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Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887.

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wegen ihrer Gundanschauung erzeugen mußte. Sie will
dem Manne zu Liebe erziehen, und, es ist eine merkwürdige
aber unbestreitbare Thatsache, der deutsche Mann liebt im
ganzen Selbständigkeit an der Frau durchaus nicht, eine
gewisse Unselbständigkeit giebt ihr einen Reiz mehr, der
noch erhöht wird durch die Gelegenheit, die sie dem
Manne giebt seine Superiorität zu zeigen, und daran
findet gerade der Deutsche, man mag es wenden, wie
man will, ein entschiedenes Gefallen. Nur daraus erklärt
es sich, daß von den Tausenden auf die Mädchenschule
scheltenden Vätern und Männern nie ein Schritt zur
Verbesserung der hier herrschenden Zustände geschehen ist.
Das schöne Wort Goethes, daß die vorzüglichste Frau die
sei, welche zur Not ihren Kindern auch den Vater ersetzen
könne, findet noch wenig Widerhall in den Herzen deutscher
Männer!

Aber freilich haben sich die Frauen auch noch nie mit
einem energischen Appell an die deutschen Männer gewandt,
um sie aufmerksam zu machen auf die Gefährlichkeit der
Richtung, die die Mädchenbildung eingeschlagen; vielleicht
bedarf es nur eines solchen, um sie zur Einsicht zu bringen,
um ihnen ein Bewußtsein davon zu geben, was alles in
dem Satze liegt: die Frau ist nicht nur die Frau
ihres Mannes, sie ist auch die Mutter ihrer Kin-
der
, und in dem zweiten: nicht alle Frauen sind zur
Heirat berufen, fast ausnahmslos aber haben sie
in irgend welcher Weise mit der Erziehung der
Jugend zu thun
. Aus diesen Sätzen gewinnen wir
Klarheit über das, was immer Lebensbestimmung der
Frau ist, Klarheit auch darüber, daß sie zur selbständigen
Persönlichkeit entwickelt werden muß.

Wir können nun freilich, eben weil uns unser Er-
ziehungsziel keine Phrase ist, nie glauben, daß die Schule
solche Persönlichkeiten fertig stellen könne; mit 16 Jahren
ist man eben kein selbständiger Mensch; aber sie kann die
Fähigkeiten dazu entwickeln helfen und somit der

wegen ihrer Gundanschauung erzeugen mußte. Sie will
dem Manne zu Liebe erziehen, und, es ist eine merkwürdige
aber unbestreitbare Thatsache, der deutsche Mann liebt im
ganzen Selbständigkeit an der Frau durchaus nicht, eine
gewisse Unselbständigkeit giebt ihr einen Reiz mehr, der
noch erhöht wird durch die Gelegenheit, die sie dem
Manne giebt seine Superiorität zu zeigen, und daran
findet gerade der Deutsche, man mag es wenden, wie
man will, ein entschiedenes Gefallen. Nur daraus erklärt
es sich, daß von den Tausenden auf die Mädchenschule
scheltenden Vätern und Männern nie ein Schritt zur
Verbesserung der hier herrschenden Zustände geschehen ist.
Das schöne Wort Goethes, daß die vorzüglichste Frau die
sei, welche zur Not ihren Kindern auch den Vater ersetzen
könne, findet noch wenig Widerhall in den Herzen deutscher
Männer!

Aber freilich haben sich die Frauen auch noch nie mit
einem energischen Appell an die deutschen Männer gewandt,
um sie aufmerksam zu machen auf die Gefährlichkeit der
Richtung, die die Mädchenbildung eingeschlagen; vielleicht
bedarf es nur eines solchen, um sie zur Einsicht zu bringen,
um ihnen ein Bewußtsein davon zu geben, was alles in
dem Satze liegt: die Frau ist nicht nur die Frau
ihres Mannes, sie ist auch die Mutter ihrer Kin-
der
, und in dem zweiten: nicht alle Frauen sind zur
Heirat berufen, fast ausnahmslos aber haben sie
in irgend welcher Weise mit der Erziehung der
Jugend zu thun
. Aus diesen Sätzen gewinnen wir
Klarheit über das, was immer Lebensbestimmung der
Frau ist, Klarheit auch darüber, daß sie zur selbständigen
Persönlichkeit entwickelt werden muß.

Wir können nun freilich, eben weil uns unser Er-
ziehungsziel keine Phrase ist, nie glauben, daß die Schule
solche Persönlichkeiten fertig stellen könne; mit 16 Jahren
ist man eben kein selbständiger Mensch; aber sie kann die
Fähigkeiten dazu entwickeln helfen und somit der

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[21/0022] wegen ihrer Gundanschauung erzeugen mußte. Sie will dem Manne zu Liebe erziehen, und, es ist eine merkwürdige aber unbestreitbare Thatsache, der deutsche Mann liebt im ganzen Selbständigkeit an der Frau durchaus nicht, eine gewisse Unselbständigkeit giebt ihr einen Reiz mehr, der noch erhöht wird durch die Gelegenheit, die sie dem Manne giebt seine Superiorität zu zeigen, und daran findet gerade der Deutsche, man mag es wenden, wie man will, ein entschiedenes Gefallen. Nur daraus erklärt es sich, daß von den Tausenden auf die Mädchenschule scheltenden Vätern und Männern nie ein Schritt zur Verbesserung der hier herrschenden Zustände geschehen ist. Das schöne Wort Goethes, daß die vorzüglichste Frau die sei, welche zur Not ihren Kindern auch den Vater ersetzen könne, findet noch wenig Widerhall in den Herzen deutscher Männer! Aber freilich haben sich die Frauen auch noch nie mit einem energischen Appell an die deutschen Männer gewandt, um sie aufmerksam zu machen auf die Gefährlichkeit der Richtung, die die Mädchenbildung eingeschlagen; vielleicht bedarf es nur eines solchen, um sie zur Einsicht zu bringen, um ihnen ein Bewußtsein davon zu geben, was alles in dem Satze liegt: die Frau ist nicht nur die Frau ihres Mannes, sie ist auch die Mutter ihrer Kin- der, und in dem zweiten: nicht alle Frauen sind zur Heirat berufen, fast ausnahmslos aber haben sie in irgend welcher Weise mit der Erziehung der Jugend zu thun. Aus diesen Sätzen gewinnen wir Klarheit über das, was immer Lebensbestimmung der Frau ist, Klarheit auch darüber, daß sie zur selbständigen Persönlichkeit entwickelt werden muß. Wir können nun freilich, eben weil uns unser Er- ziehungsziel keine Phrase ist, nie glauben, daß die Schule solche Persönlichkeiten fertig stellen könne; mit 16 Jahren ist man eben kein selbständiger Mensch; aber sie kann die Fähigkeiten dazu entwickeln helfen und somit der

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Berlin, 1887, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_maedchenschule_1887/22>, abgerufen am 24.04.2024.