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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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Die deutsche höhere Mädchenschule verdankt ihren Ur- Geschichtliches über die
Entwicklung der höheren
Mädchenschule.

sprung privaten Bestrebungen, die zu Ende des vorigen
und zu Anfang dieses Jahrhunderts einem Bedürfnis ent-
gegenkamen, das sich seit dem Wiedererwachen des geisti-
gen Lebens in Deutschland, vor allem seit dem Aufschwung
unserer nationalen Litteratur auf das Lebhafteste bemerkbar
gemacht hatte. "Frauen von edleren Umgangsformen, voll
reger Empfänglichkeit für die Schönheit der anhebenden
klassischen Litteratur waren es zunächst und zumeist, die als
begeisterte Sendlinge einer neuen Zeit höhere Bildungs-
stätten eröffneten und die idealen Bedürfnisse des weib-
lichen Herzens und Geistes befriedigen lehrten1)." -- Wie
alle privaten Bestrebungen, so trugen auch diese ihre Ge-
währ nur in dem Charakter ihrer Urheber. Wenn also
einerseits volle Hingabe an das aus freier Initiative Er-
griffene, individuelle, einheitliche und darum nachhaltige
Wirkung, Originalität und Energie erwartet werden konn-
ten und gefunden wurden, so zeigte sich andrerseits auch
wohl eine ungerechtfertigte Nachgiebigkeit gegen allerlei Zeit -
und Modethorheiten, die zum Teil durch die pekuniäre Un-
sicherheit der neuen Anstalten und ihre Abhängigkeit vom
Publikum hervorgerufen wurde. Um der Willkür zu steuern,
und da die Wichtigkeit einer tüchtigen Mädchenbildung auch
für den Staat auf der Hand lag, unternahm es dieser
unter baldiger Nachfolge der Gemeinden, höhere Mädchen-
schulen zu begründen, die den Privatschulen als Norm

1) Denkschrift des Berliner Vereins für höhere Töchterschulen S. 4.

Die deutsche höhere Mädchenschule verdankt ihren Ur- Geschichtliches über die
Entwicklung der höheren
Mädchenschule.

sprung privaten Bestrebungen, die zu Ende des vorigen
und zu Anfang dieses Jahrhunderts einem Bedürfnis ent-
gegenkamen, das sich seit dem Wiedererwachen des geisti-
gen Lebens in Deutschland, vor allem seit dem Aufschwung
unserer nationalen Litteratur auf das Lebhafteste bemerkbar
gemacht hatte. „Frauen von edleren Umgangsformen, voll
reger Empfänglichkeit für die Schönheit der anhebenden
klassischen Litteratur waren es zunächst und zumeist, die als
begeisterte Sendlinge einer neuen Zeit höhere Bildungs-
stätten eröffneten und die idealen Bedürfnisse des weib-
lichen Herzens und Geistes befriedigen lehrten1).“ — Wie
alle privaten Bestrebungen, so trugen auch diese ihre Ge-
währ nur in dem Charakter ihrer Urheber. Wenn also
einerseits volle Hingabe an das aus freier Initiative Er-
griffene, individuelle, einheitliche und darum nachhaltige
Wirkung, Originalität und Energie erwartet werden konn-
ten und gefunden wurden, so zeigte sich andrerseits auch
wohl eine ungerechtfertigte Nachgiebigkeit gegen allerlei Zeit -
und Modethorheiten, die zum Teil durch die pekuniäre Un-
sicherheit der neuen Anstalten und ihre Abhängigkeit vom
Publikum hervorgerufen wurde. Um der Willkür zu steuern,
und da die Wichtigkeit einer tüchtigen Mädchenbildung auch
für den Staat auf der Hand lag, unternahm es dieser
unter baldiger Nachfolge der Gemeinden, höhere Mädchen-
schulen zu begründen, die den Privatschulen als Norm

1) Denkschrift des Berliner Vereins für höhere Töchterschulen S. 4.
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[[5]/0006] Die deutsche höhere Mädchenschule verdankt ihren Ur- sprung privaten Bestrebungen, die zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts einem Bedürfnis ent- gegenkamen, das sich seit dem Wiedererwachen des geisti- gen Lebens in Deutschland, vor allem seit dem Aufschwung unserer nationalen Litteratur auf das Lebhafteste bemerkbar gemacht hatte. „Frauen von edleren Umgangsformen, voll reger Empfänglichkeit für die Schönheit der anhebenden klassischen Litteratur waren es zunächst und zumeist, die als begeisterte Sendlinge einer neuen Zeit höhere Bildungs- stätten eröffneten und die idealen Bedürfnisse des weib- lichen Herzens und Geistes befriedigen lehrten 1).“ — Wie alle privaten Bestrebungen, so trugen auch diese ihre Ge- währ nur in dem Charakter ihrer Urheber. Wenn also einerseits volle Hingabe an das aus freier Initiative Er- griffene, individuelle, einheitliche und darum nachhaltige Wirkung, Originalität und Energie erwartet werden konn- ten und gefunden wurden, so zeigte sich andrerseits auch wohl eine ungerechtfertigte Nachgiebigkeit gegen allerlei Zeit - und Modethorheiten, die zum Teil durch die pekuniäre Un- sicherheit der neuen Anstalten und ihre Abhängigkeit vom Publikum hervorgerufen wurde. Um der Willkür zu steuern, und da die Wichtigkeit einer tüchtigen Mädchenbildung auch für den Staat auf der Hand lag, unternahm es dieser unter baldiger Nachfolge der Gemeinden, höhere Mädchen- schulen zu begründen, die den Privatschulen als Norm Geschichtliches über die Entwicklung der höheren Mädchenschule. 1) Denkschrift des Berliner Vereins für höhere Töchterschulen S. 4.

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/6>, abgerufen am 19.04.2024.