[Spaltenumbruch]
nes und des Lebens bestehet: wie man aus dem Gegensatze siehet. Daher die, welche solcher Lügen ergeben sind, an dem himmlischen Jeru- salem keinen Theil haben. Off. 21, 8. c. 22, 15.
3. Mit den ersten Worten dieses Textes erläutert der Apostel dasjenige, was er vorher von der Salbung und von der daher entstande- nen wahren Erkenntniß GOttes gesaget hat. Welches der in gewissen emphatischen, zur mehrern Einschärfung gehörenden, Wiederhoh- lungen bestehende Character der Johanneischen Schreib-Art also mit sich bringet.
4. Die Widerchristischen Geister hatten in Lehr und Leben nichts als ein lügenhaftes, das ist irriges und heilloses Wesen, und rühme- ten sich doch der Wahrheit, oder des Meßiä und seines Evangelii. Und als sie damit viele Aer- gernisse anrichteten, und zwar auch solche, wel- che auch den Juden und Heyden ins Auge fielen, so entstunde daher der Vorwurf wider die Christliche Religion, als käme diß und das dar- aus. Welcher üblen Deutung der Apostel hier- mit widerspricht, und den wahren Gläubigen zugleich damit dieses Zeugniß giebt, daß sie dar- an keine Schuld und keinen Theil hätten, auch Licht und Finsterniß wohl zu unterscheiden wü- sten.
5. Was alhier heißt, daß keine Lügen aus der Wahrheit kömmt, das spricht unser Hey- land Matth. 7, 17. 18. also aus: Ein ieglicher guter Baum bringet gute Früchte: ein gu- ter Baum kan nicht arge Früchte brin- gen.
6. Kömmt keine Lügen, oder kein Jrr- thum, aus der Wahrheit; so ist es ein sehr nich- tiges Vorgeben der papistischen Clerisey, wenn sie den also genennten Layen, oder allen übrigen Christen die Lesung der heiligen Schrift unter dem Vorwand, als wenn nur Ketzerey daraus entstünde, verbietet. Darunter hingegen nichts anders stecket, als daß das Geheimniß ihres lü- genhaften und boshaftigen Wesens nicht entde- cket werden soll.
V. 22. 23.
Wer ist ein Lügner, ohne der da leug- net, daß JEsus der Christ sey? das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht.
Anmerckungen.
1. Die Verleugnung Christi geschahe auf unterschiedliche Art, und waren davon in der ersten Kirche die beyden Haupt-Gattungen diese: erstlich die von den Juden, welche JEsum von Nazaret nicht für den Meßiam erkannten, und ihn daher im Unglauben verwarfen: und denn die, da man ihn zwar für den Meßiam hiel- te, aber ihn doch theils nach seiner wahren Gott- heit, daß er der wesentliche Sohn GOttes sey, theils nach seinem Mittler-Amte, daß es im Wercke der Seligkeit, ohne unsere eigene Ge- rechtigkeit und Verdienste auf seine Erlösung ankomme, nicht erkannte, bey manchen kam zu [Spaltenumbruch]
diesen beyden Arten der Verleugnung Christi noch die dritte; da man zwar sein Mittler-Amt der Erkenntniß nach zugab, es aber auf Muth- willen zog, und die Christliche Freyheit in eine fleischliche Sicherheit und Freyheit verkehrete.
