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Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856.

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Anfang des 16. Jahrhunderts, welcher das Schachspiel be-
nutzen wollte, um die Regeln der Prosodie spielend einzu-
prägen.

Anmerkung. Der gedachte Mönch ist Thomas Murner
welcher im Jahre 1512 zu Frankfurt ein Werkchen unter
folgendem Titel herausgab: "Ludus Studentium Fri-
burgensium, worinnen die Regeln der Prosodie
durch das Schachspiel gelehrt werden
." Es sind
nur 11 Blätter mit 6 Holzschnitten, deren einer ein Schach-
brett mit 225 Feldern, ein anderer ein kreisrundes Schach-
brett mit verschiedenen Figuren darstellt. Man findet da-
rin eine ziemlich gelehrte Anweisung, die Länge der Vo-
kale zu finden, und es handelt sich, was das Schachspiel
betrifft, hier nur um in Quadrate getheilte Bretter. Beim
Einüben der Silbenquantitäten indess bedeuten die weissen
Schachfelder Längen, die schwarzen dagegen Kürzen. Jeder
Spieler wählt 15 Figuren und knüpft an jede derselben
eine sich auf die Quantitäten beziehende Regel. Nun be-
ginnt das Spiel, und so oft eine Figur ihrer Bedeutung
als Länge oder Kürze nach nicht mit dem Felde, auf das
sie gesetzt wird, übereinstimmt, markirt der Gegner diesen
Fehler. Wer am Schlusse sich am wenigsten gestraft fin-
det, gilt als Sieger. Schwerlich ist diese, wiewohl sinn-
reiche, Varietät des Schach zur gründlichen Anwendung
gekommen; auch ist das Büchlein äusserst selten, ein wohl-
behaltenes Exemplar ist fast allein in Stockholm aufge-
funden worden.

§. 352. Eine Art philologischer Thätigkeit erheischt
endlich die correcte Interpretation gewisser allgemeiner
Schilderungen von Schachpartien. Man hat hierbei häufig
die Auswahl unter verschiedenen Conjecturen, und die Kritik
derselben kann nicht selten am förderlichsten nach philo-
logischen Grundsätzen erfolgen.

Anmerkung. Es finden sich in der Literatur, und zwar nicht
blos in den speciellen Werken des Spiels, einige allgemeine
Beschreibungen von Schachpositionen, einzelnen Schach-
zügen und vollständigen Partieen. Vermuthlich lassen sich
diese Schachfragmente in der gewöhnlichen Notation her-
stellen, indem zu der correcten Deutung der einzelnen Be-
schreibungen mehr oder weniger Scharfsinn aufgewandt
wird. Wir wollen zunächst an die freilich höchst frag-
mentarischen Schachpositionen und Züge in Lessing's Na-
than und Göthe's Götz von Berlichingen erinnern. Grösse-
ren Zusammenhang haben die bei Rabelais, Vida und in
Minding's Schach-Travestie von Schiller's Glocke (s. Berl.
Schachztg. von 1853) vorkommenden Schilderungen. In
Vida's grossem Schachepos findet sich ein hartnäckiger
Schachkampf zwischen Apoll und Merkur ausführlich
erörtert; in Rabelais' Werk: "Gargantua et Pantagruel",
handelt das 24. und 25. Kapitel des 5. Buches von einer
Schachmaskerade und einer durch lebende Figuren dar-

Anfang des 16. Jahrhunderts, welcher das Schachspiel be-
nutzen wollte, um die Regeln der Prosodie spielend einzu-
prägen.

Anmerkung. Der gedachte Mönch ist Thomas Murner
welcher im Jahre 1512 zu Frankfurt ein Werkchen unter
folgendem Titel herausgab: „Ludus Studentium Fri-
burgensium, worinnen die Regeln der Prosodie
durch das Schachspiel gelehrt werden
.“ Es sind
nur 11 Blätter mit 6 Holzschnitten, deren einer ein Schach-
brett mit 225 Feldern, ein anderer ein kreisrundes Schach-
brett mit verschiedenen Figuren darstellt. Man findet da-
rin eine ziemlich gelehrte Anweisung, die Länge der Vo-
kale zu finden, und es handelt sich, was das Schachspiel
betrifft, hier nur um in Quadrate getheilte Bretter. Beim
Einüben der Silbenquantitäten indess bedeuten die weissen
Schachfelder Längen, die schwarzen dagegen Kürzen. Jeder
Spieler wählt 15 Figuren und knüpft an jede derselben
eine sich auf die Quantitäten beziehende Regel. Nun be-
ginnt das Spiel, und so oft eine Figur ihrer Bedeutung
als Länge oder Kürze nach nicht mit dem Felde, auf das
sie gesetzt wird, übereinstimmt, markirt der Gegner diesen
Fehler. Wer am Schlusse sich am wenigsten gestraft fin-
det, gilt als Sieger. Schwerlich ist diese, wiewohl sinn-
reiche, Varietät des Schach zur gründlichen Anwendung
gekommen; auch ist das Büchlein äusserst selten, ein wohl-
behaltenes Exemplar ist fast allein in Stockholm aufge-
funden worden.

