[Spaltenumbruch]
nung, die auch ihm widerfahren, angenommen habe? ob er dadurch sey aus einem Kinde der Finsterniß ein Kind des Lichts worden?
V. 12.
Und züchtiget uns (unterweiset uns al- so, daß wir gesalbet, und also nicht allein im Verstande überzeuget, sondern auch dem Willen nach kräftigst angetrieben werden) daß wir verleugnen (als etwas dem Stande der Gnaden sehr unanständiges erkennen, verab- scheuen und fliehen) sollen das ungöttliche Wesen (die Sünden wider die erste und andere Tafel des Gesetzes, welche sonderlich im Unglau- ben zusammen fliessen) und die weltlichen Lüste (Augen-Lust, Fleisches-Lust und hoffärtiges Le- ben, sonderlich wie sie sich in dem Mittel-Dings- Kram auslassen, und für indifferent, oder zu- läßig wollen gehalten seyn) und züchtig (so- phronos, gegen uns selbst, also daß wir eines nüch- ternen Gemüths sind, und uns daher auch der Keuschheit und Mäßigkeit befleißigen) gerecht (gegen unsern Nächsten, daß wir ihm thun, was wir in wohlgeordneter Begierde uns wollen ge- than wissen, und lassen, was wir nicht wollen, daß es uns geschehe Matth. 7, 12.) und gottselig leben (mit Ausübung der Pflichten gegen GOtt nach der ersten Tafel des Gesetzes, welche der Glaube in sich fasset und aus sich gebieret) in die- ser Welt (als darinnen wir bereits nach der Ei- genschaft des Reichs der Gnaden selig sind, und uns also als mit vielen Heyls-Gütern beseligte in der Heiligung erweisen, und als Lichter unter dem unschlachtigen Geschlechte dieser Welt leuch- ten sollen. Phil. 2, 15.)
Anmerckungen.
1. Es ist die Zucht oder Züchtigung der Gnade, und also die wahre paedia des heiligen Geistes wohl zu mercken, worinnen sie bestehe. paideuein heisset hier eigentlich lehren, unterwei- sen, anführen, antreiben, wie man pfleget Kin- der zum guten zu ziehen. Hier muß aber die Schule des heiligen Geistes von der mensch- lichen wohl unterschieden werden. Denn in dieser kan man mehr nicht thun, als den Ver- stand von einer Sache, daß sie wahr, oder gut sey, durch gewisse Gründe überzeugen, und da- durch zugleich den Willen bewegen, daß er nach dem guten und wahren strebe. Betrift es nun natürliche Dinge, dazu der Mensch genugsame Kräfte hat, so ist diese paedia, diese Anführung, hinlänglich. Sind es aber übernatürliche und geistliche Sachen; so reichet sie nicht hin, weil da- zu übernatürliche Kräfte gehören, welche sie nicht mittheilen kan. Und hier zeiget sich der Unterscheid von der paedia der Gnade in der Schule GOttes. Denn diese bringet nicht al- lein durch die Erleuchtung eine kräftige Uber- zeugung in den Verstand, und damit einen An- trieb in den Willen; sondern sie bringet auch in der Ordnung der Widergeburt, darinnen die Erleuchtung geschiehet, die gehörige Kräfte in die Seele, das für wahr und gut im Göttlichen Lichte erkannte zu lieben, ihm begierigst und [Spaltenumbruch]
willigst nachzujagen, und es wircklich auszuü- ben. Und das ist, mit einem Worte nach der heiligen Schrift es auszudrucken, die Sal- bung des heiligen Geistes, die von der blossen suasione morali, worauf die Arminiani mit den Socinianis gehen, und welche die nöthi- gen Kräfte schon zum Grunde setzet, sehr unter- schieden ist. Es ist demnach die züchtigende Gnade nicht nur disciplinaris, die da lehret, was man thun, oder lassen soll; sondern auch medicinalis, die uns gleichsam als eine kräftige Medicin zur Stärckung und Genesung einge- geben wird, daß wir mit Paulo sagen können: Die Liebe GOttes ist ausgegossen in unser Hertz durch den heiligen Geist. Röm. 5, 5. Und also giebt uns die Gnade durch das Wort nicht allein die Vorschrift; sondern, da wir gleichsam eine verdorrete und gelähmte, ja er- storbene Hand haben, so bringet sie ein Leben darein und machet sie geschickt, der Vorschrift nachzuschreiben.
