Erklärung des ersten Briefes Pauli C. 6. v. 17-21.
[Spaltenumbruch]
Gemüths, worein man durch den Geitz und allerhand Ungerechtigkeit gesetzet wird, wie denn auch gemeiniglich dieser Fluch mit auf die Erben fortgehet, als die sich selten davon in Zei- ten entladen, sondern ihn oft vielmehr über sich verdoppeln und, durch das reiche Erbtheil ver- anlasset, zum ewigen Verderben entweder in gleichen Geitz; oder in eine liederliche Ver- schwendung eingehen.
10. Damit sich auch niemand selbst betriege und sich, da er doch reich ist, nicht dafür halte, wie vieler reichen Eigenschaft diese zu seyn pfleget, daß sie sich für arm halten und daher zur Mildig- keit kein Gesetz vor sich zu haben, vermeinen: so ist wohl zu mercken, wer denn eigentlich reich und arm sey? Reich ist der, der mehr hat, als die Nothdurst erfordert; ie mehr nun einer über seine Nothdurft hat, ie reicher ist er, und ie mehr ist er zur Mittheilung verbunden. Arm ist der, welchem die Nothdurft gebricht; ie mehr es ihm nun daran mangelt, ie ärmer ist er. Nun kan zwar die Nothdurft eines Theils nicht bloß auf das eingeschrencket werden, was die Natur als schlech- terdings nothwendig erfordert und sehr wenig ist; sondern es muß auch der äusserliche Wohlstand, sofern er in vernünftigen, Christlichen und wohl- geordneten Schrancken bleibet, dabey statt fin- den: sie muß aber auch mit dem Wohlstande nicht auf einen eitelen Staat und auf sündliche Gewohnheiten der Kinder dieser Welt exten- diret werden; wie doch gemeiniglich ge- schiehet.
11. Es ist eine gar kale Entschuldi- gung wenn Reiche ihre Lieblosigkeit damit zu beschönigen suchen, daß sie sagen, es wären die Armen an ihrer Armuth selbst Schuld, und auch sonst ihrem Leben nach der Wohl- that unwerth, und wolten nicht arbeiten. Denn obgleich dieses von vielen wahr ist, und disfals allenthalben bessere Anstalt seyn solte: so sind doch auch aller Orten solche Arme, welche ent- weder gantz ohne, oder doch ohne ihre beson- dere und grosse Schuld durch allerhand Fälle in Armuth gerathen sind. Manche können auch keine genugsame Arbeit bekommen, oder sind Alters, oder Schwachheit halber, oder auch aus Mangel einiges Verlags, nicht im Stan- de, sich selbst und die ihrigen zu ernehren. Auch ist manche Arbeit so beschaffen, daß sie zum Unter- halt nicht hinlänglich ist, zumal für mehrere Personen, und wenn nicht allein das tägliche Brodt, sondern auch die Kleidung und Woh- nung davon soll bezahlet, und dazu der Obrig- keit (welche disfals gegen Dürftige ihrer Schul- digkeit selten nachzukommen pfleget) der gesetzte Abtrag gethan und andere gemeine Lasten sollen mit getragen werden. Und gesetzt auch, es sey einer muthwilliger Weise in die äusserste Armuth gerathen: so ist zwar, wenn er in seinem Muth- willen also fortfahren wolte, von rechts wegen er der Almosen gantz unwerth, und soll billig auch nicht essen 2 Thess. 3, 10. 11. 12. allein wenn man einen in einem solchen Elende findet, so muß man ihn doch als einen mit unsterblicher Seele begab- [Spaltenumbruch]
ten und von Christo erlöseten Menschen ansehen, und ihn nicht umkommen lassen, sondern sich seiner solcher gestalt annehmen, daß man ihn bey Darreichung der leiblichen Gabe mit ernst- licher und dabey auch liebreicher Ermahnung zu einer guten Lebens-Ordnung anhalte, und insonderheit anweise, wie er suchen soll, seine leibliche Armuth sich dazu dienen zu lassen, daß er reich in GOTT werde.