2. Wenn man nun fraget, von welcher Art der Verleugnung Christi der Apostel alhier rede? so ist es so leichte nicht, dieselbe gewiß zu bezeichnen. Daß auf die erste Gattung nicht gesehen seyn solte, kan man daher nicht wol sa- gen, weil es heißt, die Verleugnung sey darauf gegangen, daß der, welchen man für den JEsum von Nazaret halten mußte, nicht sey für den Christ, das ist für den Meßiam gehalten wor- den: welches der Grund-Jrrthum war, theils der ungläubigen Juden, theils derer, welche vom Christenthum wider zum Judenthum ver- fielen nach Hebr. 6, 4. u. f. c. 10, 26. 32. und zu solchem Abfall auch ohn Zweifel andere zu ver- leiten gesuchet haben. Und solche Abtrünnige mag der Apostel auch wohl zum Theil durch die von den übrigen Christen äusserlich ausgegange- nen v. 19. verstehen. Daß er aber auch auf die andere Gattung der Verleugnung mit gesehen habe, das schliesset man billig daraus, daß von den Widerchristen gesaget wird, daß sie den Sohn GOttes, das ist CHristum, nach seiner göttlichen Natur, nach welcher er der Sohn GOttes ist, verleugnet haben: welche Verleu- gnung denn ohn Zweifel auch diejenige, welche auf sein rechtes Mittler-Amt gegangen ist, aus sich geboren hat. Denn wer die wahre Gott- heit Christi nicht zugiebt, der kan ihm auch kei- ne wahre und gültige Erlösung zueignen.
3. Daß aber der Vater solte verleugnet worden seyn nach seinem Wesen der Gottheit, das ist gar nicht zu vermuthen: sintemal die Verleugnung sonst in einer offenbaren Atheiste- rey bestanden haben würde, der Apostel aber von Verführern, nach v. 26. nicht aber von Atheisten redet; als von welchen er sich bey den ersten Christen keiner Verführung zu besorgen hatte, welche auch, was den groben und förmli- chen Atheismum betrift, nicht leichtlich zu fin- den waren. Es redet demnach der Apostel von GOTT dem Vater nicht nach seinem göttli- chen Wesen, sondern nach seiner besondern von dem Sohn und dem Heiligen Geiste unterschie- denen Perfon in der hochgelobten Gottheit. Denn da die damaligen Jrrgeister (wie noch itzo die Socinianer thun) geleugnet haben, daß Christus der Sohn GOttes sey, und zwar der- gestalt, daß sie die Sohnschaft GOttes nicht allein dem JESU von Nazaret abgesprochen, sondern auch überhaupt geleugnet haben, daß in dem göttlichen Wesen sich eine solche, oder eine besondere Person unter dem Namen des Soh- nes GOttes befinde; so haben sie damit auch GOtt den Vater nach der persönlichen Eigen- schaft, nach welcher er die erste Person in der Gottheit, verleugnet: sintemal eines sich auf das andere also beziehet, daß es mit dem andern be- stehet, oder auch hinweg fällt. Denn wo kein Sohn ist, da ist auch kein Vater: gleichwie hin- gegen, wenn man Christum für den Sohn Got-
tes
Q q q q 2
Cap. 2. v. 21-23. des erſten Briefes Johannis.
[Spaltenumbruch]
nes und des Lebens beſtehet: wie man aus dem Gegenſatze ſiehet. Daher die, welche ſolcher Luͤgen ergeben ſind, an dem himmliſchen Jeru- ſalem keinen Theil haben. Off. 21, 8. c. 22, 15.
3. Mit den erſten Worten dieſes Textes erlaͤutert der Apoſtel dasjenige, was er vorher von der Salbung und von der daher entſtande- nen wahren Erkenntniß GOttes geſaget hat. Welches der in gewiſſen emphatiſchen, zur mehrern Einſchaͤrfung gehoͤrenden, Wiederhoh- lungen beſtehende Character der Johanneiſchen Schreib-Art alſo mit ſich bringet.
4. Die Widerchriſtiſchen Geiſter hatten in Lehr und Leben nichts als ein luͤgenhaftes, das iſt irriges und heilloſes Weſen, und ruͤhme- ten ſich doch der Wahrheit, oder des Meßiaͤ und ſeines Evangelii. Und als ſie damit viele Aer- gerniſſe anrichteten, und zwar auch ſolche, wel- che auch den Juden und Heyden ins Auge fielen, ſo entſtunde daher der Vorwurf wider die Chriſtliche Religion, als kaͤme diß und das dar- aus. Welcher uͤblen Deutung der Apoſtel hier- mit widerſpricht, und den wahren Glaͤubigen zugleich damit dieſes Zeugniß giebt, daß ſie dar- an keine Schuld und keinen Theil haͤtten, auch Licht und Finſterniß wohl zu unterſcheiden wuͤ- ſten.
