heit sich nach ihren Umständen einzurich- ten; es wurden Wohlthäter gesucht; es fanden sich einige; aber ihre Hülfe war nicht zureichend. Der Mann wurde un- muthig, machte den Leuten, welche seine Freunde gewesen, Vorwürfe, beleidigte sie, und sie rächten sich, indem sie ihn seines Amts verlustig machten. Nun war Verzweiflung und Elend in gleichem Maaß ihr Antheil; beydes wurde noch durch den Anblick von sechs Kindern ver- größert. Alle Verwandten hatten die Hände abgezogen, und da ihr Elend sie zu allerhand kleinen, oft niederträchtigen Hülfsmitteln zwang, so wurden sie endlich ein Gegenstand der Verachtung und des Hasses. Jn diesem Zustande lernte ich sie kennen, und bot ihnen meine Hülfe an. Geld, Kleidung und Leinengeräthe und andrer nöthiger Hausrath, war der An- fang davon. Jch sehe aber wohl, daß dieses nicht hinreichend wird, wenn das Uebel nicht in der Wurzel gehoben, und ihre Denkensart von den falschen Begrif- fen von Ehre und Glück getheilt wird.
Jch
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heit ſich nach ihren Umſtaͤnden einzurich- ten; es wurden Wohlthaͤter geſucht; es fanden ſich einige; aber ihre Huͤlfe war nicht zureichend. Der Mann wurde un- muthig, machte den Leuten, welche ſeine Freunde geweſen, Vorwuͤrfe, beleidigte ſie, und ſie raͤchten ſich, indem ſie ihn ſeines Amts verluſtig machten. Nun war Verzweiflung und Elend in gleichem Maaß ihr Antheil; beydes wurde noch durch den Anblick von ſechs Kindern ver- groͤßert. Alle Verwandten hatten die Haͤnde abgezogen, und da ihr Elend ſie zu allerhand kleinen, oft niedertraͤchtigen Huͤlfsmitteln zwang, ſo wurden ſie endlich ein Gegenſtand der Verachtung und des Haſſes. Jn dieſem Zuſtande lernte ich ſie kennen, und bot ihnen meine Huͤlfe an. Geld, Kleidung und Leinengeraͤthe und andrer noͤthiger Hausrath, war der An- fang davon. Jch ſehe aber wohl, daß dieſes nicht hinreichend wird, wenn das Uebel nicht in der Wurzel gehoben, und ihre Denkensart von den falſchen Begrif- fen von Ehre und Gluͤck getheilt wird.
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heit ſich nach ihren Umſtaͤnden einzurich-
ten; es wurden Wohlthaͤter geſucht; es
fanden ſich einige; aber ihre Huͤlfe war
nicht zureichend. Der Mann wurde un-
muthig, machte den Leuten, welche ſeine
Freunde geweſen, Vorwuͤrfe, beleidigte
ſie, und ſie raͤchten ſich, indem ſie ihn
ſeines Amts verluſtig machten. Nun
war Verzweiflung und Elend in gleichem
Maaß ihr Antheil; beydes wurde noch
durch den Anblick von ſechs Kindern ver-
groͤßert. Alle Verwandten hatten die
Haͤnde abgezogen, und da ihr Elend ſie
zu allerhand kleinen, oft niedertraͤchtigen
Huͤlfsmitteln zwang, ſo wurden ſie endlich
ein Gegenſtand der Verachtung und des
Haſſes. Jn dieſem Zuſtande lernte ich ſie
kennen, und bot ihnen meine Huͤlfe an.
Geld, Kleidung und Leinengeraͤthe und
andrer noͤthiger Hausrath, war der An-
fang davon. Jch ſehe aber wohl, daß
dieſes nicht hinreichend wird, wenn das
Uebel nicht in der Wurzel gehoben, und
ihre Denkensart von den falſchen Begrif-
fen von Ehre und Gluͤck getheilt wird.
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/303>, abgerufen am 25.11.2024.
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