12. Jm übrigen, da reiche Leute sich gern nach unbeweglichen Gütern, oder lie- genden Gründen umsehen, aber auch da- mit ihren Zweck nicht erhalten, noch es da- hin bringen, daß auch solche nicht ein unge- wisser Reichthum sind und bleiben; da so manche Unglücks-Fälle einen durch genöthigte Verkaufung darum bringen können, man sie auch im Tode verlassen muß: so haben sie zu erkennen, daß allein die geistlichen Güter, die man in Christo an den Heyls-Schätzen hat, unbewegliche und bleibende Güter sind, Hebr. 10, 34. und dannenhero dahin zu sehen, daß sie bey Zeiten an solchen Immobilien in GOtt mögen reich werden.
V. 20. 21.
O Timothee, bewahre (durch würdigen Gebrauch unter kräftigem Beystande des Heil. Geistes 2 Tim. 1, 14.) das dir vertrauet ist (ten parakatatheken, die gute Beylage, das Geheimniß des Glaubens im guten Gewissen, daran einige Schiffbruch erlitten 1 Tim. 1, 19. c. 3, 19. dieselbe bewahre nebst den empfange- nen und immer mehr zu erweckenden Gnaden- Gaben 2 Tim. 1, 6. also daß du eine gute Ritter- schaft übest, 1 Tim. 1, 18. das Werck eines Ev- angelisten, oder Evangelischen Predigers, und also dein Amt redlich ausrichtest 2 Tim. 4, 5.) und meide (als einen Unflath und Greuel) die ungeistliche lose Geschwätze (da man nur kenophonian, zwar gekünstelte, und hochtraben- de, aber doch recht leere und unnütze, ja freche und heillose Worte mit vielem Geschrey ma- chet: siehe 1 Tim. 1, 4. 6. c. 4, 7. 6, 14. 2 Tim. 2, 14. 16. Tit. 1, 14. c. 3, 9.) und das Ge- zänck (antitheseis, die Gegensätze der eiteln Dis- putanten) der falsch-berühmten Kunst (pseudonumou gnoseos, derjenigen Wissenschaft göttlicher Dinge, welche fälschlich diesen Na- men führet, und deren man sich mit aufgebla- senem Sinne vergeblich rühmet) v. 21. welche etliche (mit vielem Geprale unter dem Schem der Wahrheit) vorgeben, und fehlen des Glaubens (welchen sie zwar zu ihrem Zweck vorgeben, aber nicht darauf gehen, vielweni- ger ihn erreichen, sondern davon dergestalt ab- weichen, daß sie mit muthwilliger Verletzung des guten Gewissens, am Glauben so wol ihrer Bekenntniß, als ihres Hertzens Schiffbruch lei- den 1 Tim. 1, 19. 2 Tim. 2, 18. und davon irre gehen. 1 Tim. 6, 10.) Die Gnade (auf wel- che alles ankömmt, nebst unserer Treue) sey (wie in dir, also auch) mit dir. Amen.
An-
Erklaͤrung des erſten Briefes Pauli C. 6. v. 17-21.
[Spaltenumbruch]
Gemuͤths, worein man durch den Geitz und allerhand Ungerechtigkeit geſetzet wird, wie denn auch gemeiniglich dieſer Fluch mit auf die Erben fortgehet, als die ſich ſelten davon in Zei- ten entladen, ſondern ihn oft vielmehr uͤber ſich verdoppeln und, durch das reiche Erbtheil ver- anlaſſet, zum ewigen Verderben entweder in gleichen Geitz; oder in eine liederliche Ver- ſchwendung eingehen.
