wundern, nicht zanken, wenn sie geliebt wird! Doch dünkt mich der Liebhaber der Actrice edler als der von der Tänzerin. Jch habe irgendwo gelesen, daß die Linie der Schönheit für den Mahler und Bild- hauer sehr fein gezogen sey; geht er darü- ber, so ist sie verlohren; bleibt er unter ihr, so fehlt seinem Werk die Vollkom- menheit.
Die Linie der sittlichen Reize der Tän- zerin dünkt mich eben so fein gezogen; dann sie schien mir sehr oft übertreten zu werden.
Ueberhaupt bin ich es sehr zufrieden, ein Schauspiel gesehen zu haben, weil die Vorstellung, die ich davon hatte, da- durch ganz bestimmt worden ist; aber ich bin es auch zufrieden, wenn ich keines mehr sehe.
Nach der Comödie speiste ich mit der Prinzessin von W*, da wurde ich dem Fürsten vorgestellt. Was soll ich Jhnen davon sagen? Daß er ein schöner Mann und sehr höflich ist, daß er meinen wer- then Papa sehr gelobt hat, und daß ich
mißver-
wundern, nicht zanken, wenn ſie geliebt wird! Doch duͤnkt mich der Liebhaber der Actrice edler als der von der Taͤnzerin. Jch habe irgendwo geleſen, daß die Linie der Schoͤnheit fuͤr den Mahler und Bild- hauer ſehr fein gezogen ſey; geht er daruͤ- ber, ſo iſt ſie verlohren; bleibt er unter ihr, ſo fehlt ſeinem Werk die Vollkom- menheit.
Die Linie der ſittlichen Reize der Taͤn- zerin duͤnkt mich eben ſo fein gezogen; dann ſie ſchien mir ſehr oft uͤbertreten zu werden.
Ueberhaupt bin ich es ſehr zufrieden, ein Schauſpiel geſehen zu haben, weil die Vorſtellung, die ich davon hatte, da- durch ganz beſtimmt worden iſt; aber ich bin es auch zufrieden, wenn ich keines mehr ſehe.
Nach der Comoͤdie ſpeiſte ich mit der Prinzeſſin von W*, da wurde ich dem Fuͤrſten vorgeſtellt. Was ſoll ich Jhnen davon ſagen? Daß er ein ſchoͤner Mann und ſehr hoͤflich iſt, daß er meinen wer- then Papa ſehr gelobt hat, und daß ich
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wundern, nicht zanken, wenn ſie geliebt
wird! Doch duͤnkt mich der Liebhaber der
Actrice edler als der von der Taͤnzerin.
Jch habe irgendwo geleſen, daß die Linie
der Schoͤnheit fuͤr den Mahler und Bild-
hauer ſehr fein gezogen ſey; geht er daruͤ-
ber, ſo iſt ſie verlohren; bleibt er unter
ihr, ſo fehlt ſeinem Werk die Vollkom-
menheit.
Die Linie der ſittlichen Reize der Taͤn-
zerin duͤnkt mich eben ſo fein gezogen;
dann ſie ſchien mir ſehr oft uͤbertreten zu
werden.
Ueberhaupt bin ich es ſehr zufrieden,
ein Schauſpiel geſehen zu haben, weil die
Vorſtellung, die ich davon hatte, da-
durch ganz beſtimmt worden iſt; aber ich
bin es auch zufrieden, wenn ich keines
mehr ſehe.
Nach der Comoͤdie ſpeiſte ich mit der
Prinzeſſin von W*, da wurde ich dem
Fuͤrſten vorgeſtellt. Was ſoll ich Jhnen
davon ſagen? Daß er ein ſchoͤner Mann
und ſehr hoͤflich iſt, daß er meinen wer-
then Papa ſehr gelobt hat, und daß ich
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/186>, abgerufen am 24.11.2024.
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