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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729.

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C. 1. v. 6. 7. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch] noch heute zu tage in Paulinischer Lauterkeit mit
Lehr und Leben davor warnen, mit aller Folgsam-
keit zu hören: wie denn leider auch noch heute zu
tage die Mataeologie oder das lose Geschwätze
in der Theologie auf manchen Cathedern und
Cantzeln, auch in manchen Schriften, sehr ge-
mein ist, und sich dabey mit vielem Vorgeben der
Orthodoxie, oder Richtigkeit der Lehre, schmü-
cket. So ist, oder wird auch eine iegliche The-
ologie
und Predigt eine Mataeologie, oder
loses Geschwätz, wenn sie die Liebe, oder Pflich-
ten des Christenthums nicht lauterlich treibet,
nemlich in der Ordnung der durch die Widerge-
burt und Rechtfertigung zu erhaltenden Reini-
gung des Hertzens, des guten Gewissens, und des
ungefärbten rechtschaffnen Glaubens.

3. Sonderlich haben sich Studiosi Theo-
logiae
zu hüten, daß sie nicht mataiologoi, lose
Schwätzer, und dabey phrenapatai, Verführer,
werden, welche beyde Worte Paulus Tit. 1, 10.
gar nachdrücklich zusammen setzet.

4. Wenn Paulus gedencket, daß die, wel-
che zum losen Geschwätz umgewandt sind, der zu-
vorgedachten theuren Beylage überhaupt und al-
so in allen Stöcken beraubet worden, wie er denn
mit dem Wörtlein on welcher auf alle vorherge-
hende Stücke siehet: so zeiget er damit an, wie
daß eines ohne das andere weder erlanget, noch
bewahret werden könne. Denn gelanget einer
nicht zur Reinigung des Hertzens in der Wider-
geburt und Rechtfertigung; so kömmt er auch
nicht zum guten Gewissen und zum ungefärbten
Glauben. Und hat einer den Glauben nicht,
oder verlieret ihn, so hat er auch kein gutes Gewis-
sen und kein reines Hertz, oder er verlieret es. Und
eben so wenig kan ohne ein gutes Gewissen das
reine Hertz und der Glaube nebst der Liebe beste-
hen. Siehe V. 19. und Cap. 3, 9.

5. Wie Paulus das gute Gewissen mit dem
ungefärbten Glauben verknüpfet, so hat man
im Christenthum das fidenter, zuversichtlich im
Glauben, mit dem fideliter, getreulich im gu-
ten Gewissen, im Wandel vor GOTT immer
zu verbinden. Und also wandelt man würdiglich
(obgleich noch in vieler Unvollkommenheit) nach
dem Evangelio und Gesetze; wie es die Qvelle
des Evangelii, GOttes Gnade, und des
Gesetzes, GOttes Gerechtigkeit nebst der Hei-
ligkeit mit sich bringet.

V. 7.

Wollen der Schrift Meister (nomodi-
daskaloi, Gesetz-Lehrer) seyn, (rühmen sich
auch grosser Erkenntniß nach dem Gesetze Röm.
2, 17. 18. 19.) und verstehen nicht, was sie
sagen und was sie setzen,
(was sie bejahen,
und das, womit sie das bejahete beweisen; da-
von haben sie keine wahre Erkenntniß, und den-
cken der Sache auch nicht einmal recht nach, son-
sten sie den Ungrund ihrer Dinge leichtlich einse-
hen würden.)

Anmerckungen.

1. Es wird das Wort Gesetz zwar hin und
wieder von der gantzen heiligen Schrift gebrau-
[Spaltenumbruch] chet: allein alhier weiset es der gantze Context
aus, daß es in seinem eigentlichen Verstande,
nach welchem es vom Evangelio unterschieden ist,
stehe. Und gleichwie der Apostel mit den Wor-
ten von den Fabeln und den Geschlecht-Regi-
stern
vorher sonderlich auf einige vom Juden-
thum zum Christenthum nicht recht bekehrete
Lehrer gesehen hat: also setzet er auch dieses von
ihnen, wie sie nemlich auf eine verkehrte und dem
Evangelio sehr nachtheilige Art (davon der Apo-
stel sonderlich in der Epistel an die Galater han-
delt) das Gesetz getrieben haben; daher denn
auch wol ohne Zweifel die mancherley Menschen-
Satzungen und übele Gesetz-Deutungen, die
von den Pharisäern waren fortgepflantzet wor-
den, werden gekommen seyn.