10. Damit ſich auch niemand ſelbſt betriege und ſich, da er doch reich iſt, nicht dafuͤr halte, wie vieler reichen Eigenſchaft dieſe zu ſeyn pfleget, daß ſie ſich fuͤr arm halten und daher zur Mildig- keit kein Geſetz vor ſich zu haben, vermeinen: ſo iſt wohl zu mercken, wer denn eigentlich reich und arm ſey? Reich iſt der, der mehr hat, als die Nothdurſt erfordert; ie mehr nun einer uͤber ſeine Nothdurft hat, ie reicher iſt er, und ie mehr iſt er zur Mittheilung verbunden. Arm iſt der, welchem die Nothdurft gebricht; ie mehr es ihm nun daran mangelt, ie aͤrmer iſt er. Nun kan zwar die Nothdurft eines Theils nicht bloß auf das eingeſchrencket werden, was die Natur als ſchlech- terdings nothwendig erfordert und ſehr wenig iſt; ſondern es muß auch der aͤuſſerliche Wohlſtand, ſofern er in vernuͤnftigen, Chriſtlichen und wohl- geordneten Schrancken bleibet, dabey ſtatt fin- den: ſie muß aber auch mit dem Wohlſtande nicht auf einen eitelen Staat und auf ſuͤndliche Gewohnheiten der Kinder dieſer Welt exten- diret werden; wie doch gemeiniglich ge- ſchiehet.
11. Es iſt eine gar kale Entſchuldi- gung wenn Reiche ihre Liebloſigkeit damit zu beſchoͤnigen ſuchen, daß ſie ſagen, es waͤren die Armen an ihrer Armuth ſelbſt Schuld, und auch ſonſt ihrem Leben nach der Wohl- that unwerth, und wolten nicht arbeiten. Denn obgleich dieſes von vielen wahr iſt, und disfals allenthalben beſſere Anſtalt ſeyn ſolte: ſo ſind doch auch aller Orten ſolche Arme, welche ent- weder gantz ohne, oder doch ohne ihre beſon- dere und groſſe Schuld durch allerhand Faͤlle in Armuth gerathen ſind. Manche koͤnnen auch keine genugſame Arbeit bekommen, oder ſind Alters, oder Schwachheit halber, oder auch aus Mangel einiges Verlags, nicht im Stan- de, ſich ſelbſt und die ihrigen zu ernehren. Auch iſt manche Arbeit ſo beſchaffen, daß ſie zum Unter- halt nicht hinlaͤnglich iſt, zumal fuͤr mehrere Perſonen, und wenn nicht allein das taͤgliche Brodt, ſondern auch die Kleidung und Woh- nung davon ſoll bezahlet, und dazu der Obrig- keit (welche disfals gegen Duͤrftige ihrer Schul- digkeit ſelten nachzukommen pfleget) der geſetzte Abtrag gethan und andere gemeine Laſten ſollen mit getragen werden. Und geſetzt auch, es ſey einer muthwilliger Weiſe in die aͤuſſerſte Armuth gerathen: ſo iſt zwar, wenn er in ſeinem Muth- willen alſo fortfahren wolte, von rechts wegen er der Almoſen gantz unwerth, und ſoll billig auch nicht eſſen 2 Theſſ. 3, 10. 11. 12. allein wenn man einen in einem ſolchen Elende findet, ſo muß man ihn doch als einen mit unſterblicher Seele begab- [Spaltenumbruch]
ten und von Chriſto erloͤſeten Menſchen anſehen, und ihn nicht umkommen laſſen, ſondern ſich ſeiner ſolcher geſtalt annehmen, daß man ihn bey Darreichung der leiblichen Gabe mit ernſt- licher und dabey auch liebreicher Ermahnung zu einer guten Lebens-Ordnung anhalte, und inſonderheit anweiſe, wie er ſuchen ſoll, ſeine leibliche Armuth ſich dazu dienen zu laſſen, daß er reich in GOTT werde.
