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Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856.

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ben, denen sich sodann in der Mitte desselben Zeitabschnit-
tes der Spanier Rui Lopez mit einer grösseren Menge noch
ungenauer Eröffnungen und Endungen sowie mit einigen voll-
ständigen Spielen anschliesst. Aber bald bemächtigen sich
italienische Meister mit besonderer Vorliebe der Analyse,
und an der Scheide des 16. und 17. Jahrhunderts finden
wir Forscher wie Gianutio, welcher zuerst die Rochade ein-
führte, Salvio, der 1604 in einem geschätzten Werke vor-
züglich das Königsgambit behandelte und Gioachino Greco,
welcher in einer Reihe origineller Partien die elegante Be-
nutzung von Fehlern zeigte. Zu gleicher Zeit stellt ein
deutscher Fürst, der Herzog August von Braunschweig-Lüne-
burg, unter dem Namen Gustavus Selenus ein starkes Folio-
werk zusammen, dessen Inhalt aber grossentheils aus den
Schriften des Rui Lopez entlehnt zu sein scheint.

Anmerkung. Die Kunst des Schachspielens gehört im Mittel-
alter zu einer der sieben Rittertugenden, und daraus mag
genugsam die sociale Bedeutung dieses Spieles zu jener
Zeit erhellen. Unter persischen und arabischen Autoren
wollen wir nur die Namen eines Massudi und Ferdusi,
sowie Ala Eddin und Al Suli aus dem 13. Jahrhundert
hervorheben. Von den gedachten deutschen Schriftstellern
ist Jacobus de Cessolis mit seiner grossen empfehlenden
Schrift vom Jahre 1290, sowie Meister Ingold, ein Priester
des Predigerordens, zu nennen, welcher in seinem Werk-
chen "dz guldin spil" gegen eine der sieben Hauptsünden,
die Hoffart eiferte. Damiano, von dessen Werk in neuester
Zeit Herr v. d. Lasa eine verdienstvolle Bearbeitung ge-
geben hat, schrieb 1512; das Werk des Rui Lopez de
Segura erschien 1561 unter dem Titel "Libro de la inven-
cion liberaly arte del juego del Axedres;" ihm folgte 1616
Gustavus Selenus, während Gioachino Greco, welcher
uzerst (§. 156) die beschränkte Rochade anwandte, seine
Partien, von denen wir eine in §. 64 gaben, im Jahre 1615
mittheiltte.

§. 440. Ein neuer Abschnitt beginnt in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts. Hier treffen wir zunächst eine prin-
zipielle Behandlung des Spieles, gefördert durch Gegen-
wirkung zweier Schulen, der cis- und transalpinischen Meister.
Philidor betrachtete in einer neuen Analyse geschlossener
Partien die richtige Führung der Bauern als Grundprinzip
des Spieles, indem er sämmtliche Combinationen an ge-
schlossene Mittelbauern knüpfte und als Regel das Vorschieben
der Bauern vor den dahinter gestellten schützenden Officieren

ben, denen sich sodann in der Mitte desselben Zeitabschnit-
tes der Spanier Rui Lopez mit einer grösseren Menge noch
ungenauer Eröffnungen und Endungen sowie mit einigen voll-
ständigen Spielen anschliesst. Aber bald bemächtigen sich
italienische Meister mit besonderer Vorliebe der Analyse,
und an der Scheide des 16. und 17. Jahrhunderts finden
wir Forscher wie Gianutio, welcher zuerst die Rochade ein-
führte, Salvio, der 1604 in einem geschätzten Werke vor-
züglich das Königsgambit behandelte und Gioachino Greco,
welcher in einer Reihe origineller Partien die elegante Be-
nutzung von Fehlern zeigte. Zu gleicher Zeit stellt ein
deutscher Fürst, der Herzog August von Braunschweig-Lüne-
burg, unter dem Namen Gustavus Selenus ein starkes Folio-
werk zusammen, dessen Inhalt aber grossentheils aus den
Schriften des Rui Lopez entlehnt zu sein scheint.