2. Diejenigen Lehrer, die nicht wahrhaftig
bekehret sind, und Christum nicht glaubig und
lebendig erkennen, treiben nach dem Moral-
Gesetz zwar die Liebe, aber nicht also, wie sie aus
einem reinen Hertzen, und guten Gewissen und
ungefärbten Glauben fliesset. Dergleichen un-
ächte Gesetz-Lehrer es noch heut zu Tage giebet,
auch leider in der Evangelischen Kirche selbst:
und zwar auf eine doppelte Art: da man nem-
lich, bey dem Mangel eigener innerlichen wah-
ren Bekehrung das thätige Christenthum nur
auf eine bloß gesetzliche Art treibet, und von den
Todten ohne Leben den Wandel fordert, und
ihnen nicht recht zeiget, wie sie nach dem Evan-
gelischen Grunde der Bekehrung und zu erlan-
gender Gnaden-Kräfte dazu kommen sollen:
oder aber das Evangelium also prediget, daß
es nach dem unlautern Vortrage, zum grossen
Nachtheil des Gesetzes und der Heiligung kan
auf Muthwillen gezogen werden.

3. Es stehen alhier von einem Lehrer drey
Worte, noei~n verstehen, legein, sagen, et-
was als einen Satz vortragen, und diabebaiou~-
sthai, das gesetzte bevestigen, oder es mit sol-
chen Gründen erweisen, daß man von der
Wahrheit überzeuget werde. Den falschen Ge-
setz-Lehrern hat es an allen diesen drey Stücken
gefehlet: zuvorderst an der Erkenntniß, auch des
Gesetzes selbst; als dessen Zweck und geistlichen
Verstand, wie er auf die höchste Vollkommen-
heit gehet, und wie diese Leistung uns unmög-
lich ist, und wie wir daher eines Heylandes
nöthig haben, er gar nicht einsiehet, und vom
Gesetze doch viel saget oder setzet, welches denn
mit den dazu angeführten Gründen unrichtig und
irrig ist. Bey einem rechten Gesetz-Lehrer aber,
der zugleich ein guter Evangelist, stehen diese
drey Stücke, das noei~n, verstehen, legein, sa-
gen,
und b-baiou~sthai, bevestigen, in ihrer
Richtigkeit und rechten Kraft bey einander. Von
dem letztern Stücke siehe Tit. 3, 8. da Tito be-
fohlen wird, wie er die vorher gedachte Haupt-
Stücke der Christlichen Religion solle diabebai-
ou~sthai, veste lehren; wie es daselbst Lutherus
übersetzet hat. Wie Stephanus und Paulus
solches gegen die Juden gethan, sehe man Ap.
Gesch. 6, 11. und 19, 22.

V. 8.
L 2

C. 1. v. 6. 7. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch] noch heute zu tage in Pauliniſcher Lauterkeit mit
Lehr und Leben davor warnen, mit aller Folgſam-
keit zu hoͤren: wie denn leider auch noch heute zu
tage die Matæologie oder das loſe Geſchwaͤtze
in der Theologie auf manchen Cathedern und
Cantzeln, auch in manchen Schriften, ſehr ge-
mein iſt, und ſich dabey mit vielem Vorgeben der
Orthodoxie, oder Richtigkeit der Lehre, ſchmuͤ-
cket. So iſt, oder wird auch eine iegliche The-
ologie
und Predigt eine Matæologie, oder
loſes Geſchwaͤtz, wenn ſie die Liebe, oder Pflich-
ten des Chriſtenthums nicht lauterlich treibet,
nemlich in der Ordnung der durch die Widerge-
burt und Rechtfertigung zu erhaltenden Reini-
gung des Hertzens, des guten Gewiſſens, und des
ungefaͤrbten rechtſchaffnen Glaubens.

3. Sonderlich haben ſich Studioſi Theo-
logiæ
zu huͤten, daß ſie nicht ματαιολόγοι, loſe
Schwaͤtzer, und dabey ϕρεναπάται, Verfuͤhrer,
werden, welche beyde Worte Paulus Tit. 1, 10.
gar nachdruͤcklich zuſammen ſetzet.