2. Die Verleugnung hat nun diese Sal- bung, und in derselben die genaue Erkenntniß von dem, was verleugnet werden muß, zum Grunde, und bestehet in einem solchen Haß ge- gen dasselbe, welcher sich in der wircklichen Ab- sagung und Vermeidung hervor thut; und zum kräftigsten Antrieb dieses hat, daß man durch den Stand der Gnade zu etwas bessers gelan- get sey, damit das zu verleugnende gar nicht zu vergleichen, und daher, als eine denselben sehr unanständige Sache wie müsse, also auch leicht- lich könne, verleugnet werden.
3. 'Asebeia, das ungöttliche Wesen, ist der gantze Stand der herrschenden Sünde, so wie er im Unglauben zusammen gefasset lie- get, und in allerhand wircklichen Sünden wider das gantze Gesetze, und also nicht allein der er- sten, sondern auch der andern Tafel, ausbricht. Denn es stehet dem ungöttlichen Wesen entge- gen, nicht allein das gottselige, sondern auch das züchtige und gerechte Leben gegen uns selbst und unsern Nechsten, dazu die Pflichten nach der andern Tafel gehören. Und gleichwie die Gottseligkeit, eusebeia obgleich fürnemlich auf die erste Tafel, doch aber auch auf das gan- tze Gesetze gehet; also ist leichtlich zu erachten, daß asebeia, die Gottlosigkeit, oder das un- göttliche Wesen alle Sünden wider das gantze Gesetz in sich halte.
4. Was verleugnet werden soll, heissen Lüste, und zwar die weltliche, im Gegensatz auf die geistliche, welche es auch giebt: wie Paulus spricht Röm. 7, 22. Jch habe Lust am Gesetze des HErrn nach dem inwendi- gen Menschen. Und Phil. 1, 13. Jch habe Lust abzuscheiden und bey Christo zu seyn. Und David preiset Psalm 1, 2. den selig, der da Lust hat am Gesetze des HErrn. Denn da der Wille der menschlichen Seele wesentlich ist, und dieselbe vermöge dieses ihres Wesens un- möglich ohne Lust seyn kan, durch den Sünden- Fall aber die Lust verderbet worden ist; so lieget der Mensch nun in solcher unreinen Lust-Begier-
de
Cap. 2. v. 12. an den Titum.
[Spaltenumbruch]
nung, die auch ihm widerfahren, angenommen habe? ob er dadurch ſey aus einem Kinde der Finſterniß ein Kind des Lichts worden?
V. 12.
Und zuͤchtiget uns (unterweiſet uns al- ſo, daß wir geſalbet, und alſo nicht allein im Verſtande uͤberzeuget, ſondern auch dem Willen nach kraͤftigſt angetrieben werden) daß wir verleugnen (als etwas dem Stande der Gnaden ſehr unanſtaͤndiges erkennen, verab- ſcheuen und fliehen) ſollen das ungoͤttliche Weſen (die Suͤnden wider die erſte und andere Tafel des Geſetzes, welche ſonderlich im Unglau- ben zuſammen flieſſen) und die weltlichen Luͤſte (Augen-Luſt, Fleiſches-Luſt und hoffaͤrtiges Le- ben, ſonderlich wie ſie ſich in dem Mittel-Dings- Kram auslaſſen, und fuͤr indifferent, oder zu- laͤßig wollen gehalten ſeyn) und zuͤchtig (σω- ϕρόνως, gegen uns ſelbſt, alſo daß wir eines nuͤch- ternen Gemuͤths ſind, und uns daher auch der Keuſchheit und Maͤßigkeit befleißigen) gerecht (gegen unſern Naͤchſten, daß wir ihm thun, was wir in wohlgeordneter Begierde uns wollen ge- than wiſſen, und laſſen, was wir nicht wollen, daß es uns geſchehe Matth. 7, 12.) und gottſelig leben (mit Ausuͤbung der Pflichten gegen GOtt nach der erſten Tafel des Geſetzes, welche der Glaube in ſich faſſet und aus ſich gebieret) in die- ſer Welt (als darinnen wir bereits nach der Ei- genſchaft des Reichs der Gnaden ſelig ſind, und uns alſo als mit vielen Heyls-Guͤtern beſeligte in der Heiligung erweiſen, und als Lichter unter dem unſchlachtigen Geſchlechte dieſer Welt leuch- ten ſollen. Phil. 2, 15.)
Anmerckungen.
