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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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verhindert. Die Geschichte beweist es,
wie mich dünkt. Barbarische Völker
werden edel, tugendhaft; andere, die es
waren, durch Nachläßigkeit wieder ver-
wildert: wie ein Acker, der einst Waitzen
trug, und eine ganze Familie ernährte,
durch Unterlassung des Anbaues Dorn-
büsche und schädliches Gehecke zu tragen
anfängt. -- Mit ruhiger Geduld hörte
der Pfarrer mir zu; aber Lord Rich, der
sich hinter uns gesetzt hatte, stund auf
einmal lebhaft auf, und indem er mich
über meinen Stuhl bey den Armen faßte,
sagte er gerührt : o, Madam Leidens, was
haben Sie mit dem Ton Jhres Herzens
in der großen Welt gemacht? Sie können
nicht glücklich darinn gewesen seyn! Dan-
noch Mylord, antwortete ich: man lernt
da die wahre Verschiedenheit zwischen
Geist und Herz kennen, und sieht, daß der
erste als ein schöner Garten angelegt wer-
den kann. Mit Enthustasmus sagte er:
edelangebaute Seele, in einer gesegne-
ten Gegend bist du erwachsen, und die
schöne Menschlichkeit pflegte dich!

Aus


verhindert. Die Geſchichte beweiſt es,
wie mich duͤnkt. Barbariſche Voͤlker
werden edel, tugendhaft; andere, die es
waren, durch Nachlaͤßigkeit wieder ver-
wildert: wie ein Acker, der einſt Waitzen
trug, und eine ganze Familie ernaͤhrte,
durch Unterlaſſung des Anbaues Dorn-
buͤſche und ſchaͤdliches Gehecke zu tragen
anfaͤngt. — Mit ruhiger Geduld hoͤrte
der Pfarrer mir zu; aber Lord Rich, der
ſich hinter uns geſetzt hatte, ſtund auf
einmal lebhaft auf, und indem er mich
uͤber meinen Stuhl bey den Armen faßte,
ſagte er geruͤhrt : o, Madam Leidens, was
haben Sie mit dem Ton Jhres Herzens
in der großen Welt gemacht? Sie koͤnnen
nicht gluͤcklich darinn geweſen ſeyn! Dan-
noch Mylord, antwortete ich: man lernt
da die wahre Verſchiedenheit zwiſchen
Geiſt und Herz kennen, und ſieht, daß der
erſte als ein ſchoͤner Garten angelegt wer-
den kann. Mit Enthuſtasmus ſagte er:
edelangebaute Seele, in einer geſegne-
ten Gegend biſt du erwachſen, und die
ſchoͤne Menſchlichkeit pflegte dich!

Aus
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[173/0179] verhindert. Die Geſchichte beweiſt es, wie mich duͤnkt. Barbariſche Voͤlker werden edel, tugendhaft; andere, die es waren, durch Nachlaͤßigkeit wieder ver- wildert: wie ein Acker, der einſt Waitzen trug, und eine ganze Familie ernaͤhrte, durch Unterlaſſung des Anbaues Dorn- buͤſche und ſchaͤdliches Gehecke zu tragen anfaͤngt. — Mit ruhiger Geduld hoͤrte der Pfarrer mir zu; aber Lord Rich, der ſich hinter uns geſetzt hatte, ſtund auf einmal lebhaft auf, und indem er mich uͤber meinen Stuhl bey den Armen faßte, ſagte er geruͤhrt : o, Madam Leidens, was haben Sie mit dem Ton Jhres Herzens in der großen Welt gemacht? Sie koͤnnen nicht gluͤcklich darinn geweſen ſeyn! Dan- noch Mylord, antwortete ich: man lernt da die wahre Verſchiedenheit zwiſchen Geiſt und Herz kennen, und ſieht, daß der erſte als ein ſchoͤner Garten angelegt wer- den kann. Mit Enthuſtasmus ſagte er: edelangebaute Seele, in einer geſegne- ten Gegend biſt du erwachſen, und die ſchoͤne Menſchlichkeit pflegte dich! Aus

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/179>, abgerufen am 03.05.2024.