5. Was alhier heißt, daß keine Luͤgen aus der Wahrheit koͤmmt, das ſpricht unſer Hey- land Matth. 7, 17. 18. alſo aus: Ein ieglicher guter Baum bringet gute Fruͤchte: ein gu- ter Baum kan nicht arge Fruͤchte brin- gen.
6. Koͤmmt keine Luͤgen, oder kein Jrr- thum, aus der Wahrheit; ſo iſt es ein ſehr nich- tiges Vorgeben der papiſtiſchen Cleriſey, wenn ſie den alſo genennten Layen, oder allen uͤbrigen Chriſten die Leſung der heiligen Schrift unter dem Vorwand, als wenn nur Ketzerey daraus entſtuͤnde, verbietet. Darunter hingegen nichts anders ſtecket, als daß das Geheimniß ihres luͤ- genhaften und boshaftigen Weſens nicht entde- cket werden ſoll.
V. 22. 23.
Wer iſt ein Luͤgner, ohne der da leug- net, daß JEſus der Chriſt ſey? das iſt der Widerchriſt, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht.
Anmerckungen.
1. Die Verleugnung Chriſti geſchahe auf unterſchiedliche Art, und waren davon in der erſten Kirche die beyden Haupt-Gattungen dieſe: erſtlich die von den Juden, welche JEſum von Nazaret nicht fuͤr den Meßiam erkannten, und ihn daher im Unglauben verwarfen: und denn die, da man ihn zwar fuͤr den Meßiam hiel- te, aber ihn doch theils nach ſeiner wahren Gott- heit, daß er der weſentliche Sohn GOttes ſey, theils nach ſeinem Mittler-Amte, daß es im Wercke der Seligkeit, ohne unſere eigene Ge- rechtigkeit und Verdienſte auf ſeine Erloͤſung ankomme, nicht erkannte, bey manchen kam zu [Spaltenumbruch]
dieſen beyden Arten der Verleugnung Chriſti noch die dritte; da man zwar ſein Mittler-Amt der Erkenntniß nach zugab, es aber auf Muth- willen zog, und die Chriſtliche Freyheit in eine fleiſchliche Sicherheit und Freyheit verkehrete.
2. Wenn man nun fraget, von welcher Art der Verleugnung Chriſti der Apoſtel alhier rede? ſo iſt es ſo leichte nicht, dieſelbe gewiß zu bezeichnen. Daß auf die erſte Gattung nicht geſehen ſeyn ſolte, kan man daher nicht wol ſa- gen, weil es heißt, die Verleugnung ſey darauf gegangen, daß der, welchen man fuͤr den JEſum von Nazaret halten mußte, nicht ſey fuͤr den Chriſt, das iſt fuͤr den Meßiam gehalten wor- den: welches der Grund-Jrrthum war, theils der unglaͤubigen Juden, theils derer, welche vom Chriſtenthum wider zum Judenthum ver- fielen nach Hebr. 6, 4. u. f. c. 10, 26. 32. und zu ſolchem Abfall auch ohn Zweifel andere zu ver- leiten geſuchet haben. Und ſolche Abtruͤnnige mag der Apoſtel auch wohl zum Theil durch die von den uͤbrigen Chriſten aͤuſſerlich ausgegange- nen v. 19. verſtehen. Daß er aber auch auf die andere Gattung der Verleugnung mit geſehen habe, das ſchlieſſet man billig daraus, daß von den Widerchriſten geſaget wird, daß ſie den Sohn GOttes, das iſt CHriſtum, nach ſeiner goͤttlichen Natur, nach welcher er der Sohn GOttes iſt, verleugnet haben: welche Verleu- gnung denn ohn Zweifel auch diejenige, welche auf ſein rechtes Mittler-Amt gegangen iſt, aus ſich geboren hat. Denn wer die wahre Gott- heit Chriſti nicht zugiebt, der kan ihm auch kei- ne wahre und guͤltige Erloͤſung zueignen.
