Lieber Freund, ich hörte Sie oft sagen, die Beobachtungen, die Sie auf Jhren Reisen, durch Deutschland, über den Grundcharakter dieser Nation gemacht, hätte in Jhnen den Wunsch hervorge- bracht, auf einer Seite den Tiefsinn unsrer Philosophen mit dem methodischen Vortrag der Deutschen, und auf der andern das kalte und langsam gehende Blut ihrer übrigen Köpfe, mit der feurigen Einbil- dungskraft der unsern, vereinigt zu sehen. Sie suchten auch lang eine Mischung in mir hervorzubringen, wodurch meine hef- tigen Empfindungen möchten gemildert werden, indem Sie sagten, daß dieses die einzige Hinderniß sey, warum ich in den Wissenschaften, die ich doch liebte, nie- mals zu einer gewissen Vollkommenheit gelangen würde. Sie giengen sanft und gütig mit mir um, weil Sie durch die Zärtlichkeit meines Herzens den Weg zu
der
K
Milord Seymour. an den Doctor T**.
Lieber Freund, ich hoͤrte Sie oft ſagen, die Beobachtungen, die Sie auf Jhren Reiſen, durch Deutſchland, uͤber den Grundcharakter dieſer Nation gemacht, haͤtte in Jhnen den Wunſch hervorge- bracht, auf einer Seite den Tiefſinn unſrer Philoſophen mit dem methodiſchen Vortrag der Deutſchen, und auf der andern das kalte und langſam gehende Blut ihrer uͤbrigen Koͤpfe, mit der feurigen Einbil- dungskraft der unſern, vereinigt zu ſehen. Sie ſuchten auch lang eine Miſchung in mir hervorzubringen, wodurch meine hef- tigen Empfindungen moͤchten gemildert werden, indem Sie ſagten, daß dieſes die einzige Hinderniß ſey, warum ich in den Wiſſenſchaften, die ich doch liebte, nie- mals zu einer gewiſſen Vollkommenheit gelangen wuͤrde. Sie giengen ſanft und guͤtig mit mir um, weil Sie durch die Zaͤrtlichkeit meines Herzens den Weg zu
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Milord Seymour.
an
den Doctor T**.
Lieber Freund, ich hoͤrte Sie oft ſagen,
die Beobachtungen, die Sie auf Jhren
Reiſen, durch Deutſchland, uͤber den
Grundcharakter dieſer Nation gemacht,
haͤtte in Jhnen den Wunſch hervorge-
bracht, auf einer Seite den Tiefſinn unſrer
Philoſophen mit dem methodiſchen Vortrag
der Deutſchen, und auf der andern das
kalte und langſam gehende Blut ihrer
uͤbrigen Koͤpfe, mit der feurigen Einbil-
dungskraft der unſern, vereinigt zu ſehen.
Sie ſuchten auch lang eine Miſchung in
mir hervorzubringen, wodurch meine hef-
tigen Empfindungen moͤchten gemildert
werden, indem Sie ſagten, daß dieſes
die einzige Hinderniß ſey, warum ich in
den Wiſſenſchaften, die ich doch liebte, nie-
mals zu einer gewiſſen Vollkommenheit
gelangen wuͤrde. Sie giengen ſanft und
guͤtig mit mir um, weil Sie durch die
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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