Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Er dachte wohl nicht, daß ich da wäre,
sondern zu Hause an der Tafel sitzen wür-
de, sonst sollte er nicht englisch geredet
haben. Jn Gesellschaften hörte ich ihn
ofte gute Gesinnungen äußern; aber ich
hielte sie für Heucheleyen eines feinen Bö-
sewichts; allein die freye, allen Men-
schen unbekannte Handlung kann unmög-
lich Heucheley seyn. O möchte er einen
Geschmack an der Tugend finden, und ihr
seine Kenntnisse weyhen! Er würde ei-
ner der hochachtungswürdigsten Männer
werden.

Jch kann mich nun nicht verhindern
ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil
er sie verdient. Seinen feinen Schmeiche-
leyen, seinen Witz und der Ehrerbietung,
die er mir beweist, hätte ich sie niemals
gegeben. Es kann oft geschehen, daß
äußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar-
tung, und vielleicht die stärkste Leidenschaft
des größten Bösewichts zuzieht. Aber
wie verachtungswerth ist ein Frauenzim-
mer, die einen Gefallen daran bezeugt,

und

Er dachte wohl nicht, daß ich da waͤre,
ſondern zu Hauſe an der Tafel ſitzen wuͤr-
de, ſonſt ſollte er nicht engliſch geredet
haben. Jn Geſellſchaften hoͤrte ich ihn
ofte gute Geſinnungen aͤußern; aber ich
hielte ſie fuͤr Heucheleyen eines feinen Boͤ-
ſewichts; allein die freye, allen Men-
ſchen unbekannte Handlung kann unmoͤg-
lich Heucheley ſeyn. O moͤchte er einen
Geſchmack an der Tugend finden, und ihr
ſeine Kenntniſſe weyhen! Er wuͤrde ei-
ner der hochachtungswuͤrdigſten Maͤnner
werden.

Jch kann mich nun nicht verhindern
ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil
er ſie verdient. Seinen feinen Schmeiche-
leyen, ſeinen Witz und der Ehrerbietung,
die er mir beweiſt, haͤtte ich ſie niemals
gegeben. Es kann oft geſchehen, daß
aͤußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar-
tung, und vielleicht die ſtaͤrkſte Leidenſchaft
des groͤßten Boͤſewichts zuzieht. Aber
wie verachtungswerth iſt ein Frauenzim-
mer, die einen Gefallen daran bezeugt,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0316" n="290"/>
          <p>Er dachte wohl nicht, daß ich da wa&#x0364;re,<lb/>
&#x017F;ondern zu Hau&#x017F;e an der Tafel &#x017F;itzen wu&#x0364;r-<lb/>
de, &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ollte er nicht engli&#x017F;ch geredet<lb/>
haben. Jn Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften ho&#x0364;rte ich ihn<lb/>
ofte gute Ge&#x017F;innungen a&#x0364;ußern; aber ich<lb/>
hielte &#x017F;ie fu&#x0364;r Heucheleyen eines feinen Bo&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ewichts; allein die freye, allen Men-<lb/>
&#x017F;chen unbekannte Handlung kann unmo&#x0364;g-<lb/>
lich Heucheley &#x017F;eyn. O mo&#x0364;chte er einen<lb/>
Ge&#x017F;chmack an der Tugend finden, und ihr<lb/>
&#x017F;eine Kenntni&#x017F;&#x017F;e weyhen! Er wu&#x0364;rde ei-<lb/>
ner der hochachtungswu&#x0364;rdig&#x017F;ten Ma&#x0364;nner<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>Jch kann mich nun nicht verhindern<lb/>
ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil<lb/>
er &#x017F;ie verdient. Seinen feinen Schmeiche-<lb/>
leyen, &#x017F;einen Witz und der Ehrerbietung,<lb/>
die er mir bewei&#x017F;t, ha&#x0364;tte ich &#x017F;ie niemals<lb/>
gegeben. Es kann oft ge&#x017F;chehen, daß<lb/>
a&#x0364;ußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar-<lb/>
tung, und vielleicht die &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;te Leiden&#x017F;chaft<lb/>
des gro&#x0364;ßten Bo&#x0364;&#x017F;ewichts zuzieht. Aber<lb/>
wie verachtungswerth i&#x017F;t ein Frauenzim-<lb/>
mer, die einen Gefallen daran bezeugt,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0316] Er dachte wohl nicht, daß ich da waͤre, ſondern zu Hauſe an der Tafel ſitzen wuͤr- de, ſonſt ſollte er nicht engliſch geredet haben. Jn Geſellſchaften hoͤrte ich ihn ofte gute Geſinnungen aͤußern; aber ich hielte ſie fuͤr Heucheleyen eines feinen Boͤ- ſewichts; allein die freye, allen Men- ſchen unbekannte Handlung kann unmoͤg- lich Heucheley ſeyn. O moͤchte er einen Geſchmack an der Tugend finden, und ihr ſeine Kenntniſſe weyhen! Er wuͤrde ei- ner der hochachtungswuͤrdigſten Maͤnner werden. Jch kann mich nun nicht verhindern ihm einige Hochachtung zu bezeugen, weil er ſie verdient. Seinen feinen Schmeiche- leyen, ſeinen Witz und der Ehrerbietung, die er mir beweiſt, haͤtte ich ſie niemals gegeben. Es kann oft geſchehen, daß aͤußerliche Annehmlichkeit uns die Aufwar- tung, und vielleicht die ſtaͤrkſte Leidenſchaft des groͤßten Boͤſewichts zuzieht. Aber wie verachtungswerth iſt ein Frauenzim- mer, die einen Gefallen daran bezeugt, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/316
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/316>, abgerufen am 17.05.2024.