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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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arme Kinder aus der Taufe heben, damit
es Kinder mit ihrem Namen hier giebt,
und diese sollen, wie meine Aennchens,
vorzüglich in mein Gesindhaus kommen.

Meine Brille machte mich müde; ich
konnte heute früh nicht weiter schreiben,
und da mir die Zeit nach Madam Leidens
lang war: so gieng ich schnur gerade hin
ins Haus der Frau G. Es reute mich,
weil mir die Leute so viel dankten, und
vielleicht geglaubt haben, ich wäre des-
wegen gekommen; und es geschah doch
bloß, um meine Tochter zu sehen; denn
ich sag' Jhnen, wenn sie zurück kömmt,
muß sie mich ihre Mutter nennen.

Jch ließ mein Aufwartmädchen die
Thüre ein wenig aufmachen, und es war
gewiß schön in dem Zimmer durch die
Leute darinn, nicht durch die Möbeln,
denn es sind keine schöne da; -- Stroh-
stülchen und ein Paar Tische. Jn einer
Ecke war der Vater mit dem ältesten
Sohne, der bey ihm schrieb und rechnete;
im halben Zimmer der andre Tisch; Frau G.
strickte; Jungfer Lehne saß zwischen den zwo

klei-


arme Kinder aus der Taufe heben, damit
es Kinder mit ihrem Namen hier giebt,
und dieſe ſollen, wie meine Aennchens,
vorzuͤglich in mein Geſindhaus kommen.

Meine Brille machte mich muͤde; ich
konnte heute fruͤh nicht weiter ſchreiben,
und da mir die Zeit nach Madam Leidens
lang war: ſo gieng ich ſchnur gerade hin
ins Haus der Frau G. Es reute mich,
weil mir die Leute ſo viel dankten, und
vielleicht geglaubt haben, ich waͤre des-
wegen gekommen; und es geſchah doch
bloß, um meine Tochter zu ſehen; denn
ich ſag’ Jhnen, wenn ſie zuruͤck koͤmmt,
muß ſie mich ihre Mutter nennen.

Jch ließ mein Aufwartmaͤdchen die
Thuͤre ein wenig aufmachen, und es war
gewiß ſchoͤn in dem Zimmer durch die
Leute darinn, nicht durch die Moͤbeln,
denn es ſind keine ſchoͤne da; — Stroh-
ſtuͤlchen und ein Paar Tiſche. Jn einer
Ecke war der Vater mit dem aͤlteſten
Sohne, der bey ihm ſchrieb und rechnete;
im halben Zimmer der andre Tiſch; Frau G.
ſtrickte; Jungfer Lehne ſaß zwiſchen den zwo

klei-
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[88/0094] arme Kinder aus der Taufe heben, damit es Kinder mit ihrem Namen hier giebt, und dieſe ſollen, wie meine Aennchens, vorzuͤglich in mein Geſindhaus kommen. Meine Brille machte mich muͤde; ich konnte heute fruͤh nicht weiter ſchreiben, und da mir die Zeit nach Madam Leidens lang war: ſo gieng ich ſchnur gerade hin ins Haus der Frau G. Es reute mich, weil mir die Leute ſo viel dankten, und vielleicht geglaubt haben, ich waͤre des- wegen gekommen; und es geſchah doch bloß, um meine Tochter zu ſehen; denn ich ſag’ Jhnen, wenn ſie zuruͤck koͤmmt, muß ſie mich ihre Mutter nennen. Jch ließ mein Aufwartmaͤdchen die Thuͤre ein wenig aufmachen, und es war gewiß ſchoͤn in dem Zimmer durch die Leute darinn, nicht durch die Moͤbeln, denn es ſind keine ſchoͤne da; — Stroh- ſtuͤlchen und ein Paar Tiſche. Jn einer Ecke war der Vater mit dem aͤlteſten Sohne, der bey ihm ſchrieb und rechnete; im halben Zimmer der andre Tiſch; Frau G. ſtrickte; Jungfer Lehne ſaß zwiſchen den zwo klei-

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/94>, abgerufen am 02.05.2024.