3. Daß aber der Vater ſolte verleugnet worden ſeyn nach ſeinem Weſen der Gottheit, das iſt gar nicht zu vermuthen: ſintemal die Verleugnung ſonſt in einer offenbaren Atheiſte- rey beſtanden haben wuͤrde, der Apoſtel aber von Verfuͤhrern, nach v. 26. nicht aber von Atheiſten redet; als von welchen er ſich bey den erſten Chriſten keiner Verfuͤhrung zu beſorgen hatte, welche auch, was den groben und foͤrmli- chen Atheiſmum betrift, nicht leichtlich zu fin- den waren. Es redet demnach der Apoſtel von GOTT dem Vater nicht nach ſeinem goͤttli- chen Weſen, ſondern nach ſeiner beſondern von dem Sohn und dem Heiligen Geiſte unterſchie- denen Perfon in der hochgelobten Gottheit. Denn da die damaligen Jrrgeiſter (wie noch itzo die Socinianer thun) geleugnet haben, daß Chriſtus der Sohn GOttes ſey, und zwar der- geſtalt, daß ſie die Sohnſchaft GOttes nicht allein dem JESU von Nazaret abgeſprochen, ſondern auch uͤberhaupt geleugnet haben, daß in dem goͤttlichen Weſen ſich eine ſolche, oder eine beſondere Perſon unter dem Namen des Soh- nes GOttes befinde; ſo haben ſie damit auch GOtt den Vater nach der perſoͤnlichen Eigen- ſchaft, nach welcher er die erſte Perſon in der Gottheit, verleugnet: ſintemal eines ſich auf das andere alſo beziehet, daß es mit dem andern be- ſtehet, oder auch hinweg faͤllt. Denn wo kein Sohn iſt, da iſt auch kein Vater: gleichwie hin- gegen, wenn man Chriſtum fuͤr den Sohn Got-
tes
Q q q q 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0677"n="675"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Cap. 2. v. 21-23. des erſten Briefes Johannis.</hi></fw><lb/><cb/>
nes und des Lebens beſtehet: wie man aus dem<lb/>
Gegenſatze ſiehet. Daher die, welche ſolcher<lb/>
Luͤgen ergeben ſind, an dem himmliſchen Jeru-<lb/>ſalem keinen Theil haben. Off. 21, 8. c. 22, 15.</p><lb/><p>3. Mit den erſten Worten dieſes Textes<lb/>
erlaͤutert der Apoſtel dasjenige, was er vorher<lb/>
von der Salbung und von der daher entſtande-<lb/>
nen wahren Erkenntniß GOttes geſaget hat.<lb/>
Welches der in gewiſſen <hirendition="#aq">emphati</hi>ſchen, zur<lb/>
mehrern Einſchaͤrfung gehoͤrenden, Wiederhoh-<lb/>
lungen beſtehende <hirendition="#aq">Character</hi> der Johanneiſchen<lb/>
Schreib-Art alſo mit ſich bringet.</p><lb/><p>4. Die Widerchriſtiſchen Geiſter hatten<lb/>
in Lehr und Leben nichts als ein <hirendition="#fr">luͤgenhaftes,</hi><lb/>
das iſt irriges und heilloſes Weſen, und ruͤhme-<lb/>
ten ſich doch der Wahrheit, oder des Meßiaͤ und<lb/>ſeines Evangelii. Und als ſie damit viele Aer-<lb/>
gerniſſe anrichteten, und zwar auch ſolche, wel-<lb/>
che auch den Juden und Heyden ins Auge fielen,<lb/>ſo entſtunde daher der Vorwurf wider die<lb/>
Chriſtliche Religion, als kaͤme diß und das dar-<lb/>
aus. Welcher uͤblen Deutung der Apoſtel hier-<lb/>
mit widerſpricht, und den wahren Glaͤubigen<lb/>
