richtige und einzig mögliche Annahme, durch welche die
Lehre von einfachen, punktuellen Atomen dem Einwande des
Aristoteles,3 daß aus unteilbaren Punkten keine Größe ent-
stehen könne, zu entgehen versucht, und wir finden sie daher
hier nicht zum letztenmale in der Geschichte der Atomistik.

Alle Atome sind einander gleich und ähnlich und ohne
jedweden Artunterschied. Alle Körper bestehen nur in der
Aneinanderlagerung der Atome, so daß die Vereinigung der
Atome das Entstehen, ihre Trennung das Vergehen der Körper
bewirkt. Doch bedienen sich die Mutakallimun nicht des Aus-
drucks Vergehen, weil dies für die Atome nicht gilt; sondern alle
Veränderungen werden auf Vereinigung, Trennung, Bewegung
und Ruhe zurückgeführt. Die Zahl der Atome ist nicht be-
stimmt und unveränderlich, wie die alten Atomisten annahmen,
sondern Gott schafft und vernichtet dieselben fortwährend nach
freiem Willen.

Neben den Atomen gibt es ein Vacuum, d. h. einen oder
mehrere Räume, wo absolut nichts ist, sondern welche leer
sind von jedem Körper und frei von jeder Substanz. Es ist
diese Annahme notwendig, um die Bewegung der Atome denk-
bar zu machen, da man sich nicht vorstellen kann, daß Körper
ineinander eindringen; dies wäre aber notwendig, wenn der
ganze Raum mit Atomen erfüllt wäre.

1 More nevochim I, c. 51. p. 185.
2 Nach der Angabe von Al-Dschordschani im Kitab al-Tarifat (Buch der
Erklärungen); bei Munk, More, p. 186 (Anm. d. S. 185).
3 S. S. 104.

Mutakallimun: Atome. Vacuum.
einigung von zweien dieser Atome jedes derselben ein Körper
wird, so daß zwei Körper entstehen. Es soll dies bedeuten,
daß jedes Atom durch das Zusammentreten mit andern einen
quantitativen Wert bekommt. Die Atome sind demnach punk-
tuell, sie haben keine Ausdehnung und nehmen keinen Raum
ein, besitzen aber eine bestimmte Position.1 Sie sind nicht
im Makân, dem nach drei Dimensionen ausgedehnten Raume,
aber im Hayyiz, dem der Lage nach bestimmten Orte.2
Durch diese bestimmte Position, die sie zu einander haben, ent-
steht die Raumgröße; die Quantität wird erst durch die Lage-
beziehung der Atome geschaffen. Es ist dies offenbar die ganz
richtige und einzig mögliche Annahme, durch welche die
Lehre von einfachen, punktuellen Atomen dem Einwande des
Aristoteles,3 daß aus unteilbaren Punkten keine Größe ent-
stehen könne, zu entgehen versucht, und wir finden sie daher
hier nicht zum letztenmale in der Geschichte der Atomistik.

Alle Atome sind einander gleich und ähnlich und ohne
jedweden Artunterschied. Alle Körper bestehen nur in der
Aneinanderlagerung der Atome, so daß die Vereinigung der
Atome das Entstehen, ihre Trennung das Vergehen der Körper
bewirkt. Doch bedienen sich die Mutakallimun nicht des Aus-
drucks Vergehen, weil dies für die Atome nicht gilt; sondern alle
Veränderungen werden auf Vereinigung, Trennung, Bewegung
und Ruhe zurückgeführt. Die Zahl der Atome ist nicht be-
stimmt und unveränderlich, wie die alten Atomisten annahmen,
sondern Gott schafft und vernichtet dieselben fortwährend nach
freiem Willen.

Neben den Atomen gibt es ein Vacuum, d. h. einen oder
mehrere Räume, wo absolut nichts ist, sondern welche leer
sind von jedem Körper und frei von jeder Substanz. Es ist
diese Annahme notwendig, um die Bewegung der Atome denk-
bar zu machen, da man sich nicht vorstellen kann, daß Körper
ineinander eindringen; dies wäre aber notwendig, wenn der
ganze Raum mit Atomen erfüllt wäre.

1 More nevochim I, c. 51. p. 185.
2 Nach der Angabe von Al-Dschordschani im Kitâb al-Tarifât (Buch der
Erklärungen); bei Munk, More, p. 186 (Anm. d. S. 185).
3 S. S. 104.
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[139/0157] Mutakallimun: Atome. Vacuum. einigung von zweien dieser Atome jedes derselben ein Körper wird, so daß zwei Körper entstehen. Es soll dies bedeuten, daß jedes Atom durch das Zusammentreten mit andern einen quantitativen Wert bekommt. Die Atome sind demnach punk- tuell, sie haben keine Ausdehnung und nehmen keinen Raum ein, besitzen aber eine bestimmte Position. 1 Sie sind nicht im Makân, dem nach drei Dimensionen ausgedehnten Raume, aber im Hayyiz, dem der Lage nach bestimmten Orte. 2 Durch diese bestimmte Position, die sie zu einander haben, ent- steht die Raumgröße; die Quantität wird erst durch die Lage- beziehung der Atome geschaffen. Es ist dies offenbar die ganz richtige und einzig mögliche Annahme, durch welche die Lehre von einfachen, punktuellen Atomen dem Einwande des Aristoteles, 3 daß aus unteilbaren Punkten keine Größe ent- stehen könne, zu entgehen versucht, und wir finden sie daher hier nicht zum letztenmale in der Geschichte der Atomistik. Alle Atome sind einander gleich und ähnlich und ohne jedweden Artunterschied. Alle Körper bestehen nur in der Aneinanderlagerung der Atome, so daß die Vereinigung der Atome das Entstehen, ihre Trennung das Vergehen der Körper bewirkt. Doch bedienen sich die Mutakallimun nicht des Aus- drucks Vergehen, weil dies für die Atome nicht gilt; sondern alle Veränderungen werden auf Vereinigung, Trennung, Bewegung und Ruhe zurückgeführt. Die Zahl der Atome ist nicht be- stimmt und unveränderlich, wie die alten Atomisten annahmen, sondern Gott schafft und vernichtet dieselben fortwährend nach freiem Willen. Neben den Atomen gibt es ein Vacuum, d. h. einen oder mehrere Räume, wo absolut nichts ist, sondern welche leer sind von jedem Körper und frei von jeder Substanz. Es ist diese Annahme notwendig, um die Bewegung der Atome denk- bar zu machen, da man sich nicht vorstellen kann, daß Körper ineinander eindringen; dies wäre aber notwendig, wenn der ganze Raum mit Atomen erfüllt wäre. 1 More nevochim I, c. 51. p. 185. 2 Nach der Angabe von Al-Dschordschani im Kitâb al-Tarifât (Buch der Erklärungen); bei Munk, More, p. 186 (Anm. d. S. 185). 3 S. S. 104.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/157>, abgerufen am 03.05.2024.