Die Unmöglichkeit der Existenz des leeren Raumes zeigt sich ferner darin, daß die Körper in diesem Falle einen Raum einnehmen würden, der sich von einem ebenso ge- stalteten und ebenso großen leeren Raum gar nicht unter- scheiden würde. Wenn nun derartige Größen, Körper und leerer Raum, an denselben Ort zusammenfallen, so würde man zwei Räume, den leeren und den vollen, ineinander haben, und mit demselben Rechte beliebig viele. Wozu aber soll ein Körper, da er seine Ausdehnung in sich selbst hat, noch einen solchen Raum außerdem haben, durch welchen an seiner Masse gar nichts geändert wird?1
Ein außerweltlicher leerer Raum ist nicht möglich, weil sich daraus der Widerspruch ergäbe, daß ein Körper dort sein müßte, wo keiner sein kann.2
Die Atomisten haben die Annahme des leeren Raumes darauf gründen wollen, daß ohne denselben Bewegung nicht möglich sei; nämlich die räumliche Bewegung und die Bewe- gung der Vermehrung (#, vgl. S. 90) können nicht ohne Leeres stattfinden, weil das Volle den bewegten Körper oder einen neu hinzukommenden Körper nicht aufzu- nehmen imstande sei.3 Die Bewegung läßt sich aber auch ohne Annahme des Leeren erklären, da die Teile einander weichen können; ein Körper verläßt den Raum, in welchen ein andrer eintritt, wie dies bei den Wirbeln im Flüssigen der Fall ist.4
Vielmehr zeigt sich, daß gerade unter Voraussetzung eines für sich bestehenden leeren Raumes alle Bewegung un- möglich wird.5 Jedenfalls bedarf man des Leeren nicht als Ursache der räumlichen Bewegung; denn die Körper haben eine natürliche Bewegung nach oben oder unten, für welche im Leeren kein Grund zu sehen ist. Was sollte wohl mit einem Körper geschehen, der in das Leere hineingelegt würde, wohin sollte er bewegt werden? Es gibt ja doch im Leeren keinerlei Unterschiede der Richtung nach oben oder unten, weil es da-
1Phys. IV. 8. 216 b. Zeller a. a. O. S. 400.
2De coelo I, 9. 279a. Zeller a. a. O. S. 401.
3Phys. IV. 6. 213 b. 4 f.
4Phys. IV. 7. 214a. 31.
5 Die ganze folgende Entwickelung in Phys. IV, 8.
Aristoteles: Gegen das Vacuum.
Die Unmöglichkeit der Existenz des leeren Raumes zeigt sich ferner darin, daß die Körper in diesem Falle einen Raum einnehmen würden, der sich von einem ebenso ge- stalteten und ebenso großen leeren Raum gar nicht unter- scheiden würde. Wenn nun derartige Größen, Körper und leerer Raum, an denselben Ort zusammenfallen, so würde man zwei Räume, den leeren und den vollen, ineinander haben, und mit demselben Rechte beliebig viele. Wozu aber soll ein Körper, da er seine Ausdehnung in sich selbst hat, noch einen solchen Raum außerdem haben, durch welchen an seiner Masse gar nichts geändert wird?1
Ein außerweltlicher leerer Raum ist nicht möglich, weil sich daraus der Widerspruch ergäbe, daß ein Körper dort sein müßte, wo keiner sein kann.2
Die Atomisten haben die Annahme des leeren Raumes darauf gründen wollen, daß ohne denselben Bewegung nicht möglich sei; nämlich die räumliche Bewegung und die Bewe- gung der Vermehrung (#, vgl. S. 90) können nicht ohne Leeres stattfinden, weil das Volle den bewegten Körper oder einen neu hinzukommenden Körper nicht aufzu- nehmen imstande sei.3 Die Bewegung läßt sich aber auch ohne Annahme des Leeren erklären, da die Teile einander weichen können; ein Körper verläßt den Raum, in welchen ein andrer eintritt, wie dies bei den Wirbeln im Flüssigen der Fall ist.4
Vielmehr zeigt sich, daß gerade unter Voraussetzung eines für sich bestehenden leeren Raumes alle Bewegung un- möglich wird.5 Jedenfalls bedarf man des Leeren nicht als Ursache der räumlichen Bewegung; denn die Körper haben eine natürliche Bewegung nach oben oder unten, für welche im Leeren kein Grund zu sehen ist. Was sollte wohl mit einem Körper geschehen, der in das Leere hineingelegt würde, wohin sollte er bewegt werden? Es gibt ja doch im Leeren keinerlei Unterschiede der Richtung nach oben oder unten, weil es da-
1Phys. IV. 8. 216 b. Zeller a. a. O. S. 400.
2De coelo I, 9. 279a. Zeller a. a. O. S. 401.
3Phys. IV. 6. 213 b. 4 f.
4Phys. IV. 7. 214a. 31.
5 Die ganze folgende Entwickelung in Phys. IV, 8.
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Aristoteles: Gegen das Vacuum.
Die Unmöglichkeit der Existenz des leeren Raumes zeigt
sich ferner darin, daß die Körper in diesem Falle einen
Raum einnehmen würden, der sich von einem ebenso ge-
stalteten und ebenso großen leeren Raum gar nicht unter-
scheiden würde. Wenn nun derartige Größen, Körper und
leerer Raum, an denselben Ort zusammenfallen, so würde
man zwei Räume, den leeren und den vollen, ineinander
haben, und mit demselben Rechte beliebig viele. Wozu aber
soll ein Körper, da er seine Ausdehnung in sich selbst hat,
noch einen solchen Raum außerdem haben, durch welchen an
seiner Masse gar nichts geändert wird? 1
Ein außerweltlicher leerer Raum ist nicht möglich, weil
sich daraus der Widerspruch ergäbe, daß ein Körper dort sein
müßte, wo keiner sein kann. 2
Die Atomisten haben die Annahme des leeren Raumes
darauf gründen wollen, daß ohne denselben Bewegung nicht
möglich sei; nämlich die räumliche Bewegung und die Bewe-
gung der Vermehrung (#, vgl. S. 90) können
nicht ohne Leeres stattfinden, weil das Volle den bewegten
Körper oder einen neu hinzukommenden Körper nicht aufzu-
nehmen imstande sei. 3 Die Bewegung läßt sich aber auch
ohne Annahme des Leeren erklären, da die Teile einander
weichen können; ein Körper verläßt den Raum, in welchen
ein andrer eintritt, wie dies bei den Wirbeln im Flüssigen der
Fall ist. 4
Vielmehr zeigt sich, daß gerade unter Voraussetzung
eines für sich bestehenden leeren Raumes alle Bewegung un-
möglich wird. 5 Jedenfalls bedarf man des Leeren nicht als
Ursache der räumlichen Bewegung; denn die Körper haben
eine natürliche Bewegung nach oben oder unten, für welche
im Leeren kein Grund zu sehen ist. Was sollte wohl mit einem
Körper geschehen, der in das Leere hineingelegt würde, wohin
sollte er bewegt werden? Es gibt ja doch im Leeren keinerlei
Unterschiede der Richtung nach oben oder unten, weil es da-
1 Phys. IV. 8. 216 b. Zeller a. a. O. S. 400.
2 De coelo I, 9. 279a. Zeller a. a. O. S. 401.
3 Phys. IV. 6. 213 b. 4 f.
4 Phys. IV. 7. 214a. 31.
5 Die ganze folgende Entwickelung in Phys. IV, 8.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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