1. Es iſt die Zucht oder Zuͤchtigung der Gnade, und alſo die wahre pædia des heiligen Geiſtes wohl zu mercken, worinnen ſie beſtehe. ϖαιδέυειν heiſſet hier eigentlich lehren, unterwei- ſen, anfuͤhren, antreiben, wie man pfleget Kin- der zum guten zu ziehen. Hier muß aber die Schule des heiligen Geiſtes von der menſch- lichen wohl unterſchieden werden. Denn in dieſer kan man mehr nicht thun, als den Ver- ſtand von einer Sache, daß ſie wahr, oder gut ſey, durch gewiſſe Gruͤnde uͤberzeugen, und da- durch zugleich den Willen bewegen, daß er nach dem guten und wahren ſtrebe. Betrift es nun natuͤrliche Dinge, dazu der Menſch genugſame Kraͤfte hat, ſo iſt dieſe pædia, dieſe Anfuͤhrung, hinlaͤnglich. Sind es aber uͤbernatuͤrliche und geiſtliche Sachen; ſo reichet ſie nicht hin, weil da- zu uͤbernatuͤrliche Kraͤfte gehoͤren, welche ſie nicht mittheilen kan. Und hier zeiget ſich der Unterſcheid von der pædia der Gnade in der Schule GOttes. Denn dieſe bringet nicht al- lein durch die Erleuchtung eine kraͤftige Uber- zeugung in den Verſtand, und damit einen An- trieb in den Willen; ſondern ſie bringet auch in der Ordnung der Widergeburt, darinnen die Erleuchtung geſchiehet, die gehoͤrige Kraͤfte in die Seele, das fuͤr wahr und gut im Goͤttlichen Lichte erkannte zu lieben, ihm begierigſt und [Spaltenumbruch]
willigſt nachzujagen, und es wircklich auszuuͤ- ben. Und das iſt, mit einem Worte nach der heiligen Schrift es auszudrucken, die Sal- bung des heiligen Geiſtes, die von der bloſſen ſuaſione morali, worauf die Arminiani mit den Socinianis gehen, und welche die noͤthi- gen Kraͤfte ſchon zum Grunde ſetzet, ſehr unter- ſchieden iſt. Es iſt demnach die zuͤchtigende Gnade nicht nur diſciplinaris, die da lehret, was man thun, oder laſſen ſoll; ſondern auch medicinalis, die uns gleichſam als eine kraͤftige Medicin zur Staͤrckung und Geneſung einge- geben wird, daß wir mit Paulo ſagen koͤnnen: Die Liebe GOttes iſt ausgegoſſen in unſer Hertz durch den heiligen Geiſt. Roͤm. 5, 5. Und alſo giebt uns die Gnade durch das Wort nicht allein die Vorſchrift; ſondern, da wir gleichſam eine verdorrete und gelaͤhmte, ja er- ſtorbene Hand haben, ſo bringet ſie ein Leben darein und machet ſie geſchickt, der Vorſchrift nachzuſchreiben.
2. Die Verleugnung hat nun dieſe Sal- bung, und in derſelben die genaue Erkenntniß von dem, was verleugnet werden muß, zum Grunde, und beſtehet in einem ſolchen Haß ge- gen daſſelbe, welcher ſich in der wircklichen Ab- ſagung und Vermeidung hervor thut; und zum kraͤftigſten Antrieb dieſes hat, daß man durch den Stand der Gnade zu etwas beſſers gelan- get ſey, damit das zu verleugnende gar nicht zu vergleichen, und daher, als eine denſelben ſehr unanſtaͤndige Sache wie muͤſſe, alſo auch leicht- lich koͤnne, verleugnet werden.
3. ᾽Ασέβεια, das ungoͤttliche Weſen, iſt der gantze Stand der herrſchenden Suͤnde, ſo wie er im Unglauben zuſammen gefaſſet lie- get, und in allerhand wircklichen Suͤnden wider das gantze Geſetze, und alſo nicht allein der er- ſten, ſondern auch der andern Tafel, ausbricht. Denn es ſtehet dem ungoͤttlichen Weſen entge- gen, nicht allein das gottſelige, ſondern auch das zuͤchtige und gerechte Leben gegen uns ſelbſt und unſern Nechſten, dazu die Pflichten nach der andern Tafel gehoͤren. Und gleichwie die Gottſeligkeit, ἐυσέβεια obgleich fuͤrnemlich auf die erſte Tafel, doch aber auch auf das gan- tze Geſetze gehet; alſo iſt leichtlich zu erachten, daß ἀσέβεια, die Gottloſigkeit, oder das un- goͤttliche Weſen alle Suͤnden wider das gantze Geſetz in ſich halte.
