erlichen Abschied von den geliebten Gebei- nen nahm, Gelübde der Tugend erneuer- te, und endlich ihre Armbänder loß mach- te, an welchen sie die Bildnisse hatte hohl fassen lassen, so daß sie mitten ein verbor- genes Schloß hatten. Dieses machte sie auf, und füllte den kleinen Gaum mit Erde, die sie in der Gruft zusammen faß- te. Thränen rollten über ihre Wangen, indem sie es that, und meine Emllia sag- te: Liebes Fräulein, was thun Sie? Warum diese Erde? -- Meine Emilie, antwortete sie, ich thue nichts, als was bey dem weisesten und edelsten Volke für eine Tugend geachtet wurde; den Staub der Rechtschaffenen zu ehren; und ich glaube, es war ein empfindendes Herz, wie das meinige, welches in spätern Zeiten die Achtung der Reliquien anfieng. Die- ser Staub, meine Liebe, der die geheiligte Ueberbleibsel meiner Aeltern bedeckte, ist mir schätzbarer, als die ganze Welt, und wird in meiner Entfernung von hier, das Liebste seyn, was ich besitzen kann.
Meine
erlichen Abſchied von den geliebten Gebei- nen nahm, Geluͤbde der Tugend erneuer- te, und endlich ihre Armbaͤnder loß mach- te, an welchen ſie die Bildniſſe hatte hohl faſſen laſſen, ſo daß ſie mitten ein verbor- genes Schloß hatten. Dieſes machte ſie auf, und fuͤllte den kleinen Gaum mit Erde, die ſie in der Gruft zuſammen faß- te. Thraͤnen rollten uͤber ihre Wangen, indem ſie es that, und meine Emllia ſag- te: Liebes Fraͤulein, was thun Sie? Warum dieſe Erde? — Meine Emilie, antwortete ſie, ich thue nichts, als was bey dem weiſeſten und edelſten Volke fuͤr eine Tugend geachtet wurde; den Staub der Rechtſchaffenen zu ehren; und ich glaube, es war ein empfindendes Herz, wie das meinige, welches in ſpaͤtern Zeiten die Achtung der Reliquien anfieng. Die- ſer Staub, meine Liebe, der die geheiligte Ueberbleibſel meiner Aeltern bedeckte, iſt mir ſchaͤtzbarer, als die ganze Welt, und wird in meiner Entfernung von hier, das Liebſte ſeyn, was ich beſitzen kann.
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erlichen Abſchied von den geliebten Gebei-
nen nahm, Geluͤbde der Tugend erneuer-
te, und endlich ihre Armbaͤnder loß mach-
te, an welchen ſie die Bildniſſe hatte hohl
faſſen laſſen, ſo daß ſie mitten ein verbor-
genes Schloß hatten. Dieſes machte ſie
auf, und fuͤllte den kleinen Gaum mit
Erde, die ſie in der Gruft zuſammen faß-
te. Thraͤnen rollten uͤber ihre Wangen,
indem ſie es that, und meine Emllia ſag-
te: Liebes Fraͤulein, was thun Sie?
Warum dieſe Erde? — Meine Emilie,
antwortete ſie, ich thue nichts, als was
bey dem weiſeſten und edelſten Volke fuͤr
eine Tugend geachtet wurde; den Staub
der Rechtſchaffenen zu ehren; und ich
glaube, es war ein empfindendes Herz,
wie das meinige, welches in ſpaͤtern Zeiten
die Achtung der Reliquien anfieng. Die-
ſer Staub, meine Liebe, der die geheiligte
Ueberbleibſel meiner Aeltern bedeckte, iſt
mir ſchaͤtzbarer, als die ganze Welt, und
wird in meiner Entfernung von hier, das
Liebſte ſeyn, was ich beſitzen kann.
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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