12. Jm uͤbrigen, da reiche Leute ſich gern nach unbeweglichen Guͤtern, oder lie- genden Gruͤnden umſehen, aber auch da- mit ihren Zweck nicht erhalten, noch es da- hin bringen, daß auch ſolche nicht ein unge- wiſſer Reichthum ſind und bleiben; da ſo manche Ungluͤcks-Faͤlle einen durch genoͤthigte Verkaufung darum bringen koͤnnen, man ſie auch im Tode verlaſſen muß: ſo haben ſie zu erkennen, daß allein die geiſtlichen Guͤter, die man in Chriſto an den Heyls-Schaͤtzen hat, unbewegliche und bleibende Guͤter ſind, Hebr. 10, 34. und dannenhero dahin zu ſehen, daß ſie bey Zeiten an ſolchen Immobilien in GOtt moͤgen reich werden.
V. 20. 21.
O Timothee, bewahre (durch wuͤrdigen Gebrauch unter kraͤftigem Beyſtande des Heil. Geiſtes 2 Tim. 1, 14.) das dir vertrauet iſt (τὴν ϖαρακαταϑήκην, die gute Beylage, das Geheimniß des Glaubens im guten Gewiſſen, daran einige Schiffbruch erlitten 1 Tim. 1, 19. c. 3, 19. dieſelbe bewahre nebſt den empfange- nen und immer mehr zu erweckenden Gnaden- Gaben 2 Tim. 1, 6. alſo daß du eine gute Ritter- ſchaft uͤbeſt, 1 Tim. 1, 18. das Werck eines Ev- angeliſten, oder Evangeliſchen Predigers, und alſo dein Amt redlich ausrichteſt 2 Tim. 4, 5.) und meide (als einen Unflath und Greuel) die ungeiſtliche loſe Geſchwaͤtze (da man nur κενοϕωνίαν, zwar gekuͤnſtelte, und hochtraben- de, aber doch recht leere und unnuͤtze, ja freche und heilloſe Worte mit vielem Geſchrey ma- chet: ſiehe 1 Tim. 1, 4. 6. c. 4, 7. 6, 14. 2 Tim. 2, 14. 16. Tit. 1, 14. c. 3, 9.) und das Ge- zaͤnck (ἀντιθέσεις, die Gegenſaͤtze der eiteln Dis- putanten) der falſch-beruͤhmten Kunſt (ψευδωνύμου γνώσεως, derjenigen Wiſſenſchaft goͤttlicher Dinge, welche faͤlſchlich dieſen Na- men fuͤhret, und deren man ſich mit aufgebla- ſenem Sinne vergeblich ruͤhmet) v. 21. welche etliche (mit vielem Geprale unter dem Schem der Wahrheit) vorgeben, und fehlen des Glaubens (welchen ſie zwar zu ihrem Zweck vorgeben, aber nicht darauf gehen, vielweni- ger ihn erreichen, ſondern davon dergeſtalt ab- weichen, daß ſie mit muthwilliger Verletzung des guten Gewiſſens, am Glauben ſo wol ihrer Bekenntniß, als ihres Hertzens Schiffbruch lei- den 1 Tim. 1, 19. 2 Tim. 2, 18. und davon irre gehen. 1 Tim. 6, 10.) Die Gnade (auf wel- che alles ankoͤmmt, nebſt unſerer Treue) ſey (wie in dir, alſo auch) mit dir. Amen.
An-
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[140/0142]
Erklaͤrung des erſten Briefes Pauli C. 6. v. 17-21.
Gemuͤths, worein man durch den Geitz und
allerhand Ungerechtigkeit geſetzet wird, wie
denn auch gemeiniglich dieſer Fluch mit auf die
Erben fortgehet, als die ſich ſelten davon in Zei-
ten entladen, ſondern ihn oft vielmehr uͤber ſich
verdoppeln und, durch das reiche Erbtheil ver-
anlaſſet, zum ewigen Verderben entweder in
gleichen Geitz; oder in eine liederliche Ver-
ſchwendung eingehen.