4. Was verleugnet werden ſoll, heiſſen Luͤſte, und zwar die weltliche, im Gegenſatz auf die geiſtliche, welche es auch giebt: wie Paulus ſpricht Roͤm. 7, 22. Jch habe Luſt am Geſetze des HErrn nach dem inwendi- gen Menſchen. Und Phil. 1, 13. Jch habe Luſt abzuſcheiden und bey Chriſto zu ſeyn. Und David preiſet Pſalm 1, 2. den ſelig, der da Luſt hat am Geſetze des HErrn. Denn da der Wille der menſchlichen Seele weſentlich iſt, und dieſelbe vermoͤge dieſes ihres Weſens un- moͤglich ohne Luſt ſeyn kan, durch den Suͤnden- Fall aber die Luſt verderbet worden iſt; ſo lieget der Menſch nun in ſolcher unreinen Luſt-Begier-
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[207/0209]
Cap. 2. v. 12. an den Titum.
nung, die auch ihm widerfahren, angenommen
habe? ob er dadurch ſey aus einem Kinde der
Finſterniß ein Kind des Lichts worden?
V. 12.
Und zuͤchtiget uns (unterweiſet uns al-
ſo, daß wir geſalbet, und alſo nicht allein im
Verſtande uͤberzeuget, ſondern auch dem
Willen nach kraͤftigſt angetrieben werden) daß
wir verleugnen (als etwas dem Stande der
Gnaden ſehr unanſtaͤndiges erkennen, verab-
ſcheuen und fliehen) ſollen das ungoͤttliche
Weſen (die Suͤnden wider die erſte und andere
Tafel des Geſetzes, welche ſonderlich im Unglau-
ben zuſammen flieſſen) und die weltlichen Luͤſte
(Augen-Luſt, Fleiſches-Luſt und hoffaͤrtiges Le-
ben, ſonderlich wie ſie ſich in dem Mittel-Dings-
Kram auslaſſen, und fuͤr indifferent, oder zu-
laͤßig wollen gehalten ſeyn) und zuͤchtig (σω-
ϕρόνως, gegen uns ſelbſt, alſo daß wir eines nuͤch-
ternen Gemuͤths ſind, und uns daher auch der
Keuſchheit und Maͤßigkeit befleißigen) gerecht
(gegen unſern Naͤchſten, daß wir ihm thun, was
wir in wohlgeordneter Begierde uns wollen ge-
than wiſſen, und laſſen, was wir nicht wollen, daß
es uns geſchehe Matth. 7, 12.) und gottſelig
leben (mit Ausuͤbung der Pflichten gegen GOtt
nach der erſten Tafel des Geſetzes, welche der
Glaube in ſich faſſet und aus ſich gebieret) in die-
ſer Welt (als darinnen wir bereits nach der Ei-
genſchaft des Reichs der Gnaden ſelig ſind, und
uns alſo als mit vielen Heyls-Guͤtern beſeligte
in der Heiligung erweiſen, und als Lichter unter
dem unſchlachtigen Geſchlechte dieſer Welt leuch-
ten ſollen. Phil. 2, 15.)
Anmerckungen.
1. Es iſt die Zucht oder Zuͤchtigung der
Gnade, und alſo die wahre pædia des heiligen
Geiſtes wohl zu mercken, worinnen ſie beſtehe.