zugleich damit dieſes Zeugniß giebt, daß ſie dar-<lb/>
an keine Schuld und keinen Theil haͤtten, auch<lb/>
Licht und Finſterniß wohl zu unterſcheiden wuͤ-<lb/>ſten.</p><lb/><p>5. Was alhier heißt, daß keine Luͤgen aus<lb/>
der Wahrheit koͤmmt, das ſpricht unſer Hey-<lb/>
land Matth. 7, 17. 18. alſo aus: <hirendition="#fr">Ein ieglicher<lb/>
guter Baum bringet gute Fruͤchte: ein gu-<lb/>
ter Baum kan nicht arge Fruͤchte brin-<lb/>
gen.</hi></p><lb/><p>6. Koͤmmt keine Luͤgen, oder kein Jrr-<lb/>
thum, aus der Wahrheit; ſo iſt es ein ſehr nich-<lb/>
tiges Vorgeben der papiſtiſchen Cleriſey, wenn<lb/>ſie den alſo genennten Layen, oder allen uͤbrigen<lb/>
Chriſten die Leſung der heiligen Schrift unter<lb/>
dem Vorwand, als wenn nur Ketzerey daraus<lb/>
entſtuͤnde, verbietet. Darunter hingegen nichts<lb/>
anders ſtecket, als daß das Geheimniß ihres luͤ-<lb/>
genhaften und boshaftigen Weſens nicht entde-<lb/>
cket werden ſoll.</p></div></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">V. 22. 23.</hi></head><lb/><p><hirendition="#fr">Wer iſt ein Luͤgner, ohne der da leug-<lb/>
net, daß JEſus der Chriſt ſey? das iſt der<lb/>
Widerchriſt, der den Vater und den Sohn<lb/>
leugnet. Wer den Sohn leugnet, der hat<lb/>
auch den Vater nicht.</hi></p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. Die <hirendition="#fr">Verleugnung Chriſti</hi> geſchahe<lb/>
auf unterſchiedliche Art, und waren davon in<lb/>
der erſten Kirche die beyden Haupt-Gattungen<lb/>
dieſe: erſtlich die von den Juden, welche JEſum<lb/>
von Nazaret nicht fuͤr den Meßiam erkannten,<lb/>
und ihn daher im Unglauben verwarfen: und<lb/>
denn die, da man ihn zwar fuͤr den Meßiam hiel-<lb/>
te, aber ihn doch theils nach ſeiner wahren Gott-<lb/>
heit, daß er der weſentliche Sohn GOttes ſey,<lb/>
theils nach ſeinem Mittler-Amte, daß es im<lb/>
Wercke der Seligkeit, ohne unſere eigene Ge-<lb/>
rechtigkeit und Verdienſte auf ſeine Erloͤſung<lb/>
ankomme, nicht erkannte, bey manchen kam zu<lb/><cb/>
dieſen beyden Arten der Verleugnung Chriſti<lb/>
noch die dritte; da man zwar ſein Mittler-Amt<lb/>
der Erkenntniß nach zugab, es aber auf Muth-<lb/>
willen zog, und die Chriſtliche Freyheit in eine<lb/>
fleiſchliche Sicherheit und Freyheit verkehrete.</p><lb/><p>2. Wenn man nun fraget, von welcher<lb/>
Art der Verleugnung Chriſti der Apoſtel alhier<lb/>
rede? ſo iſt es ſo leichte nicht, dieſelbe gewiß zu<lb/>
bezeichnen. Daß auf die erſte Gattung nicht<lb/>
geſehen ſeyn ſolte, kan man daher nicht wol ſa-<lb/>
gen, weil es heißt, die Verleugnung ſey darauf<lb/>
gegangen, daß der, welchen man fuͤr den JEſum<lb/>
von Nazaret halten mußte, nicht ſey fuͤr den<lb/>
Chriſt, das iſt fuͤr den Meßiam gehalten wor-<lb/>
den: welches der Grund-Jrrthum war, theils<lb/>
der unglaͤubigen Juden, theils derer, welche<lb/>
vom Chriſtenthum wider zum Judenthum ver-<lb/>
