Freude bey ihrer alten Tante zu machen. Hierauf gab Sie mir im Aufstehen einen Brief zu lesen, den das junge Paar ihr zusammen geschrieben hatte, und ent- fernte sich, um den Bedienten wieder ab- zufertigen. Was für ein Grauen über- fiel mich, meine Emilia, als ich die Hand des Lord Derby erblickte, der nun wirkli- cher Gemahl der jungen Lady Alton war! Mit bebenden Füssen eilte ich in mein Zimmer, um meine Betäubung vor der Lady Summers zu verbergen. Weinen konnte ich nicht, aber ich war dem Er- sticken nahe. Wie fühlte ich meine Un- vorsichtigkeit nach England gegangen zu seyn! Meinen Schutzort mußte ich ver- lieren; unmöglich war's in Summerhall zu bleiben. Ach ich gönnte dem Böse- wicht sein Glücke; aber warum mußte ich abermals das Opfer davon werden? Jch gieng ans Fenster, um Athem zu schöpfen, und erhob meine Augen gen Himmel; O Gott, mein Gott der du al- les zuläßt, erhalte mich in diesem Be- drängniß! Was soll ich thun? o meine
Emilia,
Freude bey ihrer alten Tante zu machen. Hierauf gab Sie mir im Aufſtehen einen Brief zu leſen, den das junge Paar ihr zuſammen geſchrieben hatte, und ent- fernte ſich, um den Bedienten wieder ab- zufertigen. Was fuͤr ein Grauen uͤber- fiel mich, meine Emilia, als ich die Hand des Lord Derby erblickte, der nun wirkli- cher Gemahl der jungen Lady Alton war! Mit bebenden Fuͤſſen eilte ich in mein Zimmer, um meine Betaͤubung vor der Lady Summers zu verbergen. Weinen konnte ich nicht, aber ich war dem Er- ſticken nahe. Wie fuͤhlte ich meine Un- vorſichtigkeit nach England gegangen zu ſeyn! Meinen Schutzort mußte ich ver- lieren; unmoͤglich war’s in Summerhall zu bleiben. Ach ich goͤnnte dem Boͤſe- wicht ſein Gluͤcke; aber warum mußte ich abermals das Opfer davon werden? Jch gieng ans Fenſter, um Athem zu ſchoͤpfen, und erhob meine Augen gen Himmel; O Gott, mein Gott der du al- les zulaͤßt, erhalte mich in dieſem Be- draͤngniß! Was ſoll ich thun? o meine
Emilia,
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Freude bey ihrer alten Tante zu machen.
Hierauf gab Sie mir im Aufſtehen einen
Brief zu leſen, den das junge Paar ihr
zuſammen geſchrieben hatte, und ent-
fernte ſich, um den Bedienten wieder ab-
zufertigen. Was fuͤr ein Grauen uͤber-
fiel mich, meine Emilia, als ich die Hand
des Lord Derby erblickte, der nun wirkli-
cher Gemahl der jungen Lady Alton war!
Mit bebenden Fuͤſſen eilte ich in mein
Zimmer, um meine Betaͤubung vor der
Lady Summers zu verbergen. Weinen
konnte ich nicht, aber ich war dem Er-
ſticken nahe. Wie fuͤhlte ich meine Un-
vorſichtigkeit nach England gegangen zu
ſeyn! Meinen Schutzort mußte ich ver-
lieren; unmoͤglich war’s in Summerhall
zu bleiben. Ach ich goͤnnte dem Boͤſe-
wicht ſein Gluͤcke; aber warum mußte
ich abermals das Opfer davon werden?
Jch gieng ans Fenſter, um Athem zu
ſchoͤpfen, und erhob meine Augen gen
Himmel; O Gott, mein Gott der du al-
les zulaͤßt, erhalte mich in dieſem Be-
draͤngniß! Was ſoll ich thun? o meine
Emilia,
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/197>, abgerufen am 21.11.2024.
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