oder zu einem toten Dogmatismus, der bestenfalls wir- kungslos bleibt, aber häufiger noch abstößt. Die Halb- bildung macht eingebildet, einseitig und hochmütig; sie läßt den Kreis kleiner Pflichten, in dem sich nun einmal das Leben der meisten Frauen bewegt und noch lange be- wegen wird, als etwas Verächtliches ansehen; sie erfüllt mit jener Ehrfurcht vor dem Stofflichen, dem Positiven, die unsere Lehrerinnen jetzt oft um die Wette mit den Lehrern zur Überbürdung der Schülerinnen beitragen läßt; sie macht aus allen diesen Gründen die Frauen unfähig zur Erfüllung ihrer höchsten und heiligsten Aufgabe, zur Erziehung. Niemals aber die echte Bildung. Sie zeigt uns im Gegenteil unsere kleinen Pflichten und unseren Er- zieherberuf unter einem neuen Licht und lehrt uns, sie aus anderem Geiste zu erfüllen, sie lehrt uns die Dinge in ihrem wahren Wert erkennen und macht uns frei von dem übertriebenen Respekt vor dem Positiven und dem Be- stehenden, der jeden Fortschritt hemmt, um an seine Stelle die gegründetere Ehrfurcht vor der in den Dingen selbst liegenden Vernunft und dem ewigen Sittengesetz zu wecken; sie befreit uns eben dadurch von all den tausend Vor- urteilen, die sich von einer Generation zur andern fort- schleppen, und die gerade die Lehrerin, die die zukünftigen Mütter erzieht, notwendig ablegen müßte. Mag sie Um- wege machen, um zu solcher inneren Freiheit zu gelangen: es ist nicht wahr, daß durch solche Umwege, daß durch eigenes Denken und Forschen unsere Weiblichkeit verloren gehe. Den Mann mag es leicht zur Verneinung führen, weil in ihm die Verstandesnatur überwiegt; die Frau führt ver- tiefte Bildung, führt das echte Verständnis des Menschlichen schließlich nur näher zu Gott. Unberührt von dem Skepticis- mus unserer Tage kann sie ja so wie so nicht bleiben; die halbe Bildung gesellt sie zu den Zweiflern und Spöttern; nur die echte Bildung kann ihr helfen, sie zu überwinden.
Wir können also nicht zugeben, daß die Gründe, welche man gegen eine gründlichere Ausbildung der Lehrerinnen
oder zu einem toten Dogmatismus, der bestenfalls wir- kungslos bleibt, aber häufiger noch abstößt. Die Halb- bildung macht eingebildet, einseitig und hochmütig; sie läßt den Kreis kleiner Pflichten, in dem sich nun einmal das Leben der meisten Frauen bewegt und noch lange be- wegen wird, als etwas Verächtliches ansehen; sie erfüllt mit jener Ehrfurcht vor dem Stofflichen, dem Positiven, die unsere Lehrerinnen jetzt oft um die Wette mit den Lehrern zur Überbürdung der Schülerinnen beitragen läßt; sie macht aus allen diesen Gründen die Frauen unfähig zur Erfüllung ihrer höchsten und heiligsten Aufgabe, zur Erziehung. Niemals aber die echte Bildung. Sie zeigt uns im Gegenteil unsere kleinen Pflichten und unseren Er- zieherberuf unter einem neuen Licht und lehrt uns, sie aus anderem Geiste zu erfüllen, sie lehrt uns die Dinge in ihrem wahren Wert erkennen und macht uns frei von dem übertriebenen Respekt vor dem Positiven und dem Be- stehenden, der jeden Fortschritt hemmt, um an seine Stelle die gegründetere Ehrfurcht vor der in den Dingen selbst liegenden Vernunft und dem ewigen Sittengesetz zu wecken; sie befreit uns eben dadurch von all den tausend Vor- urteilen, die sich von einer Generation zur andern fort- schleppen, und die gerade die Lehrerin, die die zukünftigen Mütter erzieht, notwendig ablegen müßte. Mag sie Um- wege machen, um zu solcher inneren Freiheit zu gelangen: es ist nicht wahr, daß durch solche Umwege, daß durch eigenes Denken und Forschen unsere Weiblichkeit verloren gehe. Den Mann mag es leicht zur Verneinung führen, weil in ihm die Verstandesnatur überwiegt; die Frau führt ver- tiefte Bildung, führt das echte Verständnis des Menschlichen schließlich nur näher zu Gott. Unberührt von dem Skepticis- mus unserer Tage kann sie ja so wie so nicht bleiben; die halbe Bildung gesellt sie zu den Zweiflern und Spöttern; nur die echte Bildung kann ihr helfen, sie zu überwinden.