4. Wenn Paulus gedencket, daß die, wel-
che zum loſen Geſchwaͤtz umgewandt ſind, der zu-
vorgedachten theuren Beylage uͤberhaupt und al-
ſo in allen Stoͤcken beraubet worden, wie er denn
mit dem Woͤrtlein ὡν welcher auf alle vorherge-
hende Stuͤcke ſiehet: ſo zeiget er damit an, wie
daß eines ohne das andere weder erlanget, noch
bewahret werden koͤnne. Denn gelanget einer
nicht zur Reinigung des Hertzens in der Wider-
geburt und Rechtfertigung; ſo koͤmmt er auch
nicht zum guten Gewiſſen und zum ungefaͤrbten
Glauben. Und hat einer den Glauben nicht,
oder verlieret ihn, ſo hat er auch kein gutes Gewiſ-
ſen und kein reines Hertz, oder er verlieret es. Und
eben ſo wenig kan ohne ein gutes Gewiſſen das
reine Hertz und der Glaube nebſt der Liebe beſte-
hen. Siehe V. 19. und Cap. 3, 9.

5. Wie Paulus das gute Gewiſſen mit dem
ungefaͤrbten Glauben verknuͤpfet, ſo hat man
im Chriſtenthum das fidenter, zuverſichtlich im
Glauben, mit dem fideliter, getreulich im gu-
ten Gewiſſen, im Wandel vor GOTT immer
zu verbinden. Und alſo wandelt man wuͤrdiglich
(obgleich noch in vieler Unvollkommenheit) nach
dem Evangelio und Geſetze; wie es die Qvelle
des Evangelii, GOttes Gnade, und des
Geſetzes, GOttes Gerechtigkeit nebſt der Hei-
ligkeit mit ſich bringet.

V. 7.

Wollen der Schrift Meiſter (νομοδι-
δάσκαλοι, Geſetz-Lehrer) ſeyn, (ruͤhmen ſich
auch groſſer Erkenntniß nach dem Geſetze Roͤm.
2, 17. 18. 19.) und verſtehen nicht, was ſie
ſagen und was ſie ſetzen,
(was ſie bejahen,
und das, womit ſie das bejahete beweiſen; da-
von haben ſie keine wahre Erkenntniß, und den-
cken der Sache auch nicht einmal recht nach, ſon-
ſten ſie den Ungrund ihrer Dinge leichtlich einſe-
hen wuͤrden.)

Anmerckungen.

1. Es wird das Wort Geſetz zwar hin und
wieder von der gantzen heiligen Schrift gebrau-
[Spaltenumbruch] chet: allein alhier weiſet es der gantze Context
aus, daß es in ſeinem eigentlichen Verſtande,
nach welchem es vom Evangelio unterſchieden iſt,
ſtehe. Und gleichwie der Apoſtel mit den Wor-
ten von den Fabeln und den Geſchlecht-Regi-
ſtern
vorher ſonderlich auf einige vom Juden-
thum zum Chriſtenthum nicht recht bekehrete
Lehrer geſehen hat: alſo ſetzet er auch dieſes von
ihnen, wie ſie nemlich auf eine verkehrte und dem
Evangelio ſehr nachtheilige Art (davon der Apo-
ſtel ſonderlich in der Epiſtel an die Galater han-
delt) das Geſetz getrieben haben; daher denn
auch wol ohne Zweifel die mancherley Menſchen-
Satzungen und uͤbele Geſetz-Deutungen, die
von den Phariſaͤern waren fortgepflantzet wor-
den, werden gekommen ſeyn.

2. Diejenigen Lehrer, die nicht wahrhaftig
bekehret ſind, und Chriſtum nicht glaubig und
lebendig erkennen, treiben nach dem Moral-
Geſetz zwar die Liebe, aber nicht alſo, wie ſie aus
einem reinen Hertzen, und guten Gewiſſen und
ungefaͤrbten Glauben flieſſet. Dergleichen un-
aͤchte Geſetz-Lehrer es noch heut zu Tage giebet,
auch leider in der Evangeliſchen Kirche ſelbſt:
und zwar auf eine doppelte Art: da man nem-
lich, bey dem Mangel eigener innerlichen wah-
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auf eine bloß geſetzliche Art treibet, und von den
Todten ohne Leben den Wandel fordert, und
ihnen nicht recht zeiget, wie ſie nach dem Evan-
geliſchen Grunde der Bekehrung und zu erlan-
gender Gnaden-Kraͤfte dazu kommen ſollen:
oder aber das Evangelium alſo prediget, daß
es nach dem unlautern Vortrage, zum groſſen
Nachtheil des Geſetzes und der Heiligung kan
auf Muthwillen gezogen werden.

