Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.Der erste Richter hat sich sogar selbst dem Eingeständniß Also weil die Arbeiter angeblich ungebildet seien, des- Eine brennende historische Erinnerung aus unserer vater- Was mich betrifft, so habe ich dem ersten Richter zwei *) S. die Neuere und neueste Preußische Geschichte, mit Benutzung vieler
bisher ungedruckter Quellen etc. von Dr. Fr. Förster. Bd. II. p. 523. Der erſte Richter hat ſich ſogar ſelbſt dem Eingeſtändniß Alſo weil die Arbeiter angeblich ungebildet ſeien, des- Eine brennende hiſtoriſche Erinnerung aus unſerer vater- Was mich betrifft, ſo habe ich dem erſten Richter zwei *) S. die Neuere und neueſte Preußiſche Geſchichte, mit Benutzung vieler
bisher ungedruckter Quellen ꝛc. von Dr. Fr. Förſter. Bd. II. p. 523. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <floatingText> <body> <div type="letter"> <pb facs="#f0125" n="119"/> <p>Der erſte Richter hat ſich ſogar ſelbſt dem Eingeſtändniß<lb/> nicht entziehen können, daß er den Vortrag eben <hi rendition="#g">deshalb</hi><lb/> verurtheile, weil er <hi rendition="#g">vor Arbeitern</hi> gehalten worden ſei.<lb/> Das Urtheil leitet die Strafbarkeit meines Vortrags ab — ich<lb/> citire wörtlich — „namentlich aus der Art und Weiſe, wie der<lb/> Angeklagte die gezogenen Reſultate ſeiner Reflexionen zuſammen-<lb/> ſtellt, formulirt und <hi rendition="#g">einem Publikum</hi> vorträgt, welches<lb/><hi rendition="#g">nicht auf der Höhe der Bildung ſteht,</hi> das mehr Wiſſen-<lb/> ſchaftliche in ſeinem Vortrag zu faſſen.“</p><lb/> <p>Alſo weil die Arbeiter angeblich <hi rendition="#g">ungebildet</hi> ſeien, <hi rendition="#g">des-<lb/> halb</hi> ſei mein Vortrag ein Verbrechen!</p><lb/> <p>Eine brennende hiſtoriſche Erinnerung aus unſerer vater-<lb/> ländiſchen Geſchichte fällt mir aufs Herz. Jm Jahre 1811 am<lb/> 9. Mai reichten die Rittergutsbeſitzer (Stände) des Lebus’ſchen,<lb/> Storkow- und Buskow’ſchen Kreiſes eine Vorſtellung beim<lb/> König ein, in welcher ſie gegen die revolutionären Maßregeln<lb/> Hardenberg’s Einſprache erhoben, ſich gleichfalls darauf be-<lb/> ziehend, daß die unteren Stände die <hi rendition="#g">ungebildeten</hi> ſeien.<lb/> Der Staatskanzler Hardenberg, welchem der König dieſe Ein-<lb/> gabe übergiebt, macht zu dieſer Stelle den Randvermerk: „Jhr<lb/> wollt von <hi rendition="#g">Ungebildeten</hi> reden? <hi rendition="#g">Wer ſind</hi> die Ungebil-<lb/> deten? Könnte man die Rittergutsbeſitzer, welche die Anſtifter<lb/> dieſer Vorſtellung waren, nicht <hi rendition="#g">vor allen andern</hi> dazu<lb/> zählen? Das Ganze iſt <hi rendition="#g">eine Rodomontade.</hi>“ <note place="foot" n="*)">S. die Neuere und neueſte Preußiſche Geſchichte, mit Benutzung vieler<lb/> bisher ungedruckter Quellen ꝛc. von <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Fr. Förſter. Bd. <hi rendition="#aq">II. p.</hi> 523.</note> — So<lb/> Hardenberg!</p><lb/> <p>Was mich betrifft, ſo habe ich dem erſten Richter zwei<lb/> Antworten zu geben, eine Antwort <hi rendition="#aq">in facto</hi> und eine <hi rendition="#aq">in jure.