Anmerkung. Die Kunst des Schachspielens gehört im Mittel-
alter zu einer der sieben Rittertugenden, und daraus mag
genugsam die sociale Bedeutung dieses Spieles zu jener
Zeit erhellen. Unter persischen und arabischen Autoren
wollen wir nur die Namen eines Massudi und Ferdusi,
sowie Ala Eddin und Al Suli aus dem 13. Jahrhundert
hervorheben. Von den gedachten deutschen Schriftstellern
ist Jacobus de Cessolis mit seiner grossen empfehlenden
Schrift vom Jahre 1290, sowie Meister Ingold, ein Priester
des Predigerordens, zu nennen, welcher in seinem Werk-
chen „dz guldin spil“ gegen eine der sieben Hauptsünden,
die Hoffart eiferte. Damiano, von dessen Werk in neuester
Zeit Herr v. d. Lasa eine verdienstvolle Bearbeitung ge-
geben hat, schrieb 1512; das Werk des Rui Lopez de
Segura erschien 1561 unter dem Titel „Libro de la inven-
cion liberaly arte del juego del Axedres;“ ihm folgte 1616
Gustavus Selenus, während Gioachino Greco, welcher
uzerst (§. 156) die beschränkte Rochade anwandte, seine
Partien, von denen wir eine in §. 64 gaben, im Jahre 1615
mittheiltte.

§. 440. Ein neuer Abschnitt beginnt in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts. Hier treffen wir zunächst eine prin-
zipielle Behandlung des Spieles, gefördert durch Gegen-
wirkung zweier Schulen, der cis- und transalpinischen Meister.
Philidor betrachtete in einer neuen Analyse geschlossener
Partien die richtige Führung der Bauern als Grundprinzip
des Spieles, indem er sämmtliche Combinationen an ge-
schlossene Mittelbauern knüpfte und als Regel das Vorschieben
der Bauern vor den dahinter gestellten schützenden Officieren

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[255/0267] ben, denen sich sodann in der Mitte desselben Zeitabschnit- tes der Spanier Rui Lopez mit einer grösseren Menge noch ungenauer Eröffnungen und Endungen sowie mit einigen voll- ständigen Spielen anschliesst. Aber bald bemächtigen sich italienische Meister mit besonderer Vorliebe der Analyse, und an der Scheide des 16. und 17. Jahrhunderts finden wir Forscher wie Gianutio, welcher zuerst die Rochade ein- führte, Salvio, der 1604 in einem geschätzten Werke vor- züglich das Königsgambit behandelte und Gioachino Greco, welcher in einer Reihe origineller Partien die elegante Be- nutzung von Fehlern zeigte. Zu gleicher Zeit stellt ein deutscher Fürst, der Herzog August von Braunschweig-Lüne- burg, unter dem Namen Gustavus Selenus ein starkes Folio- werk zusammen, dessen Inhalt aber grossentheils aus den Schriften des Rui Lopez entlehnt zu sein scheint. Anmerkung. Die Kunst des Schachspielens gehört im Mittel- alter zu einer der sieben Rittertugenden, und daraus mag genugsam die sociale Bedeutung dieses Spieles zu jener Zeit erhellen. Unter persischen und arabischen Autoren wollen wir nur die Namen eines Massudi und Ferdusi, sowie Ala Eddin und Al Suli aus dem 13. Jahrhundert hervorheben. Von den gedachten deutschen Schriftstellern ist Jacobus de Cessolis mit seiner grossen empfehlenden Schrift vom Jahre 1290, sowie Meister Ingold, ein Priester des Predigerordens, zu nennen, welcher in seinem Werk- chen „dz guldin spil“ gegen eine der sieben Hauptsünden, die Hoffart eiferte. Damiano, von dessen Werk in neuester Zeit Herr v. d. Lasa eine verdienstvolle Bearbeitung ge- geben hat, schrieb 1512; das Werk des Rui Lopez de Segura erschien 1561 unter dem Titel „Libro de la inven- cion liberaly arte del juego del Axedres;“ ihm folgte 1616 Gustavus Selenus, während Gioachino Greco, welcher uzerst (§. 156) die beschränkte Rochade anwandte, seine Partien, von denen wir eine in §. 64 gaben, im Jahre 1615 mittheiltte. §. 440. Ein neuer Abschnitt beginnt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Hier treffen wir zunächst eine prin- zipielle Behandlung des Spieles, gefördert durch Gegen- wirkung zweier Schulen, der cis- und transalpinischen Meister. Philidor betrachtete in einer neuen Analyse geschlossener Partien die richtige Führung der Bauern als Grundprinzip des Spieles, indem er sämmtliche Combinationen an ge- schlossene Mittelbauern knüpfte und als Regel das Vorschieben der Bauern vor den dahinter gestellten schützenden Officieren

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Zitationshilfe: Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/267>, abgerufen am 04.05.2024.