lichen Person die Gebrechen der Mensch- heit zu entdecken, als eines zu finden ist, das die edle Billigkeit hat, einem andern den größten Antheil an Kenntnissen und Tugend einzugestehen, und ihn aufrichtig zu verehren.
Jch schickte einen Courier nach Florenz, und schrieb dem Grafen R. die Geschichte seiner würdigen Nichte. Aus der Ant- wort, so ich von ihm erhielt, erfuhr ich, daß er nicht das geringste von ihrem Auf- enthalte wisse. Alle Bemühungen, wel- che er bis itzt angewandt, sie auszuspä- hen, sind vergeblich gewesen; -- und alles dieß vergrößert die Vorwürfe, die ich mir wegen meiner übereilten Abreise von D. mache. Warum wartete ich nicht auf die Folge meiner Unterredung? -- wenn man bessern will, ist es genug, bit- tere Verweise zu geben? -- Mein ganzes Herz würde sich empören, wenn ich einen Kranken schlagen oder mishandeln sähe: und ich gab einer Person, die ich liebte, die ich für verblendet hielt, Streiche, die ihre Seele verwunden mußten! Aber ich
sah
lichen Perſon die Gebrechen der Menſch- heit zu entdecken, als eines zu finden iſt, das die edle Billigkeit hat, einem andern den groͤßten Antheil an Kenntniſſen und Tugend einzugeſtehen, und ihn aufrichtig zu verehren.
Jch ſchickte einen Courier nach Florenz, und ſchrieb dem Grafen R. die Geſchichte ſeiner wuͤrdigen Nichte. Aus der Ant- wort, ſo ich von ihm erhielt, erfuhr ich, daß er nicht das geringſte von ihrem Auf- enthalte wiſſe. Alle Bemuͤhungen, wel- che er bis itzt angewandt, ſie auszuſpaͤ- hen, ſind vergeblich geweſen; — und alles dieß vergroͤßert die Vorwuͤrfe, die ich mir wegen meiner uͤbereilten Abreiſe von D. mache. Warum wartete ich nicht auf die Folge meiner Unterredung? — wenn man beſſern will, iſt es genug, bit- tere Verweiſe zu geben? — Mein ganzes Herz wuͤrde ſich empoͤren, wenn ich einen Kranken ſchlagen oder mishandeln ſaͤhe: und ich gab einer Perſon, die ich liebte, die ich fuͤr verblendet hielt, Streiche, die ihre Seele verwunden mußten! Aber ich
ſah
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[12/0018]
lichen Perſon die Gebrechen der Menſch-
heit zu entdecken, als eines zu finden iſt,
das die edle Billigkeit hat, einem andern
den groͤßten Antheil an Kenntniſſen und
Tugend einzugeſtehen, und ihn aufrichtig
zu verehren.
Jch ſchickte einen Courier nach Florenz,
und ſchrieb dem Grafen R. die Geſchichte
ſeiner wuͤrdigen Nichte. Aus der Ant-
wort, ſo ich von ihm erhielt, erfuhr ich,
daß er nicht das geringſte von ihrem Auf-
enthalte wiſſe. Alle Bemuͤhungen, wel-
che er bis itzt angewandt, ſie auszuſpaͤ-
hen, ſind vergeblich geweſen; — und
alles dieß vergroͤßert die Vorwuͤrfe, die
ich mir wegen meiner uͤbereilten Abreiſe
von D. mache. Warum wartete ich nicht
auf die Folge meiner Unterredung? —
wenn man beſſern will, iſt es genug, bit-
tere Verweiſe zu geben? — Mein ganzes
Herz wuͤrde ſich empoͤren, wenn ich einen
Kranken ſchlagen oder mishandeln ſaͤhe:
und ich gab einer Perſon, die ich liebte,
die ich fuͤr verblendet hielt, Streiche, die
ihre Seele verwunden mußten! Aber ich
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/18>, abgerufen am 16.07.2024.
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