</hi> —<lb/> Zuerſt meine Antwort <hi rendition="#aq">in facto.</hi> Der erſte Richter irrt gewaltig,<lb/> wenn er glaubt, daß die Arbeiter als die Ungebildeten weniger<lb/> fähig ſeien, die Lehren der Wiſſenſchaft in ſich aufzunehmen,<lb/> als das „auf der Höhe der Bildung ſtehende“ Publikum der<lb/> Singakademie. Handelt es ſich um die geſellige Bildung des<lb/> eleganten Salons, — ei, ſo iſt allerdings ein enormer Unter-<lb/> ſchied zwiſchen Bourgeoiſie und Arbeiterſtand. Handelt es ſich<lb/> aber um die Lehren der Wiſſenſchaft, ſo ſtehen die Arbeiter<lb/> denſelben durchaus nicht ferner, als die gebildete Bourgeoiſie<lb/> im Allgemeinen, ſtehen ihnen <hi rendition="#g">eher bei weitem näher.</hi> Denn<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [119/0125]
Der erſte Richter hat ſich ſogar ſelbſt dem Eingeſtändniß
nicht entziehen können, daß er den Vortrag eben deshalb
verurtheile, weil er vor Arbeitern gehalten worden ſei.
Das Urtheil leitet die Strafbarkeit meines Vortrags ab — ich
citire wörtlich — „namentlich aus der Art und Weiſe, wie der
Angeklagte die gezogenen Reſultate ſeiner Reflexionen zuſammen-
ſtellt, formulirt und einem Publikum vorträgt, welches
nicht auf der Höhe der Bildung ſteht, das mehr Wiſſen-
ſchaftliche in ſeinem Vortrag zu faſſen.“
Alſo weil die Arbeiter angeblich ungebildet ſeien, des-
halb ſei mein Vortrag ein Verbrechen!
Eine brennende hiſtoriſche Erinnerung aus unſerer vater-
ländiſchen Geſchichte fällt mir aufs Herz. Jm Jahre 1811 am
9. Mai reichten die Rittergutsbeſitzer (Stände) des Lebus’ſchen,
Storkow- und Buskow’ſchen Kreiſes eine Vorſtellung beim
König ein, in welcher ſie gegen die revolutionären Maßregeln
Hardenberg’s Einſprache erhoben, ſich gleichfalls darauf be-
ziehend, daß die unteren Stände die ungebildeten ſeien.
Der Staatskanzler Hardenberg, welchem der König dieſe Ein-
gabe übergiebt, macht zu dieſer Stelle den Randvermerk: „Jhr
wollt von Ungebildeten reden? Wer ſind die Ungebil-
deten? Könnte man die Rittergutsbeſitzer, welche die Anſtifter
dieſer Vorſtellung waren, nicht vor allen andern dazu
zählen? Das Ganze iſt eine Rodomontade.“ *) — So
Hardenberg!
Was mich betrifft, ſo habe ich dem erſten Richter zwei
Antworten zu geben, eine Antwort in facto und eine in jure. —
Zuerſt meine Antwort in facto. Der erſte Richter irrt gewaltig,
wenn er glaubt, daß die Arbeiter als die Ungebildeten weniger
fähig ſeien, die Lehren der Wiſſenſchaft in ſich aufzunehmen,
als das „auf der Höhe der Bildung ſtehende“ Publikum der
Singakademie. Handelt es ſich um die geſellige Bildung des
eleganten Salons, — ei, ſo iſt allerdings ein enormer Unter-
ſchied zwiſchen Bourgeoiſie und Arbeiterſtand. Handelt es ſich
aber um die Lehren der Wiſſenſchaft, ſo ſtehen die Arbeiter
denſelben durchaus nicht ferner, als die gebildete Bourgeoiſie
im Allgemeinen, ſtehen ihnen eher bei weitem näher. Denn
*) S. die Neuere und neueſte Preußiſche Geſchichte, mit Benutzung vieler
bisher ungedruckter Quellen ꝛc. von Dr. Fr. Förſter. Bd. II. p. 523.
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