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Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

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hindert werden, sich von diesen Materien zu unterrichten, um die-
sen gesetzgeberischen Gebrauch von ihrem Wahlrecht zu machen?
Erinnern Sie sich noch jenes Seufzers des Ministeriums Man-
teuffel, daß die öffentliche Meinung für diese unabweisbare
Reform, für diese vom Staat seit 1847 als unabweisbar er-
kannte Reform noch nicht hinlänglich vorbereitet sei? Erinnern
Sie sich, wie die Königliche Botschaft selbst constatirt, sie könne
nichts thun, ehe eine solche öffentliche Meinung erzeugt sei?
Wo soll sie erzeugt werden? Bei den höheren Ständen der
Gesellschaft, die selbst der Königlichen Botschaft gegenüber taub
blieben? Oder bei den unteren Ständen, deren eigenes drin-
gendes Jnteresse hier im Spiel ist, welche aufgeopfert werden
jener öffentlichen Meinung, und die in ihren Versammlungen
und ihrem Wahlrecht legale Mittel haben, eine andere öffentliche
Meinung herbeizuführen?

Das alles hat der erste Richter in seinem Motiv von dem
nicht auf "der Höhe der Bildung stehenden" Publikum einfach
übersehen. Er ist einfach mit seinem Bewußtsein in die Zeit
des Absolutismus zurückgefallen, wo das ungebildete Volk, die
misera plebs contribuens, durch solche Belehrung über die Natur
der Steuereinrichtungen oder anderer Gesetze, auf die sie einzu-
wirken kein gesetzliches Mittel hatte, allerdings nur unnütz auf-
geregt werden konnte.

Daß ein Richter in seinem Bewußtsein in den Absolutis-
mus zurückfällt, unter dem er groß geworden und erzogen ist,
ist sehr natürlich und würde an und für sich ein geringes Un-
glück sein.

Aber die Sache hat ernsthaftere Folgen.

Ein richterliches Urtheil ist ein Ding, welches durch die
öffentliche Gewalt, durch Polizei und Militär vollstreckt wird.

Jedes richterliche Urtheil ist somit eine Gewalt anwendende
Handlung, ein Act der Gewalt, und soll dies sein.

Jndem nun dies richterliche Urtheil mich, und nicht mich
allein, sondern eben so alle, die in gleicher Lage und von glei-
chem Willen wären, gewaltsam abhält und uns verbietet, die
unteren Klassen über jene Gesetzgebungsmaterien zu unterrichten,
verhindert es durch eine gewaltsame Handlung das Volk, sein
verfassungsmäßiges Gesetzgebungs- und Wahlrecht cum cogni-
tione causae
auszuüben. Und es entsteht somit die Frage --
oder vielmehr, es würde, wenn heut die herbe Consequenz rö-

hindert werden, ſich von dieſen Materien zu unterrichten, um die-
ſen geſetzgeberiſchen Gebrauch von ihrem Wahlrecht zu machen?
Erinnern Sie ſich noch jenes Seufzers des Miniſteriums Man-
teuffel, daß die öffentliche Meinung für dieſe unabweisbare
Reform, für dieſe vom Staat ſeit 1847 als unabweisbar er-
kannte Reform noch nicht hinlänglich vorbereitet ſei? Erinnern
Sie ſich, wie die Königliche Botſchaft ſelbſt conſtatirt, ſie könne
nichts thun, ehe eine ſolche öffentliche Meinung erzeugt ſei?
Wo ſoll ſie erzeugt werden? Bei den höheren Ständen der
Geſellſchaft, die ſelbſt der Königlichen Botſchaft gegenüber taub
blieben? Oder bei den unteren Ständen, deren eigenes drin-
gendes Jntereſſe hier im Spiel iſt, welche aufgeopfert werden
jener öffentlichen Meinung, und die in ihren Verſammlungen
und ihrem Wahlrecht legale Mittel haben, eine andere öffentliche
Meinung herbeizuführen?

Das alles hat der erſte Richter in ſeinem Motiv von dem
nicht auf „der Höhe der Bildung ſtehenden“ Publikum einfach
überſehen. Er iſt einfach mit ſeinem Bewußtſein in die Zeit
des Abſolutismus zurückgefallen, wo das ungebildete Volk, die
misera plebs contribuens, durch ſolche Belehrung über die Natur
der Steuereinrichtungen oder anderer Geſetze, auf die ſie einzu-
wirken kein geſetzliches Mittel hatte, allerdings nur unnütz auf-
geregt werden konnte.