Wir können also nicht zugeben, daß die Gründe, welche man gegen eine gründlichere Ausbildung der Lehrerinnen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0058"n="57"/>
oder zu einem toten Dogmatismus, der bestenfalls wir-<lb/>
kungslos bleibt, aber häufiger noch abstößt. Die Halb-<lb/>
bildung macht eingebildet, einseitig und hochmütig; sie<lb/>
läßt den Kreis kleiner Pflichten, in dem sich nun einmal<lb/>
das Leben der meisten Frauen bewegt und noch lange be-<lb/>
wegen wird, als etwas Verächtliches ansehen; sie erfüllt<lb/>
mit jener Ehrfurcht vor dem Stofflichen, dem Positiven,<lb/>
die unsere Lehrerinnen jetzt oft um die Wette mit den<lb/>
Lehrern zur Überbürdung der Schülerinnen beitragen läßt;<lb/>
sie macht aus allen diesen Gründen die Frauen unfähig<lb/>
zur Erfüllung ihrer höchsten und heiligsten Aufgabe, zur<lb/>
Erziehung. Niemals aber die echte Bildung. Sie zeigt<lb/>
uns im Gegenteil unsere kleinen Pflichten und unseren Er-<lb/>
zieherberuf unter einem neuen Licht und lehrt uns, sie aus<lb/>
anderem Geiste zu erfüllen, sie lehrt uns die Dinge in<lb/>
ihrem wahren Wert erkennen und macht uns frei von dem<lb/>
übertriebenen Respekt vor dem Positiven und dem Be-<lb/>
stehenden, der jeden Fortschritt hemmt, um an seine Stelle<lb/>
die gegründetere Ehrfurcht vor der in den Dingen selbst<lb/>
liegenden Vernunft und dem ewigen Sittengesetz zu wecken;<lb/>
sie befreit uns eben dadurch von all den tausend Vor-<lb/>
urteilen, die sich von einer Generation zur andern fort-<lb/>
schleppen, und die gerade die Lehrerin, die die zukünftigen<lb/>
Mütter erzieht, notwendig ablegen müßte. Mag sie Um-<lb/>
wege machen, um zu solcher inneren Freiheit zu gelangen:<lb/>
es ist nicht wahr, daß durch solche Umwege, daß durch<lb/>
eigenes Denken und Forschen unsere Weiblichkeit verloren<lb/>
gehe. Den Mann mag es leicht zur Verneinung führen, weil<lb/>
in ihm die Verstandesnatur überwiegt; die Frau führt ver-<lb/>
tiefte Bildung, führt das echte Verständnis des Menschlichen<lb/>
schließlich nur näher zu Gott. Unberührt von dem Skepticis-<lb/>
mus unserer Tage kann sie ja so wie so nicht bleiben; die<lb/>
halbe Bildung gesellt sie zu den Zweiflern und Spöttern;<lb/>
nur die echte Bildung kann ihr helfen, sie zu überwinden.</p><lb/><p>Wir können also nicht zugeben, daß die Gründe, welche<lb/>
man gegen eine gründlichere Ausbildung der Lehrerinnen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0058]
oder zu einem toten Dogmatismus, der bestenfalls wir-
kungslos bleibt, aber häufiger noch abstößt. Die Halb-
bildung macht eingebildet, einseitig und hochmütig; sie
läßt den Kreis kleiner Pflichten, in dem sich nun einmal
das Leben der meisten Frauen bewegt und noch lange be-
wegen wird, als etwas Verächtliches ansehen; sie erfüllt
mit jener Ehrfurcht vor dem Stofflichen, dem Positiven,
die unsere Lehrerinnen jetzt oft um die Wette mit den
Lehrern zur Überbürdung der Schülerinnen beitragen läßt;
sie macht aus allen diesen Gründen die Frauen unfähig
zur Erfüllung ihrer höchsten und heiligsten Aufgabe, zur
Erziehung. Niemals aber die echte Bildung. Sie zeigt
uns im Gegenteil unsere kleinen Pflichten und unseren Er-
zieherberuf unter einem neuen Licht und lehrt uns, sie aus
anderem Geiste zu erfüllen, sie lehrt uns die Dinge in
ihrem wahren Wert erkennen und macht uns frei von dem
übertriebenen Respekt vor dem Positiven und dem Be-
stehenden, der jeden Fortschritt hemmt, um an seine Stelle
die gegründetere Ehrfurcht vor der in den Dingen selbst
liegenden Vernunft und dem ewigen Sittengesetz zu wecken;
sie befreit uns eben dadurch von all den tausend Vor-
urteilen, die sich von einer Generation zur andern fort-
schleppen, und die gerade die Lehrerin, die die zukünftigen
Mütter erzieht, notwendig ablegen müßte. Mag sie Um-
wege machen, um zu solcher inneren Freiheit zu gelangen:
es ist nicht wahr, daß durch solche Umwege, daß durch
eigenes Denken und Forschen unsere Weiblichkeit verloren
gehe. Den Mann mag es leicht zur Verneinung führen, weil
in ihm die Verstandesnatur überwiegt; die Frau führt ver-
tiefte Bildung, führt das echte Verständnis des Menschlichen
schließlich nur näher zu Gott. Unberührt von dem Skepticis-
mus unserer Tage kann sie ja so wie so nicht bleiben; die
halbe Bildung gesellt sie zu den Zweiflern und Spöttern;
nur die echte Bildung kann ihr helfen, sie zu überwinden.
Wir können also nicht zugeben, daß die Gründe, welche
man gegen eine gründlichere Ausbildung der Lehrerinnen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Melanie Henß, Marc Kuse, Thomas Gloning, Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Texterfassung und Korrekturen, Konversion nach XML
(2013-05-22T08:12:00Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-05-22T08:12:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes als rundes s erfasst.
I/J nach Lautwert transkribiert.
Marginalien, Bogensignaturen, Kustoden und Kolumnentitel wurden nicht erfasst.
Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/58>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.