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Lange, Helene: Der vierte Weg zur Universität. Berlin, 1909.

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man endlich von unsrem Universitätswesen selbst denken mag,
das steht auf einem anderen Blatt. Hier fragt es sich nicht:
was für eine ideale Bildung wäre möglich? sondern nur: welche
Voraussetzungen muß ich für das so und so beschaffene Uni-
versitätsstudium erfüllen? Die Antwort ist durch die drei Reife-
prüfungen gegeben. Ein vierter Weg, der etwa allgemeine
größere Reife bei geringerem positiven Wissensstand anstrebt,
kann zweifellos schöne Bildungsresultate erzielen, kann auf Höhen
und zu Fernsichten führen, die dem Abiturienten fehlen. Diese
Reife kann aber nie einen Mangel an den Kenntnissen ersetzen,
mit denen ein altphilologisches, ein mathematisch-naturwissen-
schaftliches, ein medizinisches Kolleg rechnet. Will man die
Frauen etwa so vorbilden, so setzt man sie gegen den jüngsten
Studenten in Nachteil.

Zieht man das alles in Betracht, so wird man sich sagen
müssen: einen vierten Weg zur Universität gibt es zurzeit
nicht. Sollte aber ein solcher gefunden werden, so muß er für
beide Geschlechter gelten, denn nicht das Geschlecht, sondern das
Ziel gibt den Ausschlag. Und so wenig es einen Königsweg
zur Wissenschaft gibt, so wenig gibt es einen besonderen
Frauenweg.

Eine bekannte Anekdote läßt eine ländliche Behörde das
Überwegen eines fiskalischen Grundstücks durch die Warnungs-
tafel verbieten: "Dieser Weg ist kein Weg, wer es aber dennoch
tut, hat es sich selbst zuzuschreiben." Diese Warnungstafel
sollte man weithin sichtbar an dem vierten Wege aufstellen.
Auf der Regierungstafel freilich lesen wir: "Dieser Weg ist
ein Weg, aber nur für das schwache Geschlecht." Und wenn
das schwache Geschlecht vergnügt unter der hochgehaltenen
Schranke den anfangs so bequemen und ebenen Weg betritt,
da ahnt es wenig, daß ihm Gestrüpp und Gestein bald den
Weg versperren, daß es ermüdende Umwege zu machen hat,
denen seine ungeschulte Kraft schwer gewachsen ist, während
das starke Geschlecht mit erprobten Gliedern auf geradem Wege
dem Ziel entgegengeht. Und die Frauen, die erschöpft unter-
wegs liegen bleiben oder am Ziel zurückgewiesen werden müssen,

man endlich von unsrem Universitätswesen selbst denken mag,
das steht auf einem anderen Blatt. Hier fragt es sich nicht:
was für eine ideale Bildung wäre möglich? sondern nur: welche
Voraussetzungen muß ich für das so und so beschaffene Uni-
versitätsstudium erfüllen? Die Antwort ist durch die drei Reife-
prüfungen gegeben. Ein vierter Weg, der etwa allgemeine
größere Reife bei geringerem positiven Wissensstand anstrebt,
kann zweifellos schöne Bildungsresultate erzielen, kann auf Höhen
und zu Fernsichten führen, die dem Abiturienten fehlen. Diese
Reife kann aber nie einen Mangel an den Kenntnissen ersetzen,
mit denen ein altphilologisches, ein mathematisch-naturwissen-
schaftliches, ein medizinisches Kolleg rechnet. Will man die
Frauen etwa so vorbilden, so setzt man sie gegen den jüngsten
Studenten in Nachteil.

Zieht man das alles in Betracht, so wird man sich sagen
müssen: einen vierten Weg zur Universität gibt es zurzeit
nicht. Sollte aber ein solcher gefunden werden, so muß er für
beide Geschlechter gelten, denn nicht das Geschlecht, sondern das
Ziel gibt den Ausschlag. Und so wenig es einen Königsweg
zur Wissenschaft gibt, so wenig gibt es einen besonderen
Frauenweg.

Eine bekannte Anekdote läßt eine ländliche Behörde das
Überwegen eines fiskalischen Grundstücks durch die Warnungs-
tafel verbieten: „Dieser Weg ist kein Weg, wer es aber dennoch
tut, hat es sich selbst zuzuschreiben.“ Diese Warnungstafel
sollte man weithin sichtbar an dem vierten Wege aufstellen.
Auf der Regierungstafel freilich lesen wir: „Dieser Weg ist
ein Weg, aber nur für das schwache Geschlecht.“ Und wenn
das schwache Geschlecht vergnügt unter der hochgehaltenen
Schranke den anfangs so bequemen und ebenen Weg betritt,
da ahnt es wenig, daß ihm Gestrüpp und Gestein bald den
Weg versperren, daß es ermüdende Umwege zu machen hat,
denen seine ungeschulte Kraft schwer gewachsen ist, während
das starke Geschlecht mit erprobten Gliedern auf geradem Wege
dem Ziel entgegengeht. Und die Frauen, die erschöpft unter-
wegs liegen bleiben oder am Ziel zurückgewiesen werden müssen,

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[9/0009] man endlich von unsrem Universitätswesen selbst denken mag, das steht auf einem anderen Blatt. Hier fragt es sich nicht: was für eine ideale Bildung wäre möglich? sondern nur: welche Voraussetzungen muß ich für das so und so beschaffene Uni- versitätsstudium erfüllen? Die Antwort ist durch die drei Reife- prüfungen gegeben. Ein vierter Weg, der etwa allgemeine größere Reife bei geringerem positiven Wissensstand anstrebt, kann zweifellos schöne Bildungsresultate erzielen, kann auf Höhen und zu Fernsichten führen, die dem Abiturienten fehlen. Diese Reife kann aber nie einen Mangel an den Kenntnissen ersetzen, mit denen ein altphilologisches, ein mathematisch-naturwissen- schaftliches, ein medizinisches Kolleg rechnet. Will man die Frauen etwa so vorbilden, so setzt man sie gegen den jüngsten Studenten in Nachteil. Zieht man das alles in Betracht, so wird man sich sagen müssen: einen vierten Weg zur Universität gibt es zurzeit nicht. Sollte aber ein solcher gefunden werden, so muß er für beide Geschlechter gelten, denn nicht das Geschlecht, sondern das Ziel gibt den Ausschlag. Und so wenig es einen Königsweg zur Wissenschaft gibt, so wenig gibt es einen besonderen Frauenweg. Eine bekannte Anekdote läßt eine ländliche Behörde das Überwegen eines fiskalischen Grundstücks durch die Warnungs- tafel verbieten: „Dieser Weg ist kein Weg, wer es aber dennoch tut, hat es sich selbst zuzuschreiben.“ Diese Warnungstafel sollte man weithin sichtbar an dem vierten Wege aufstellen. Auf der Regierungstafel freilich lesen wir: „Dieser Weg ist ein Weg, aber nur für das schwache Geschlecht.“ Und wenn das schwache Geschlecht vergnügt unter der hochgehaltenen Schranke den anfangs so bequemen und ebenen Weg betritt, da ahnt es wenig, daß ihm Gestrüpp und Gestein bald den Weg versperren, daß es ermüdende Umwege zu machen hat, denen seine ungeschulte Kraft schwer gewachsen ist, während das starke Geschlecht mit erprobten Gliedern auf geradem Wege dem Ziel entgegengeht. Und die Frauen, die erschöpft unter- wegs liegen bleiben oder am Ziel zurückgewiesen werden müssen,

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Der vierte Weg zur Universität. Berlin, 1909, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_weg_1909/9>, abgerufen am 25.11.2024.