mich wegen meiner vermehnten Mutter- treue geliebt habe, sie mich wegen meiner großmüthigen Liebe gegen das Blut mei- nes unwürdigen Verfolgers desto mehr liebe und bewundere. Zwo Stunden redte sie mit mir von vielen Sachen in einem feinen zärtlichen Tone fort. Die theure Lady besitzt eine bey den Großen seltene Eigenschaft; sie nimmt Antheil an den Leiden der Seele, und sucht mit der edelsten feinsten Empfindung Trost- worte und Hülfsmittel aus. Jn den Zeiten meines ehemaligen Umganges mit der großen glücklichen Welt beobachtete ich, daß ihr Mitleiden meistens für äußerliche Uebel, Krankheiten, Armuth u. s. w. in Bewegung kam; Kummer des Gemüths, Schmerzen der Seele, von denen man ih- nen redete oder die sie verursachten, mach- ten wenig Eindruck, und brachten selten ei- ne antheilnehmende Bewegung hervor. -- Aber sie werden auch selten gewöhnt, an den innerlichen Werth oder die wahre Be- schaffenheit der Sachen zu denken; durch äußerlichen Glanz verblenden sie und wer-
den
mich wegen meiner vermehnten Mutter- treue geliebt habe, ſie mich wegen meiner großmuͤthigen Liebe gegen das Blut mei- nes unwuͤrdigen Verfolgers deſto mehr liebe und bewundere. Zwo Stunden redte ſie mit mir von vielen Sachen in einem feinen zaͤrtlichen Tone fort. Die theure Lady beſitzt eine bey den Großen ſeltene Eigenſchaft; ſie nimmt Antheil an den Leiden der Seele, und ſucht mit der edelſten feinſten Empfindung Troſt- worte und Huͤlfsmittel aus. Jn den Zeiten meines ehemaligen Umganges mit der großen gluͤcklichen Welt beobachtete ich, daß ihr Mitleiden meiſtens fuͤr aͤußerliche Uebel, Krankheiten, Armuth u. ſ. w. in Bewegung kam; Kummer des Gemuͤths, Schmerzen der Seele, von denen man ih- nen redete oder die ſie verurſachten, mach- ten wenig Eindruck, und brachten ſelten ei- ne antheilnehmende Bewegung hervor. — Aber ſie werden auch ſelten gewoͤhnt, an den innerlichen Werth oder die wahre Be- ſchaffenheit der Sachen zu denken; durch aͤußerlichen Glanz verblenden ſie und wer-
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mich wegen meiner vermehnten Mutter-
treue geliebt habe, ſie mich wegen meiner
großmuͤthigen Liebe gegen das Blut mei-
nes unwuͤrdigen Verfolgers deſto mehr
liebe und bewundere. Zwo Stunden
redte ſie mit mir von vielen Sachen in
einem feinen zaͤrtlichen Tone fort. Die
theure Lady beſitzt eine bey den Großen
ſeltene Eigenſchaft; ſie nimmt Antheil an
den Leiden der Seele, und ſucht mit
der edelſten feinſten Empfindung Troſt-
worte und Huͤlfsmittel aus. Jn den
Zeiten meines ehemaligen Umganges mit
der großen gluͤcklichen Welt beobachtete ich,
daß ihr Mitleiden meiſtens fuͤr aͤußerliche
Uebel, Krankheiten, Armuth u. ſ. w. in
Bewegung kam; Kummer des Gemuͤths,
Schmerzen der Seele, von denen man ih-
nen redete oder die ſie verurſachten, mach-
ten wenig Eindruck, und brachten ſelten ei-
ne antheilnehmende Bewegung hervor. —
Aber ſie werden auch ſelten gewoͤhnt, an
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/275>, abgerufen am 08.05.2024.
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