Schriften des Aristoteles eine sorgfältigere Beachtung und ausführliche Erklärung.
Nachdem bereits im 11. Jahrhundert medizinische Schriften des Altertums durch arabische Übersetzungen dem Abendlande bekannt geworden waren, und die Araber, wie wir sahen, im An- fange des 12. Jahrhunderts auf Männer wie Wilhelm von Conches und Adelard von Bath Einfluß gewonnen hatten, erfolgte um 1150 die erste Übersetzung von aristotelischen Schriften (zu- gleich mit physikalischen Schriften des Ibn Sina und andrer Araber) aus dem Arabischen durch das Castilische ins Lateinische auf Veranlassung des Erzbischofs Raimond von Toledo. Bis gegen 1225 finden wir im Abendlande von physikalischen und metaphysischen Schriften des Aristoteles nur solche als bekannt vor, die durch das Arabische zum Teil in entstellter Weise übermittelt waren.
Das Lesen dieser naturphilosophischen Schriften wurde im Jahre 1210 durch ein Provinzialkonzil zu Paris verboten, des- gleichen wiederum 1215 in den Statuten der Pariser Universität. 1225 wurde auch die Schrift ErigenasDe divisione naturae den Flammen überliefert, aber 1231 deklarierte Papst Gregor IX. den Beschluß des Provinzialkonzils von 1210 dahin, daß die verbotenen physikalischen Schriften so lange nicht gebraucht werden sollten, bis sie geprüft und vom Verdacht des Irrtums gereinigt seien. Inzwischen nämlich hatte man angefangen (vielleicht wirkte das Verbot selbst gerade in diesem Sinne), die Schriften des Aristoteles aus besseren Quellen kennen zu lernen. Mit Eifer versuchte man sich griechische Handschriften zu verschaffen, nachdem fast alle Werke des Aristoteles nebst den Kommentaren des Ibn Roschd und andrer Araber bereits aus arabischen Quellen bekannt waren. Auch hat das Verbot an der Pariser Universität nach Roger Baco1 nur bis 1237 be- standen, und 1254 finden wir sowohl die Metaphysik als Physik des Aristoteles in den Kreis der offiziellen Lehrgegenstände der Facultas artium aufgenommen. Wilhelm von Auvergne, Erzbischof von Paris (+ 1248), ist der erste Scholastiker, bei welchem man die vollständige Kenntnis der aristotelischen Schriften findet. Er verwarf alles, was sich nicht mit der
1Überweg-Heinze II, S. 222.
Verbreitung der Schriften des Aristoteles.
Schriften des Aristoteles eine sorgfältigere Beachtung und ausführliche Erklärung.
Nachdem bereits im 11. Jahrhundert medizinische Schriften des Altertums durch arabische Übersetzungen dem Abendlande bekannt geworden waren, und die Araber, wie wir sahen, im An- fange des 12. Jahrhunderts auf Männer wie Wilhelm von Conches und Adelard von Bath Einfluß gewonnen hatten, erfolgte um 1150 die erste Übersetzung von aristotelischen Schriften (zu- gleich mit physikalischen Schriften des Ibn Sina und andrer Araber) aus dem Arabischen durch das Castilische ins Lateinische auf Veranlassung des Erzbischofs Raimond von Toledo. Bis gegen 1225 finden wir im Abendlande von physikalischen und metaphysischen Schriften des Aristoteles nur solche als bekannt vor, die durch das Arabische zum Teil in entstellter Weise übermittelt waren.
Das Lesen dieser naturphilosophischen Schriften wurde im Jahre 1210 durch ein Provinzialkonzil zu Paris verboten, des- gleichen wiederum 1215 in den Statuten der Pariser Universität. 1225 wurde auch die Schrift ErigenasDe divisione naturae den Flammen überliefert, aber 1231 deklarierte Papst Gregor IX. den Beschluß des Provinzialkonzils von 1210 dahin, daß die verbotenen physikalischen Schriften so lange nicht gebraucht werden sollten, bis sie geprüft und vom Verdacht des Irrtums gereinigt seien. Inzwischen nämlich hatte man angefangen (vielleicht wirkte das Verbot selbst gerade in diesem Sinne), die Schriften des Aristoteles aus besseren Quellen kennen zu lernen. Mit Eifer versuchte man sich griechische Handschriften zu verschaffen, nachdem fast alle Werke des Aristoteles nebst den Kommentaren des Ibn Roschd und andrer Araber bereits aus arabischen Quellen bekannt waren. Auch hat das Verbot an der Pariser Universität nach Roger Baco1 nur bis 1237 be- standen, und 1254 finden wir sowohl die Metaphysik als Physik des Aristoteles in den Kreis der offiziellen Lehrgegenstände der Facultas artium aufgenommen. Wilhelm von Auvergne, Erzbischof von Paris († 1248), ist der erste Scholastiker, bei welchem man die vollständige Kenntnis der aristotelischen Schriften findet. Er verwarf alles, was sich nicht mit der
1Überweg-Heinze II, S. 222.
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[86/0104]
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Schriften des Aristoteles eine sorgfältigere Beachtung und
ausführliche Erklärung.
Nachdem bereits im 11. Jahrhundert medizinische Schriften
des Altertums durch arabische Übersetzungen dem Abendlande
bekannt geworden waren, und die Araber, wie wir sahen, im An-
fange des 12. Jahrhunderts auf Männer wie Wilhelm von Conches
und Adelard von Bath Einfluß gewonnen hatten, erfolgte um
1150 die erste Übersetzung von aristotelischen Schriften (zu-
gleich mit physikalischen Schriften des Ibn Sina und andrer
Araber) aus dem Arabischen durch das Castilische ins Lateinische
auf Veranlassung des Erzbischofs Raimond von Toledo. Bis
gegen 1225 finden wir im Abendlande von physikalischen und
metaphysischen Schriften des Aristoteles nur solche als bekannt
vor, die durch das Arabische zum Teil in entstellter Weise
übermittelt waren.
Das Lesen dieser naturphilosophischen Schriften wurde im
Jahre 1210 durch ein Provinzialkonzil zu Paris verboten, des-
gleichen wiederum 1215 in den Statuten der Pariser Universität.
1225 wurde auch die Schrift Erigenas De divisione naturae
den Flammen überliefert, aber 1231 deklarierte Papst Gregor IX.
den Beschluß des Provinzialkonzils von 1210 dahin, daß
die verbotenen physikalischen Schriften so lange nicht gebraucht
werden sollten, bis sie geprüft und vom Verdacht des Irrtums
gereinigt seien. Inzwischen nämlich hatte man angefangen
(vielleicht wirkte das Verbot selbst gerade in diesem Sinne),
die Schriften des Aristoteles aus besseren Quellen kennen zu
lernen. Mit Eifer versuchte man sich griechische Handschriften
zu verschaffen, nachdem fast alle Werke des Aristoteles nebst
den Kommentaren des Ibn Roschd und andrer Araber bereits
aus arabischen Quellen bekannt waren. Auch hat das Verbot
an der Pariser Universität nach Roger Baco 1 nur bis 1237 be-
standen, und 1254 finden wir sowohl die Metaphysik als Physik
des Aristoteles in den Kreis der offiziellen Lehrgegenstände
der Facultas artium aufgenommen. Wilhelm von Auvergne,
Erzbischof von Paris († 1248), ist der erste Scholastiker, bei
welchem man die vollständige Kenntnis der aristotelischen
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1 Überweg-Heinze II, S. 222.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/104>, abgerufen am 22.11.2024.
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