3. Es ſtehen alhier von einem Lehrer drey
Worte, νοει῀ν verſtehen, λέγειν, ſagen, et-
was als einen Satz vortragen, und διαβεβαιου῀-
σϑαι, das geſetzte beveſtigen, oder es mit ſol-
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Wahrheit uͤberzeuget werde. Den falſchen Ge-
ſetz-Lehrern hat es an allen dieſen drey Stuͤcken
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Verſtand, wie er auf die hoͤchſte Vollkommen-
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lich iſt, und wie wir daher eines Heylandes
noͤthig haben, er gar nicht einſiehet, und vom
Geſetze doch viel ſaget oder ſetzet, welches denn
mit den dazu angefuͤhrten Gruͤnden unrichtig und
irrig iſt. Bey einem rechten Geſetz-Lehrer aber,
der zugleich ein guter Evangeliſt, ſtehen dieſe
drey Stuͤcke, das νοει῀ν, verſtehen, λέγειν, ſa-
gen,
und β-βαιου῀σϑαι, beveſtigen, in ihrer
Richtigkeit und rechten Kraft bey einander. Von
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fohlen wird, wie er die vorher gedachte Haupt-
Stuͤcke der Chriſtlichen Religion ſolle διαβεϐαι-
ου῀σϑαι, veſte lehren; wie es daſelbſt Lutherus
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ſolches gegen die Juden gethan, ſehe man Ap.
Geſch. 6, 11. und 19, 22.