fielen nach Hebr. 6, 4. u. f. c. 10, 26. 32. und zu<lb/>ſolchem Abfall auch ohn Zweifel andere zu ver-<lb/>
leiten geſuchet haben. Und ſolche Abtruͤnnige<lb/>
mag der Apoſtel auch wohl zum Theil durch die<lb/>
von den uͤbrigen Chriſten aͤuſſerlich ausgegange-<lb/>
nen v. 19. verſtehen. Daß er aber auch auf die<lb/>
andere Gattung der Verleugnung mit geſehen<lb/>
habe, das ſchlieſſet man billig daraus, daß von<lb/>
den Widerchriſten geſaget wird, daß ſie den<lb/>
Sohn GOttes, das iſt CHriſtum, nach ſeiner<lb/>
goͤttlichen Natur, nach welcher er der Sohn<lb/>
GOttes iſt, verleugnet haben: welche Verleu-<lb/>
gnung denn ohn Zweifel auch diejenige, welche<lb/>
auf ſein rechtes Mittler-Amt gegangen iſt, aus<lb/>ſich geboren hat. Denn wer die wahre Gott-<lb/>
heit Chriſti nicht zugiebt, der kan ihm auch kei-<lb/>
ne wahre und guͤltige Erloͤſung zueignen.</p><lb/><p>3. Daß aber der Vater ſolte verleugnet<lb/>
worden ſeyn nach ſeinem Weſen der Gottheit,<lb/>
das iſt gar nicht zu vermuthen: ſintemal die<lb/>
Verleugnung ſonſt in einer offenbaren Atheiſte-<lb/>
rey beſtanden haben wuͤrde, der Apoſtel aber<lb/>
von Verfuͤhrern, nach v. 26. nicht aber von<lb/>
Atheiſten redet; als von welchen er ſich bey den<lb/>
erſten Chriſten keiner Verfuͤhrung zu beſorgen<lb/>
hatte, welche auch, was den groben und foͤrmli-<lb/>
chen <hirendition="#aq">Atheiſmum</hi> betrift, nicht leichtlich zu fin-<lb/>
den waren. Es redet demnach der Apoſtel von<lb/>
GOTT dem Vater nicht nach ſeinem goͤttli-<lb/>
chen Weſen, ſondern nach ſeiner beſondern von<lb/>
dem Sohn und dem Heiligen Geiſte unterſchie-<lb/>
denen Perfon in der hochgelobten Gottheit.<lb/>
Denn da die damaligen Jrrgeiſter (wie noch itzo<lb/>
die Socinianer thun) geleugnet haben, daß<lb/>
Chriſtus der Sohn GOttes ſey, und zwar der-<lb/>
geſtalt, daß ſie die Sohnſchaft GOttes nicht<lb/>
allein dem JESU von Nazaret abgeſprochen,<lb/>ſondern auch uͤberhaupt geleugnet haben, daß in<lb/>
dem goͤttlichen Weſen ſich eine ſolche, oder eine<lb/>
beſondere Perſon unter dem Namen des Soh-<lb/>
nes GOttes befinde; ſo haben ſie damit auch<lb/>
GOtt den Vater nach der perſoͤnlichen Eigen-<lb/>ſchaft, nach welcher er die erſte Perſon in der<lb/>
Gottheit, verleugnet: ſintemal eines ſich auf das<lb/>
andere alſo beziehet, daß es mit dem andern be-<lb/>ſtehet, oder auch hinweg faͤllt. Denn wo kein<lb/>
Sohn iſt, da iſt auch kein Vater: gleichwie hin-<lb/>
gegen, wenn man Chriſtum fuͤr den Sohn Got-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q q q q 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">tes</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[675/0677]
Cap. 2. v. 21-23. des erſten Briefes Johannis.
nes und des Lebens beſtehet: wie man aus dem
Gegenſatze ſiehet. Daher die, welche ſolcher
Luͤgen ergeben ſind, an dem himmliſchen Jeru-
ſalem keinen Theil haben. Off. 21, 8. c. 22, 15.