10. Damit ſich auch niemand ſelbſt betriege
und ſich, da er doch reich iſt, nicht dafuͤr halte, wie
vieler reichen Eigenſchaft dieſe zu ſeyn pfleget,
daß ſie ſich fuͤr arm halten und daher zur Mildig-
keit kein Geſetz vor ſich zu haben, vermeinen: ſo
iſt wohl zu mercken, wer denn eigentlich reich
und arm ſey? Reich iſt der, der mehr hat, als
die Nothdurſt erfordert; ie mehr nun einer uͤber
ſeine Nothdurft hat, ie reicher iſt er, und ie mehr
iſt er zur Mittheilung verbunden. Arm iſt der,
welchem die Nothdurft gebricht; ie mehr es ihm
nun daran mangelt, ie aͤrmer iſt er. Nun kan
zwar die Nothdurft eines Theils nicht bloß auf das
eingeſchrencket werden, was die Natur als ſchlech-
terdings nothwendig erfordert und ſehr wenig iſt;
ſondern es muß auch der aͤuſſerliche Wohlſtand,
ſofern er in vernuͤnftigen, Chriſtlichen und wohl-
geordneten Schrancken bleibet, dabey ſtatt fin-
den: ſie muß aber auch mit dem Wohlſtande
nicht auf einen eitelen Staat und auf ſuͤndliche
Gewohnheiten der Kinder dieſer Welt exten-
diret werden; wie doch gemeiniglich ge-
ſchiehet.
11. Es iſt eine gar kale Entſchuldi-
gung wenn Reiche ihre Liebloſigkeit damit zu
beſchoͤnigen ſuchen, daß ſie ſagen, es waͤren
die Armen an ihrer Armuth ſelbſt Schuld,
und auch ſonſt ihrem Leben nach der Wohl-
that unwerth, und wolten nicht arbeiten. Denn
obgleich dieſes von vielen wahr iſt, und disfals
allenthalben beſſere Anſtalt ſeyn ſolte: ſo ſind
doch auch aller Orten ſolche Arme, welche ent-
weder gantz ohne, oder doch ohne ihre beſon-
dere und groſſe Schuld durch allerhand Faͤlle
in Armuth gerathen ſind. Manche koͤnnen auch
keine genugſame Arbeit bekommen, oder ſind
Alters, oder Schwachheit halber, oder auch
aus Mangel einiges Verlags, nicht im Stan-
de, ſich ſelbſt und die ihrigen zu ernehren. Auch
iſt manche Arbeit ſo beſchaffen, daß ſie zum Unter-
halt nicht hinlaͤnglich iſt, zumal fuͤr mehrere
Perſonen, und wenn nicht allein das taͤgliche
Brodt, ſondern auch die Kleidung und Woh-
nung davon ſoll bezahlet, und dazu der Obrig-
keit (welche disfals gegen Duͤrftige ihrer Schul-
digkeit ſelten nachzukommen pfleget) der geſetzte
Abtrag gethan und andere gemeine Laſten ſollen
mit getragen werden. Und geſetzt auch, es ſey
einer muthwilliger Weiſe in die aͤuſſerſte Armuth
gerathen: ſo iſt zwar, wenn er in ſeinem Muth-
willen alſo fortfahren wolte, von rechts wegen
er der Almoſen gantz unwerth, und ſoll billig auch
nicht eſſen 2 Theſſ. 3, 10. 11. 12. allein wenn man
einen in einem ſolchen Elende findet, ſo muß man
ihn doch als einen mit unſterblicher Seele begab-
ten und von Chriſto erloͤſeten Menſchen anſehen,
und ihn nicht umkommen laſſen, ſondern ſich
ſeiner ſolcher geſtalt annehmen, daß man ihn
bey Darreichung der leiblichen Gabe mit ernſt-
licher und dabey auch liebreicher Ermahnung
zu einer guten Lebens-Ordnung anhalte, und
inſonderheit anweiſe, wie er ſuchen ſoll, ſeine
leibliche Armuth ſich dazu dienen zu laſſen, daß
er reich in GOTT werde.