ϖαιδέυειν heiſſet hier eigentlich lehren, unterwei-
ſen, anfuͤhren, antreiben, wie man pfleget Kin-
der zum guten zu ziehen. Hier muß aber die
Schule des heiligen Geiſtes von der menſch-
lichen wohl unterſchieden werden. Denn in
dieſer kan man mehr nicht thun, als den Ver-
ſtand von einer Sache, daß ſie wahr, oder gut
ſey, durch gewiſſe Gruͤnde uͤberzeugen, und da-
durch zugleich den Willen bewegen, daß er nach
dem guten und wahren ſtrebe. Betrift es nun
natuͤrliche Dinge, dazu der Menſch genugſame
Kraͤfte hat, ſo iſt dieſe pædia, dieſe Anfuͤhrung,
hinlaͤnglich. Sind es aber uͤbernatuͤrliche und
geiſtliche Sachen; ſo reichet ſie nicht hin, weil da-
zu uͤbernatuͤrliche Kraͤfte gehoͤren, welche ſie
nicht mittheilen kan. Und hier zeiget ſich der
Unterſcheid von der pædia der Gnade in der
Schule GOttes. Denn dieſe bringet nicht al-
lein durch die Erleuchtung eine kraͤftige Uber-
zeugung in den Verſtand, und damit einen An-
trieb in den Willen; ſondern ſie bringet auch
in der Ordnung der Widergeburt, darinnen die
Erleuchtung geſchiehet, die gehoͤrige Kraͤfte in
die Seele, das fuͤr wahr und gut im Goͤttlichen
Lichte erkannte zu lieben, ihm begierigſt und
willigſt nachzujagen, und es wircklich auszuuͤ-
ben. Und das iſt, mit einem Worte nach der
heiligen Schrift es auszudrucken, die Sal-
bung des heiligen Geiſtes, die von der bloſſen
ſuaſione morali, worauf die Arminiani mit
den Socinianis gehen, und welche die noͤthi-
gen Kraͤfte ſchon zum Grunde ſetzet, ſehr unter-
ſchieden iſt. Es iſt demnach die zuͤchtigende
Gnade nicht nur diſciplinaris, die da lehret,
was man thun, oder laſſen ſoll; ſondern auch
medicinalis, die uns gleichſam als eine kraͤftige
Medicin zur Staͤrckung und Geneſung einge-
geben wird, daß wir mit Paulo ſagen koͤnnen:
Die Liebe GOttes iſt ausgegoſſen in unſer
Hertz durch den heiligen Geiſt. Roͤm. 5, 5.
Und alſo giebt uns die Gnade durch das Wort
nicht allein die Vorſchrift; ſondern, da wir
gleichſam eine verdorrete und gelaͤhmte, ja er-
ſtorbene Hand haben, ſo bringet ſie ein Leben
darein und machet ſie geſchickt, der Vorſchrift
nachzuſchreiben.
2. Die Verleugnung hat nun dieſe Sal-
bung, und in derſelben die genaue Erkenntniß
von dem, was verleugnet werden muß, zum
Grunde, und beſtehet in einem ſolchen Haß ge-
gen daſſelbe, welcher ſich in der wircklichen Ab-
ſagung und Vermeidung hervor thut; und zum
kraͤftigſten Antrieb dieſes hat, daß man durch
den Stand der Gnade zu etwas beſſers gelan-
get ſey, damit das zu verleugnende gar nicht zu
vergleichen, und daher, als eine denſelben ſehr
unanſtaͤndige Sache wie muͤſſe, alſo auch leicht-
lich koͤnne, verleugnet werden.
3. ᾽Ασέβεια, das ungoͤttliche Weſen, iſt
der gantze Stand der herrſchenden Suͤnde, ſo
wie er im Unglauben zuſammen gefaſſet lie-
get, und in allerhand wircklichen Suͤnden wider
das gantze Geſetze, und alſo nicht allein der er-
ſten, ſondern auch der andern Tafel, ausbricht.
Denn es ſtehet dem ungoͤttlichen Weſen entge-
gen, nicht allein das gottſelige, ſondern auch
das zuͤchtige und gerechte Leben gegen uns ſelbſt
und unſern Nechſten, dazu die Pflichten nach
der andern Tafel gehoͤren. Und gleichwie die
Gottſeligkeit, ἐυσέβεια obgleich fuͤrnemlich
auf die erſte Tafel, doch aber auch auf das gan-
tze Geſetze gehet; alſo iſt leichtlich zu erachten,
daß ἀσέβεια, die Gottloſigkeit, oder das un-
goͤttliche Weſen alle Suͤnden wider das gantze
Geſetz in ſich halte.
4. Was verleugnet werden ſoll, heiſſen
Luͤſte, und zwar die weltliche, im Gegenſatz
auf die geiſtliche, welche es auch giebt: wie
Paulus ſpricht Roͤm. 7, 22. Jch habe Luſt
am Geſetze des HErrn nach dem inwendi-
gen Menſchen. Und Phil. 1, 13. Jch habe Luſt
abzuſcheiden und bey Chriſto zu ſeyn. Und
David preiſet Pſalm 1, 2. den ſelig, der da
Luſt hat am Geſetze des HErrn. Denn da
der Wille der menſchlichen Seele weſentlich iſt,
und dieſelbe vermoͤge dieſes ihres Weſens un-
moͤglich ohne Luſt ſeyn kan, durch den Suͤnden-
Fall aber die Luſt verderbet worden iſt; ſo lieget
der Menſch nun in ſolcher unreinen Luſt-Begier-
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/209>, abgerufen am 23.11.2024.
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vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.