§. 352. Eine Art philologischer Thätigkeit erheischt
endlich die correcte Interpretation gewisser allgemeiner
Schilderungen von Schachpartien. Man hat hierbei häufig
die Auswahl unter verschiedenen Conjecturen, und die Kritik
derselben kann nicht selten am förderlichsten nach philo-
logischen Grundsätzen erfolgen.

Anmerkung. Es finden sich in der Literatur, und zwar nicht
blos in den speciellen Werken des Spiels, einige allgemeine
Beschreibungen von Schachpositionen, einzelnen Schach-
zügen und vollständigen Partieen. Vermuthlich lassen sich
diese Schachfragmente in der gewöhnlichen Notation her-
stellen, indem zu der correcten Deutung der einzelnen Be-
schreibungen mehr oder weniger Scharfsinn aufgewandt
wird. Wir wollen zunächst an die freilich höchst frag-
mentarischen Schachpositionen und Züge in Lessing’s Na-
than und Göthe’s Götz von Berlichingen erinnern. Grösse-
ren Zusammenhang haben die bei Rabelais, Vida und in
Minding’s Schach-Travestie von Schiller’s Glocke (s. Berl.
Schachztg. von 1853) vorkommenden Schilderungen. In
Vida’s grossem Schachepos findet sich ein hartnäckiger
Schachkampf zwischen Apoll und Merkur ausführlich
erörtert; in Rabelais’ Werk: „Gargantua et Pantagruel“,
handelt das 24. und 25. Kapitel des 5. Buches von einer
Schachmaskerade und einer durch lebende Figuren dar-
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[204/0216] Anfang des 16. Jahrhunderts, welcher das Schachspiel be- nutzen wollte, um die Regeln der Prosodie spielend einzu- prägen. Anmerkung. Der gedachte Mönch ist Thomas Murner welcher im Jahre 1512 zu Frankfurt ein Werkchen unter folgendem Titel herausgab: „Ludus Studentium Fri- burgensium, worinnen die Regeln der Prosodie durch das Schachspiel gelehrt werden.“ Es sind nur 11 Blätter mit 6 Holzschnitten, deren einer ein Schach- brett mit 225 Feldern, ein anderer ein kreisrundes Schach- brett mit verschiedenen Figuren darstellt. Man findet da- rin eine ziemlich gelehrte Anweisung, die Länge der Vo- kale zu finden, und es handelt sich, was das Schachspiel betrifft, hier nur um in Quadrate getheilte Bretter. Beim Einüben der Silbenquantitäten indess bedeuten die weissen Schachfelder Längen, die schwarzen dagegen Kürzen. Jeder Spieler wählt 15 Figuren und knüpft an jede derselben eine sich auf die Quantitäten beziehende Regel. Nun be- ginnt das Spiel, und so oft eine Figur ihrer Bedeutung als Länge oder Kürze nach nicht mit dem Felde, auf das sie gesetzt wird, übereinstimmt, markirt der Gegner diesen Fehler. Wer am Schlusse sich am wenigsten gestraft fin- det, gilt als Sieger. Schwerlich ist diese, wiewohl sinn- reiche, Varietät des Schach zur gründlichen Anwendung gekommen; auch ist das Büchlein äusserst selten, ein wohl- behaltenes Exemplar ist fast allein in Stockholm aufge- funden worden. §. 352. Eine Art philologischer Thätigkeit erheischt endlich die correcte Interpretation gewisser allgemeiner Schilderungen von Schachpartien. Man hat hierbei häufig die Auswahl unter verschiedenen Conjecturen, und die Kritik derselben kann nicht selten am förderlichsten nach philo- logischen Grundsätzen erfolgen. Anmerkung. Es finden sich in der Literatur, und zwar nicht blos in den speciellen Werken des Spiels, einige allgemeine Beschreibungen von Schachpositionen, einzelnen Schach- zügen und vollständigen Partieen. Vermuthlich lassen sich diese Schachfragmente in der gewöhnlichen Notation her- stellen, indem zu der correcten Deutung der einzelnen Be- schreibungen mehr oder weniger Scharfsinn aufgewandt wird. Wir wollen zunächst an die freilich höchst frag- mentarischen Schachpositionen und Züge in Lessing’s Na- than und Göthe’s Götz von Berlichingen erinnern. Grösse- ren Zusammenhang haben die bei Rabelais, Vida und in Minding’s Schach-Travestie von Schiller’s Glocke (s. Berl. Schachztg. von 1853) vorkommenden Schilderungen. In Vida’s grossem Schachepos findet sich ein hartnäckiger Schachkampf zwischen Apoll und Merkur ausführlich erörtert; in Rabelais’ Werk: „Gargantua et Pantagruel“, handelt das 24. und 25. Kapitel des 5. Buches von einer Schachmaskerade und einer durch lebende Figuren dar-

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Zitationshilfe: Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/216>, abgerufen am 23.11.2024.