12. Jm uͤbrigen, da reiche Leute ſich
gern nach unbeweglichen Guͤtern, oder lie-
genden Gruͤnden umſehen, aber auch da-
mit ihren Zweck nicht erhalten, noch es da-
hin bringen, daß auch ſolche nicht ein unge-
wiſſer Reichthum ſind und bleiben; da ſo
manche Ungluͤcks-Faͤlle einen durch genoͤthigte
Verkaufung darum bringen koͤnnen, man ſie
auch im Tode verlaſſen muß: ſo haben ſie zu
erkennen, daß allein die geiſtlichen Guͤter,
die man in Chriſto an den Heyls-Schaͤtzen hat,
unbewegliche und bleibende Guͤter ſind,
Hebr. 10, 34. und dannenhero dahin zu ſehen,
daß ſie bey Zeiten an ſolchen Immobilien in
GOtt moͤgen reich werden.
V. 20. 21.
O Timothee, bewahre (durch wuͤrdigen
Gebrauch unter kraͤftigem Beyſtande des Heil.
Geiſtes 2 Tim. 1, 14.) das dir vertrauet iſt
(τὴν ϖαρακαταϑήκην, die gute Beylage, das
Geheimniß des Glaubens im guten Gewiſſen,
daran einige Schiffbruch erlitten 1 Tim. 1, 19.
c. 3, 19. dieſelbe bewahre nebſt den empfange-
nen und immer mehr zu erweckenden Gnaden-
Gaben 2 Tim. 1, 6. alſo daß du eine gute Ritter-
ſchaft uͤbeſt, 1 Tim. 1, 18. das Werck eines Ev-
angeliſten, oder Evangeliſchen Predigers, und
alſo dein Amt redlich ausrichteſt 2 Tim. 4, 5.)
und meide (als einen Unflath und Greuel) die
ungeiſtliche loſe Geſchwaͤtze (da man nur
κενοϕωνίαν, zwar gekuͤnſtelte, und hochtraben-
de, aber doch recht leere und unnuͤtze, ja freche
und heilloſe Worte mit vielem Geſchrey ma-
chet: ſiehe 1 Tim. 1, 4. 6. c. 4, 7. 6, 14. 2 Tim.
2, 14. 16. Tit. 1, 14. c. 3, 9.) und das Ge-
zaͤnck (ἀντιθέσεις, die Gegenſaͤtze der eiteln Dis-
putanten) der falſch-beruͤhmten Kunſt
(ψευδωνύμου γνώσεως, derjenigen Wiſſenſchaft
goͤttlicher Dinge, welche faͤlſchlich dieſen Na-
men fuͤhret, und deren man ſich mit aufgebla-
ſenem Sinne vergeblich ruͤhmet) v. 21. welche
etliche (mit vielem Geprale unter dem Schem
der Wahrheit) vorgeben, und fehlen des
Glaubens (welchen ſie zwar zu ihrem Zweck
vorgeben, aber nicht darauf gehen, vielweni-
ger ihn erreichen, ſondern davon dergeſtalt ab-
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des guten Gewiſſens, am Glauben ſo wol ihrer
Bekenntniß, als ihres Hertzens Schiffbruch lei-
den 1 Tim. 1, 19. 2 Tim. 2, 18. und davon irre
gehen. 1 Tim. 6, 10.) Die Gnade (auf wel-
che alles ankoͤmmt, nebſt unſerer Treue) ſey
(wie in dir, alſo auch) mit dir. Amen.
An-
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Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/142>, abgerufen am 23.11.2024.
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Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.