Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

haupt ist wohl für jene Zeit die Blüthe des Spieles in Italien
und daneben in Spanien zu suchen. Aus ersterem Lande
erhalten wir nun Kunde von dem "Licht und dem Ruhm" des
edlen Schach, mit welchen ehrenden Prädikaten der Syraku-
saner Paolo Boi und der ihm ebenbürtige Calabrese Leo-
nardo da Cutri
(genannt il Puttino) ausgezeichnet werden.
Interessante Berichte überzeugen uns vorzüglich von den Hel-
denthaten des ersteren, welcher über die Spanier Zerone
und Rui Lopez den Sieg davon trug, in der Gegenwart des
Königs Philipp II., der ihn reichlich beschenkte, spielen
musste und nach vielen siegreichen Kämpfen in verschiedenen
Ländern auch den Puttino zu Paaren trieb. Spärliche
Kunde bringt uns das 17. Jahrhundert; Gioachino Greco,
der Calabrese genannt, zeigt sich hier von überwiegender
Geschicklichkeit und soll durch sie, namentlich in Frankreich,
gar reichen Gewinn gezogen haben.

§. 412. Berühmtere Namen knüpfen sich an das folgende
18. Jahrhundert: Philidor, Stamma und die drei grossen
Meister von Modena, unter letzteren als praktischer Spieler
vorzüglich der Consigliere Ercole del Rio vor seinen beiden
Landsleuten Lolli und Ponziani ausgezeichnet. Durch Rio
erfuhr Philidor's einseitige Bauerntheorie eine scharfe Kritik;
auch ziehen wir Philidor's praktische Leistungen, wegen derer
noch heutzutage dieser Name gar Manchem als Ideal zu gel-
ten scheint, seinen theoretischen Arbeiten bei Weitem vor.
Eine tiefe analytische Positionskenntniss zeichnet diesen Mei-
ster aus und befähigte ihn zu den gewaltigen Anstrengungen
mehrerer gleichzeitiger Blindlingspartien. Sein bedeutendster
Wettkampf fand gegen den durch seine Endspiele rühmlich
bekannten syrischen Meister Stamma im Jahre 1747 statt.
Philidor gab den Anzug und die Remispartie als gewonnen
vor: doch unter 10 Spielen fielen für Stamma nur 2 günstig
aus und darunter eine Remispartie. -- Geboren war Andre
Danican Philidor
zu Dreux am 7. September 1726; er
starb am 24. August 1795 zu London, wohin er sich vor der
französischen Revolution geflüchtet hatte.

§. 413. Reicher an grossen Meistern ist aber das ge-
genwärtige Jahrhundert. Schon in seinem Anfange leuchten

haupt ist wohl für jene Zeit die Blüthe des Spieles in Italien
und daneben in Spanien zu suchen. Aus ersterem Lande
erhalten wir nun Kunde von dem „Licht und dem Ruhm“ des
edlen Schach, mit welchen ehrenden Prädikaten der Syraku-
saner Paolo Boi und der ihm ebenbürtige Calabrese Leo-
nardo da Cutri
(genannt il Puttino) ausgezeichnet werden.
Interessante Berichte überzeugen uns vorzüglich von den Hel-
denthaten des ersteren, welcher über die Spanier Zerone
und Rui Lopez den Sieg davon trug, in der Gegenwart des
Königs Philipp II., der ihn reichlich beschenkte, spielen
musste und nach vielen siegreichen Kämpfen in verschiedenen
Ländern auch den Puttino zu Paaren trieb. Spärliche
Kunde bringt uns das 17. Jahrhundert; Gioachino Greco,
der Calabrese genannt, zeigt sich hier von überwiegender
Geschicklichkeit und soll durch sie, namentlich in Frankreich,
gar reichen Gewinn gezogen haben.

§. 412. Berühmtere Namen knüpfen sich an das folgende
18. Jahrhundert: Philidor, Stamma und die drei grossen
Meister von Modena, unter letzteren als praktischer Spieler
vorzüglich der Consigliere Ercole del Rio vor seinen beiden
Landsleuten Lolli und Ponziani ausgezeichnet. Durch Rio
erfuhr Philidor’s einseitige Bauerntheorie eine scharfe Kritik;
auch ziehen wir Philidor’s praktische Leistungen, wegen derer
noch heutzutage dieser Name gar Manchem als Ideal zu gel-
ten scheint, seinen theoretischen Arbeiten bei Weitem vor.
Eine tiefe analytische Positionskenntniss zeichnet diesen Mei-
ster aus und befähigte ihn zu den gewaltigen Anstrengungen
mehrerer gleichzeitiger Blindlingspartien. Sein bedeutendster
Wettkampf fand gegen den durch seine Endspiele rühmlich
bekannten syrischen Meister Stamma im Jahre 1747 statt.
Philidor gab den Anzug und die Remispartie als gewonnen
vor: doch unter 10 Spielen fielen für Stamma nur 2 günstig
aus und darunter eine Remispartie. — Geboren war André
Danican Philidor
zu Dreux am 7. September 1726; er
starb am 24. August 1795 zu London, wohin er sich vor der
französischen Revolution geflüchtet hatte.

