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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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ihn nicht geliebt, sondern nur immer
Mylord Seymourn im Herzen gehabt;
dieses hätte seine Liebe ausgelöscht, sonst
wäre er unverändert geblieben. Der
ruchlose Mensch! Ewiger Gott! Jch, ich
habe auch zu der Heurath geholfen!
Wär' ich nur zum Lord Seymour ge-
gangen! ach wir waren beyde verblen-
det -- ich darf unsere Dame nicht an-
sehen; das Herz bricht mir; sie ißt nichts;
sie ist den ganzen Tag auf den Knien vor
einem Stuhl, da hat sie ihren Kopf lie-
gen; unbeweglich, außer, daß sie manch-
mal ihre Arme gen Himmel streckt, und
mit einer sterbenden Stimme ruft: ach
Gott, ach mein Gott!

Sie weint wenig, und nur seit heute;
die ersten zween Tage fürchtete ich, wir
würden beyde den Verstand verlieren,
und es ist ein Wunder von Gott, daß es
nicht geschehen ist.

Zwo Wochen hörten wir nichts vom
Lord; sein Kerl reiste weg, und fünf
Tage darnach kam der Brief, der uns so
unglücklich machte. Der verfluchte Böse-

wicht


ihn nicht geliebt, ſondern nur immer
Mylord Seymourn im Herzen gehabt;
dieſes haͤtte ſeine Liebe ausgeloͤſcht, ſonſt
waͤre er unveraͤndert geblieben. Der
ruchloſe Menſch! Ewiger Gott! Jch, ich
habe auch zu der Heurath geholfen!
Waͤr’ ich nur zum Lord Seymour ge-
gangen! ach wir waren beyde verblen-
det — ich darf unſere Dame nicht an-
ſehen; das Herz bricht mir; ſie ißt nichts;
ſie iſt den ganzen Tag auf den Knien vor
einem Stuhl, da hat ſie ihren Kopf lie-
gen; unbeweglich, außer, daß ſie manch-
mal ihre Arme gen Himmel ſtreckt, und
mit einer ſterbenden Stimme ruft: ach
Gott, ach mein Gott!

Sie weint wenig, und nur ſeit heute;
die erſten zween Tage fuͤrchtete ich, wir
wuͤrden beyde den Verſtand verlieren,
und es iſt ein Wunder von Gott, daß es
nicht geſchehen iſt.

Zwo Wochen hoͤrten wir nichts vom
Lord; ſein Kerl reiſte weg, und fuͤnf
Tage darnach kam der Brief, der uns ſo
ungluͤcklich machte. Der verfluchte Boͤſe-

wicht
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[48/0054] ihn nicht geliebt, ſondern nur immer Mylord Seymourn im Herzen gehabt; dieſes haͤtte ſeine Liebe ausgeloͤſcht, ſonſt waͤre er unveraͤndert geblieben. Der ruchloſe Menſch! Ewiger Gott! Jch, ich habe auch zu der Heurath geholfen! Waͤr’ ich nur zum Lord Seymour ge- gangen! ach wir waren beyde verblen- det — ich darf unſere Dame nicht an- ſehen; das Herz bricht mir; ſie ißt nichts; ſie iſt den ganzen Tag auf den Knien vor einem Stuhl, da hat ſie ihren Kopf lie- gen; unbeweglich, außer, daß ſie manch- mal ihre Arme gen Himmel ſtreckt, und mit einer ſterbenden Stimme ruft: ach Gott, ach mein Gott! Sie weint wenig, und nur ſeit heute; die erſten zween Tage fuͤrchtete ich, wir wuͤrden beyde den Verſtand verlieren, und es iſt ein Wunder von Gott, daß es nicht geſchehen iſt. Zwo Wochen hoͤrten wir nichts vom Lord; ſein Kerl reiſte weg, und fuͤnf Tage darnach kam der Brief, der uns ſo ungluͤcklich machte. Der verfluchte Boͤſe- wicht

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/54>, abgerufen am 23.11.2024.