3. Mit den erſten Worten dieſes Textes
erlaͤutert der Apoſtel dasjenige, was er vorher
von der Salbung und von der daher entſtande-
nen wahren Erkenntniß GOttes geſaget hat.
Welches der in gewiſſen emphatiſchen, zur
mehrern Einſchaͤrfung gehoͤrenden, Wiederhoh-
lungen beſtehende Character der Johanneiſchen
Schreib-Art alſo mit ſich bringet.
4. Die Widerchriſtiſchen Geiſter hatten
in Lehr und Leben nichts als ein luͤgenhaftes,
das iſt irriges und heilloſes Weſen, und ruͤhme-
ten ſich doch der Wahrheit, oder des Meßiaͤ und
ſeines Evangelii. Und als ſie damit viele Aer-
gerniſſe anrichteten, und zwar auch ſolche, wel-
che auch den Juden und Heyden ins Auge fielen,
ſo entſtunde daher der Vorwurf wider die
Chriſtliche Religion, als kaͤme diß und das dar-
aus. Welcher uͤblen Deutung der Apoſtel hier-
mit widerſpricht, und den wahren Glaͤubigen
zugleich damit dieſes Zeugniß giebt, daß ſie dar-
an keine Schuld und keinen Theil haͤtten, auch
Licht und Finſterniß wohl zu unterſcheiden wuͤ-
ſten.
5. Was alhier heißt, daß keine Luͤgen aus
der Wahrheit koͤmmt, das ſpricht unſer Hey-
land Matth. 7, 17. 18. alſo aus: Ein ieglicher
guter Baum bringet gute Fruͤchte: ein gu-
ter Baum kan nicht arge Fruͤchte brin-
gen.
6. Koͤmmt keine Luͤgen, oder kein Jrr-
thum, aus der Wahrheit; ſo iſt es ein ſehr nich-
tiges Vorgeben der papiſtiſchen Cleriſey, wenn
ſie den alſo genennten Layen, oder allen uͤbrigen
Chriſten die Leſung der heiligen Schrift unter
dem Vorwand, als wenn nur Ketzerey daraus
entſtuͤnde, verbietet. Darunter hingegen nichts
anders ſtecket, als daß das Geheimniß ihres luͤ-
genhaften und boshaftigen Weſens nicht entde-
cket werden ſoll.
V. 22. 23.
Wer iſt ein Luͤgner, ohne der da leug-
net, daß JEſus der Chriſt ſey? das iſt der
Widerchriſt, der den Vater und den Sohn
leugnet. Wer den Sohn leugnet, der hat
auch den Vater nicht.
Anmerckungen.
1. Die Verleugnung Chriſti geſchahe
auf unterſchiedliche Art, und waren davon in
der erſten Kirche die beyden Haupt-Gattungen
dieſe: erſtlich die von den Juden, welche JEſum
von Nazaret nicht fuͤr den Meßiam erkannten,
und ihn daher im Unglauben verwarfen: und
denn die, da man ihn zwar fuͤr den Meßiam hiel-
te, aber ihn doch theils nach ſeiner wahren Gott-
heit, daß er der weſentliche Sohn GOttes ſey,
theils nach ſeinem Mittler-Amte, daß es im
Wercke der Seligkeit, ohne unſere eigene Ge-
rechtigkeit und Verdienſte auf ſeine Erloͤſung
ankomme, nicht erkannte, bey manchen kam zu
dieſen beyden Arten der Verleugnung Chriſti
noch die dritte; da man zwar ſein Mittler-Amt
der Erkenntniß nach zugab, es aber auf Muth-
willen zog, und die Chriſtliche Freyheit in eine
fleiſchliche Sicherheit und Freyheit verkehrete.