§. 413. Reicher an grossen Meistern ist aber das ge-
genwärtige Jahrhundert. Schon in seinem Anfange leuchten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0248" n="236"/>
haupt ist wohl für jene Zeit die Blüthe des Spieles in Italien<lb/>
und daneben in Spanien zu suchen. Aus ersterem Lande<lb/>
erhalten wir nun Kunde von dem &#x201E;Licht und dem Ruhm&#x201C; des<lb/>
edlen Schach, mit welchen ehrenden Prädikaten der Syraku-<lb/>
saner <hi rendition="#g">Paolo Boi</hi> und der ihm ebenbürtige Calabrese <hi rendition="#g">Leo-<lb/>
nardo da Cutri</hi> (genannt il Puttino) ausgezeichnet werden.<lb/>
Interessante Berichte überzeugen uns vorzüglich von den Hel-<lb/>
denthaten des ersteren, welcher über die Spanier Zerone<lb/>
und Rui Lopez den Sieg davon trug, in der Gegenwart des<lb/>
Königs Philipp II., der ihn reichlich beschenkte, spielen<lb/>
musste und nach vielen siegreichen Kämpfen in verschiedenen<lb/>
Ländern auch den Puttino zu Paaren trieb. Spärliche<lb/>
Kunde bringt uns das 17. Jahrhundert; <hi rendition="#g">Gioachino Greco</hi>,<lb/>
der Calabrese genannt, zeigt sich hier von überwiegender<lb/>
Geschicklichkeit und soll durch sie, namentlich in Frankreich,<lb/>
gar reichen Gewinn gezogen haben.</p><lb/>
                <p>§. 412. Berühmtere Namen knüpfen sich an das folgende<lb/>
18. Jahrhundert: <hi rendition="#g">Philidor, Stamma</hi> und die drei grossen<lb/>
Meister von Modena, unter letzteren als praktischer Spieler<lb/>
vorzüglich der Consigliere <hi rendition="#g">Ercole del Rio</hi> vor seinen beiden<lb/>
Landsleuten <hi rendition="#g">Lolli</hi> und <hi rendition="#g">Ponziani</hi> ausgezeichnet. Durch Rio<lb/>
erfuhr Philidor&#x2019;s einseitige Bauerntheorie eine scharfe Kritik;<lb/>
auch ziehen wir Philidor&#x2019;s praktische Leistungen, wegen derer<lb/>
noch heutzutage dieser Name gar Manchem als Ideal zu gel-<lb/>
ten scheint, seinen theoretischen Arbeiten bei Weitem vor.<lb/>
Eine tiefe analytische Positionskenntniss zeichnet diesen Mei-<lb/>
ster aus und befähigte ihn zu den gewaltigen Anstrengungen<lb/>
mehrerer gleichzeitiger Blindlingspartien. Sein bedeutendster<lb/>
Wettkampf fand gegen den durch seine Endspiele rühmlich<lb/>
bekannten syrischen Meister Stamma im Jahre 1747 statt.<lb/>
Philidor gab den Anzug und die Remispartie als gewonnen<lb/>
vor: doch unter 10 Spielen fielen für Stamma nur 2 günstig<lb/>
aus und darunter eine Remispartie. &#x2014; Geboren war <hi rendition="#g">André<lb/>
Danican Philidor</hi> zu Dreux am 7. September 1726; er<lb/>
starb am 24. August 1795 zu London, wohin er sich vor der<lb/>
französischen Revolution geflüchtet hatte.</p><lb/>
                <p>§. 413. Reicher an grossen Meistern ist aber das ge-<lb/>
genwärtige Jahrhundert. Schon in seinem Anfange leuchten<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0248] haupt ist wohl für jene Zeit die Blüthe des Spieles in Italien und daneben in Spanien zu suchen. Aus ersterem Lande erhalten wir nun Kunde von dem „Licht und dem Ruhm“ des edlen Schach, mit welchen ehrenden Prädikaten der Syraku- saner Paolo Boi und der ihm ebenbürtige Calabrese Leo- nardo da Cutri (genannt il Puttino) ausgezeichnet werden. Interessante Berichte überzeugen uns vorzüglich von den Hel- denthaten des ersteren, welcher über die Spanier Zerone und Rui Lopez den Sieg davon trug, in der Gegenwart des Königs Philipp II., der ihn reichlich beschenkte, spielen musste und nach vielen siegreichen Kämpfen in verschiedenen Ländern auch den Puttino zu Paaren trieb. Spärliche Kunde bringt uns das 17. Jahrhundert; Gioachino Greco, der Calabrese genannt, zeigt sich hier von überwiegender Geschicklichkeit und soll durch sie, namentlich in Frankreich, gar reichen Gewinn gezogen haben. §. 412. Berühmtere Namen knüpfen sich an das folgende 18. Jahrhundert: Philidor, Stamma und die drei grossen Meister von Modena, unter letzteren als praktischer Spieler vorzüglich der Consigliere Ercole del Rio vor seinen beiden Landsleuten Lolli und Ponziani ausgezeichnet. Durch Rio erfuhr Philidor’s einseitige Bauerntheorie eine scharfe Kritik; auch ziehen wir Philidor’s praktische Leistungen, wegen derer noch heutzutage dieser Name gar Manchem als Ideal zu gel- ten scheint, seinen theoretischen Arbeiten bei Weitem vor. Eine tiefe analytische Positionskenntniss zeichnet diesen Mei- ster aus und befähigte ihn zu den gewaltigen Anstrengungen mehrerer gleichzeitiger Blindlingspartien. Sein bedeutendster Wettkampf fand gegen den durch seine Endspiele rühmlich bekannten syrischen Meister Stamma im Jahre 1747 statt. Philidor gab den Anzug und die Remispartie als gewonnen vor: doch unter 10 Spielen fielen für Stamma nur 2 günstig aus und darunter eine Remispartie. — Geboren war André Danican Philidor zu Dreux am 7. September 1726; er starb am 24. August 1795 zu London, wohin er sich vor der französischen Revolution geflüchtet hatte. §. 413. Reicher an grossen Meistern ist aber das ge- genwärtige Jahrhundert. Schon in seinem Anfange leuchten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/248
Zitationshilfe: Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/248>, abgerufen am 23.11.2024.