gend und Güte des Herzens mit solcher Rüh- rung, daß das junge Fräulein knieend bey ihm schluchzte, und oft zu sterben münschte, um bey ihrer Frau Mutter zu seyn. Dieses machte den Obersten fürchten, daß ihre em- pfindungsvolle Seele einen zu starken Hang zu melancholischer Zärtlichkeit bekommen, und durch eine allzusehr vermehrte Reiz- barkeit der Nerven unfähig werden möch- te, Schmerzen und Kummer zu ertragen. Daher suchte er sich selbst zu bemeistern und seiner Tochter zu zeigen, wie man das Unglück tragen müsse, welches die Besten am empfindlichsten rührt; und weil das Fräulein eine große Anlage von Verstand zeigte, beschäftigte er diesen mit der Philosophie, nach allen ihren Theilen, mit der Geschichte und den Sprachen, von denen sie die englische zur Vollkommenheit lernte. Jn der Musik brachte sie es, auf der Laute und im Singen, zur Vollkom- menheit. Das Tanzen, so viel eine Da- me davon wissen soll, war eine Kunst, welche eher von ihr eine Vollkommenheit erhielt, als daß sie dem Fräulein welche
hätte
E 2
gend und Guͤte des Herzens mit ſolcher Ruͤh- rung, daß das junge Fraͤulein knieend bey ihm ſchluchzte, und oft zu ſterben muͤnſchte, um bey ihrer Frau Mutter zu ſeyn. Dieſes machte den Oberſten fuͤrchten, daß ihre em- pfindungsvolle Seele einen zu ſtarken Hang zu melancholiſcher Zaͤrtlichkeit bekommen, und durch eine allzuſehr vermehrte Reiz- barkeit der Nerven unfaͤhig werden moͤch- te, Schmerzen und Kummer zu ertragen. Daher ſuchte er ſich ſelbſt zu bemeiſtern und ſeiner Tochter zu zeigen, wie man das Ungluͤck tragen muͤſſe, welches die Beſten am empfindlichſten ruͤhrt; und weil das Fraͤulein eine große Anlage von Verſtand zeigte, beſchaͤftigte er dieſen mit der Philoſophie, nach allen ihren Theilen, mit der Geſchichte und den Sprachen, von denen ſie die engliſche zur Vollkommenheit lernte. Jn der Muſik brachte ſie es, auf der Laute und im Singen, zur Vollkom- menheit. Das Tanzen, ſo viel eine Da- me davon wiſſen ſoll, war eine Kunſt, welche eher von ihr eine Vollkommenheit erhielt, als daß ſie dem Fraͤulein welche
haͤtte
E 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0093"n="67"/>
gend und Guͤte des Herzens mit ſolcher Ruͤh-<lb/>
rung, daß das junge Fraͤulein knieend bey<lb/>
ihm ſchluchzte, und oft zu ſterben muͤnſchte,<lb/>
um bey ihrer Frau Mutter zu ſeyn. Dieſes<lb/>
machte den Oberſten fuͤrchten, daß ihre em-<lb/>
pfindungsvolle Seele einen zu ſtarken Hang<lb/>
zu melancholiſcher Zaͤrtlichkeit bekommen,<lb/>
und durch eine allzuſehr vermehrte Reiz-<lb/>
barkeit der Nerven unfaͤhig werden moͤch-<lb/>
te, Schmerzen und Kummer zu ertragen.<lb/>
Daher ſuchte er ſich ſelbſt zu bemeiſtern<lb/>
und ſeiner Tochter zu zeigen, wie man<lb/>
das Ungluͤck tragen muͤſſe, welches die<lb/>
Beſten am empfindlichſten ruͤhrt; und<lb/>
weil das Fraͤulein eine große Anlage von<lb/>
Verſtand zeigte, beſchaͤftigte er dieſen mit<lb/>
der Philoſophie, nach allen ihren Theilen,<lb/>
mit der Geſchichte und den Sprachen, von<lb/>
denen ſie die engliſche zur Vollkommenheit<lb/>
lernte. Jn der Muſik brachte ſie es, auf<lb/>
der Laute und im Singen, zur Vollkom-<lb/>
menheit. Das Tanzen, ſo viel eine Da-<lb/>
me davon wiſſen ſoll, war eine Kunſt,<lb/>
welche eher von ihr eine Vollkommenheit<lb/>
erhielt, als daß ſie dem Fraͤulein welche<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">haͤtte</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[67/0093]
gend und Guͤte des Herzens mit ſolcher Ruͤh-
rung, daß das junge Fraͤulein knieend bey
ihm ſchluchzte, und oft zu ſterben muͤnſchte,
um bey ihrer Frau Mutter zu ſeyn. Dieſes
machte den Oberſten fuͤrchten, daß ihre em-
pfindungsvolle Seele einen zu ſtarken Hang
zu melancholiſcher Zaͤrtlichkeit bekommen,
und durch eine allzuſehr vermehrte Reiz-
barkeit der Nerven unfaͤhig werden moͤch-
te, Schmerzen und Kummer zu ertragen.
Daher ſuchte er ſich ſelbſt zu bemeiſtern
und ſeiner Tochter zu zeigen, wie man
das Ungluͤck tragen muͤſſe, welches die
Beſten am empfindlichſten ruͤhrt; und
weil das Fraͤulein eine große Anlage von
Verſtand zeigte, beſchaͤftigte er dieſen mit
der Philoſophie, nach allen ihren Theilen,
mit der Geſchichte und den Sprachen, von
denen ſie die engliſche zur Vollkommenheit
lernte. Jn der Muſik brachte ſie es, auf
der Laute und im Singen, zur Vollkom-
menheit. Das Tanzen, ſo viel eine Da-
me davon wiſſen ſoll, war eine Kunſt,
welche eher von ihr eine Vollkommenheit
erhielt, als daß ſie dem Fraͤulein welche
haͤtte
E 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/93>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.