Daß ein Richter in ſeinem Bewußtſein in den Abſolutis-
mus zurückfällt, unter dem er groß geworden und erzogen iſt,
iſt ſehr natürlich und würde an und für ſich ein geringes Un-
glück ſein.

Aber die Sache hat ernſthaftere Folgen.

Ein richterliches Urtheil iſt ein Ding, welches durch die
öffentliche Gewalt, durch Polizei und Militär vollſtreckt wird.

Jedes richterliche Urtheil iſt ſomit eine Gewalt anwendende
Handlung, ein Act der Gewalt, und ſoll dies ſein.

Jndem nun dies richterliche Urtheil mich, und nicht mich
allein, ſondern eben ſo alle, die in gleicher Lage und von glei-
chem Willen wären, gewaltſam abhält und uns verbietet, die
unteren Klaſſen über jene Geſetzgebungsmaterien zu unterrichten,
verhindert es durch eine gewaltſame Handlung das Volk, ſein
verfaſſungsmäßiges Geſetzgebungs- und Wahlrecht cum cogni-
tione causae
auszuüben. Und es entſteht ſomit die Frage —
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[124/0130] hindert werden, ſich von dieſen Materien zu unterrichten, um die- ſen geſetzgeberiſchen Gebrauch von ihrem Wahlrecht zu machen? Erinnern Sie ſich noch jenes Seufzers des Miniſteriums Man- teuffel, daß die öffentliche Meinung für dieſe unabweisbare Reform, für dieſe vom Staat ſeit 1847 als unabweisbar er- kannte Reform noch nicht hinlänglich vorbereitet ſei? Erinnern Sie ſich, wie die Königliche Botſchaft ſelbſt conſtatirt, ſie könne nichts thun, ehe eine ſolche öffentliche Meinung erzeugt ſei? Wo ſoll ſie erzeugt werden? Bei den höheren Ständen der Geſellſchaft, die ſelbſt der Königlichen Botſchaft gegenüber taub blieben? Oder bei den unteren Ständen, deren eigenes drin- gendes Jntereſſe hier im Spiel iſt, welche aufgeopfert werden jener öffentlichen Meinung, und die in ihren Verſammlungen und ihrem Wahlrecht legale Mittel haben, eine andere öffentliche Meinung herbeizuführen? Das alles hat der erſte Richter in ſeinem Motiv von dem nicht auf „der Höhe der Bildung ſtehenden“ Publikum einfach überſehen. Er iſt einfach mit ſeinem Bewußtſein in die Zeit des Abſolutismus zurückgefallen, wo das ungebildete Volk, die misera plebs contribuens, durch ſolche Belehrung über die Natur der Steuereinrichtungen oder anderer Geſetze, auf die ſie einzu- wirken kein geſetzliches Mittel hatte, allerdings nur unnütz auf- geregt werden konnte. Daß ein Richter in ſeinem Bewußtſein in den Abſolutis- mus zurückfällt, unter dem er groß geworden und erzogen iſt, iſt ſehr natürlich und würde an und für ſich ein geringes Un- glück ſein. Aber die Sache hat ernſthaftere Folgen. Ein richterliches Urtheil iſt ein Ding, welches durch die öffentliche Gewalt, durch Polizei und Militär vollſtreckt wird. Jedes richterliche Urtheil iſt ſomit eine Gewalt anwendende Handlung, ein Act der Gewalt, und ſoll dies ſein. Jndem nun dies richterliche Urtheil mich, und nicht mich allein, ſondern eben ſo alle, die in gleicher Lage und von glei- chem Willen wären, gewaltſam abhält und uns verbietet, die unteren Klaſſen über jene Geſetzgebungsmaterien zu unterrichten, verhindert es durch eine gewaltſame Handlung das Volk, ſein verfaſſungsmäßiges Geſetzgebungs- und Wahlrecht cum cogni- tione causae auszuüben. Und es entſteht ſomit die Frage — oder vielmehr, es würde, wenn heut die herbe Conſequenz rö-

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Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/130>, abgerufen am 24.11.2024.