V. 8.
L 2
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[83/0085] C. 1. v. 6. 7. an den Timotheum. noch heute zu tage in Pauliniſcher Lauterkeit mit Lehr und Leben davor warnen, mit aller Folgſam- keit zu hoͤren: wie denn leider auch noch heute zu tage die Matæologie oder das loſe Geſchwaͤtze in der Theologie auf manchen Cathedern und Cantzeln, auch in manchen Schriften, ſehr ge- mein iſt, und ſich dabey mit vielem Vorgeben der Orthodoxie, oder Richtigkeit der Lehre, ſchmuͤ- cket. So iſt, oder wird auch eine iegliche The- ologie und Predigt eine Matæologie, oder loſes Geſchwaͤtz, wenn ſie die Liebe, oder Pflich- ten des Chriſtenthums nicht lauterlich treibet, nemlich in der Ordnung der durch die Widerge- burt und Rechtfertigung zu erhaltenden Reini- gung des Hertzens, des guten Gewiſſens, und des ungefaͤrbten rechtſchaffnen Glaubens. 3. Sonderlich haben ſich Studioſi Theo- logiæ zu huͤten, daß ſie nicht ματαιολόγοι, loſe Schwaͤtzer, und dabey ϕρεναπάται, Verfuͤhrer, werden, welche beyde Worte Paulus Tit. 1, 10. gar nachdruͤcklich zuſammen ſetzet. 4. Wenn Paulus gedencket, daß die, wel- che zum loſen Geſchwaͤtz umgewandt ſind, der zu- vorgedachten theuren Beylage uͤberhaupt und al- ſo in allen Stoͤcken beraubet worden, wie er denn mit dem Woͤrtlein ὡν welcher auf alle vorherge- hende Stuͤcke ſiehet: ſo zeiget er damit an, wie daß eines ohne das andere weder erlanget, noch bewahret werden koͤnne. Denn gelanget einer nicht zur Reinigung des Hertzens in der Wider- geburt und Rechtfertigung; ſo koͤmmt er auch nicht zum guten Gewiſſen und zum ungefaͤrbten Glauben. Und hat einer den Glauben nicht, oder verlieret ihn, ſo hat er auch kein gutes Gewiſ- ſen und kein reines Hertz, oder er verlieret es. Und eben ſo wenig kan ohne ein gutes Gewiſſen das reine Hertz und der Glaube nebſt der Liebe beſte- hen. Siehe V. 19. und Cap. 3, 9. 5. Wie Paulus das gute Gewiſſen mit dem ungefaͤrbten Glauben verknuͤpfet, ſo hat man im Chriſtenthum das fidenter, zuverſichtlich im Glauben, mit dem fideliter, getreulich im gu- ten Gewiſſen, im Wandel vor GOTT immer zu verbinden. Und alſo wandelt man wuͤrdiglich (obgleich noch in vieler Unvollkommenheit) nach dem Evangelio und Geſetze; wie es die Qvelle des Evangelii, GOttes Gnade, und des Geſetzes, GOttes Gerechtigkeit nebſt der Hei- ligkeit mit ſich bringet. V. 7. Wollen der Schrift Meiſter (νομοδι- δάσκαλοι, Geſetz-Lehrer) ſeyn, (ruͤhmen ſich auch groſſer Erkenntniß nach dem Geſetze Roͤm. 2, 17. 18. 19.) und verſtehen nicht, was ſie ſagen und was ſie ſetzen, (was ſie bejahen, und das, womit ſie das bejahete beweiſen; da- von haben ſie keine wahre Erkenntniß, und den- cken der Sache auch nicht einmal recht nach, ſon- ſten ſie den Ungrund ihrer Dinge leichtlich einſe- hen wuͤrden.) Anmerckungen. 1. Es wird das Wort Geſetz zwar hin und wieder von der gantzen heiligen Schrift gebrau- chet: allein alhier weiſet es der gantze Context aus, daß es in ſeinem eigentlichen Verſtande, nach welchem es vom Evangelio unterſchieden iſt, ſtehe. Und gleichwie der Apoſtel mit den Wor- ten von den Fabeln und den Geſchlecht-Regi- ſtern vorher ſonderlich auf einige vom Juden- thum zum Chriſtenthum nicht recht bekehrete Lehrer geſehen hat: alſo ſetzet er auch dieſes von ihnen, wie ſie nemlich auf eine verkehrte und dem Evangelio ſehr nachtheilige Art (davon der Apo- ſtel ſonderlich in der Epiſtel an die Galater han- delt) das Geſetz getrieben haben; daher denn auch wol ohne Zweifel die mancherley Menſchen- Satzungen und uͤbele Geſetz-Deutungen, die von den Phariſaͤern waren fortgepflantzet wor- den, werden gekommen ſeyn. 2. Diejenigen Lehrer, die nicht wahrhaftig bekehret ſind, und Chriſtum nicht glaubig und lebendig erkennen, treiben nach dem Moral- Geſetz zwar die Liebe, aber nicht alſo, wie ſie aus einem reinen Hertzen, und guten Gewiſſen und ungefaͤrbten Glauben flieſſet. Dergleichen un- aͤchte Geſetz-Lehrer es noch heut zu Tage giebet, auch leider in der Evangeliſchen Kirche ſelbſt: und zwar auf eine doppelte Art: da man nem- lich, bey dem Mangel eigener innerlichen wah- ren Bekehrung das thaͤtige Chriſtenthum nur auf eine bloß geſetzliche Art treibet, und von den Todten ohne Leben den Wandel fordert, und ihnen nicht recht zeiget, wie ſie nach dem Evan- geliſchen Grunde der Bekehrung und zu erlan- gender Gnaden-Kraͤfte dazu kommen ſollen: oder aber das Evangelium alſo prediget, daß es nach dem unlautern Vortrage, zum groſſen Nachtheil des Geſetzes und der Heiligung kan auf Muthwillen gezogen werden. 3. Es ſtehen alhier von einem Lehrer drey Worte, νοει῀ν verſtehen, λέγειν, ſagen, et- was als einen Satz vortragen, und διαβεβαιου῀- σϑαι, das geſetzte beveſtigen, oder es mit ſol- chen Gruͤnden erweiſen, daß man von der Wahrheit uͤberzeuget werde. Den falſchen Ge- ſetz-Lehrern hat es an allen dieſen drey Stuͤcken gefehlet: zuvorderſt an der Erkenntniß, auch des Geſetzes ſelbſt; als deſſen Zweck und geiſtlichen Verſtand, wie er auf die hoͤchſte Vollkommen- heit gehet, und wie dieſe Leiſtung uns unmoͤg- lich iſt, und wie wir daher eines Heylandes noͤthig haben, er gar nicht einſiehet, und vom Geſetze doch viel ſaget oder ſetzet, welches denn mit den dazu angefuͤhrten Gruͤnden unrichtig und irrig iſt. Bey einem rechten Geſetz-Lehrer aber, der zugleich ein guter Evangeliſt, ſtehen dieſe drey Stuͤcke, das νοει῀ν, verſtehen, λέγειν, ſa- gen, und β-βαιου῀σϑαι, beveſtigen, in ihrer Richtigkeit und rechten Kraft bey einander. Von dem letztern Stuͤcke ſiehe Tit. 3, 8. da Tito be- fohlen wird, wie er die vorher gedachte Haupt- Stuͤcke der Chriſtlichen Religion ſolle διαβεϐαι- ου῀σϑαι, veſte lehren; wie es daſelbſt Lutherus uͤberſetzet hat. Wie Stephanus und Paulus ſolches gegen die Juden gethan, ſehe man Ap. Geſch. 6, 11. und 19, 22. V. 8. L 2

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Zitationshilfe: Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/85>, abgerufen am 23.11.2024.