2. Wenn man nun fraget, von welcher
Art der Verleugnung Chriſti der Apoſtel alhier
rede? ſo iſt es ſo leichte nicht, dieſelbe gewiß zu
bezeichnen. Daß auf die erſte Gattung nicht
geſehen ſeyn ſolte, kan man daher nicht wol ſa-
gen, weil es heißt, die Verleugnung ſey darauf
gegangen, daß der, welchen man fuͤr den JEſum
von Nazaret halten mußte, nicht ſey fuͤr den
Chriſt, das iſt fuͤr den Meßiam gehalten wor-
den: welches der Grund-Jrrthum war, theils
der unglaͤubigen Juden, theils derer, welche
vom Chriſtenthum wider zum Judenthum ver-
fielen nach Hebr. 6, 4. u. f. c. 10, 26. 32. und zu
ſolchem Abfall auch ohn Zweifel andere zu ver-
leiten geſuchet haben. Und ſolche Abtruͤnnige
mag der Apoſtel auch wohl zum Theil durch die
von den uͤbrigen Chriſten aͤuſſerlich ausgegange-
nen v. 19. verſtehen. Daß er aber auch auf die
andere Gattung der Verleugnung mit geſehen
habe, das ſchlieſſet man billig daraus, daß von
den Widerchriſten geſaget wird, daß ſie den
Sohn GOttes, das iſt CHriſtum, nach ſeiner
goͤttlichen Natur, nach welcher er der Sohn
GOttes iſt, verleugnet haben: welche Verleu-
gnung denn ohn Zweifel auch diejenige, welche
auf ſein rechtes Mittler-Amt gegangen iſt, aus
ſich geboren hat. Denn wer die wahre Gott-
heit Chriſti nicht zugiebt, der kan ihm auch kei-
ne wahre und guͤltige Erloͤſung zueignen.
3. Daß aber der Vater ſolte verleugnet
worden ſeyn nach ſeinem Weſen der Gottheit,
das iſt gar nicht zu vermuthen: ſintemal die
Verleugnung ſonſt in einer offenbaren Atheiſte-
rey beſtanden haben wuͤrde, der Apoſtel aber
von Verfuͤhrern, nach v. 26. nicht aber von
Atheiſten redet; als von welchen er ſich bey den
erſten Chriſten keiner Verfuͤhrung zu beſorgen
hatte, welche auch, was den groben und foͤrmli-
chen Atheiſmum betrift, nicht leichtlich zu fin-
den waren. Es redet demnach der Apoſtel von
GOTT dem Vater nicht nach ſeinem goͤttli-
chen Weſen, ſondern nach ſeiner beſondern von
dem Sohn und dem Heiligen Geiſte unterſchie-
denen Perfon in der hochgelobten Gottheit.
Denn da die damaligen Jrrgeiſter (wie noch itzo
die Socinianer thun) geleugnet haben, daß
Chriſtus der Sohn GOttes ſey, und zwar der-
geſtalt, daß ſie die Sohnſchaft GOttes nicht
allein dem JESU von Nazaret abgeſprochen,
ſondern auch uͤberhaupt geleugnet haben, daß in
dem goͤttlichen Weſen ſich eine ſolche, oder eine
beſondere Perſon unter dem Namen des Soh-
nes GOttes befinde; ſo haben ſie damit auch
GOtt den Vater nach der perſoͤnlichen Eigen-
ſchaft, nach welcher er die erſte Perſon in der
Gottheit, verleugnet: ſintemal eines ſich auf das
andere alſo beziehet, daß es mit dem andern be-
ſtehet, oder auch hinweg faͤllt. Denn wo kein
Sohn iſt, da iſt auch kein Vater: gleichwie hin-
gegen, wenn man Chriſtum fuͤr den Sohn Got-
tes
Q q q q 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/677>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.