Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 13, v. 5. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
zu haben, nachdem wir durch Anzündung desGlaubens gantz andere Menschen worden sind von Hertz, Muth, Sinn und allen Kräften. Jst nun der Glaube solcher gestalt in uns, so sind wir auch im Glauben, also, daß wir darin- nen stehen, darinnen leben, darinnen wandeln und wircken, und, da alles, was nicht aus dem Glauben gehet, Sünde ist, alles unser Thun im Glauben und aus dem Glauben mit einfälti- gem Hertzen zur Ehre GOttes verrichten, und sol- chen unsern Glauben durch die Liebe nach allen Pflichten des Christenthums gegen GOtt, uns selbst und den Nächsten thätig erweisen. Dar- aus denn erhellet, daß, vermöge des Glaubens, alles unser Thun und Lassen das innerliche und das äusserliche mit unserm gantzen Zustan- de, zur Selbst-Prüfung gehöre. Nebst dem Glauben soll diese auch gehen auf Christum, ob er in uns sey? Eines bringet das andere mit sich. Denn wo der Glaube ist, da ist Chri- stus. Daß aber auch Christus selbst vermöge des Glaubens in den Glaubigen ist, das giebet dem Glauben so viel mehrern Nachdruck, und zeiget an, daß er so viel weniger ohn ein geistli- ches Leben, Licht, Kraft und Wirckung sey. Denn wo Christus durch den Glauben aufge- nommen ist, da ist er, als in seinem Tempel, da lebet, leuchtet und regieret er, also, daß er des Menschen gantzes Leben innerlich und äusserlich immer mehr seinem Bilde gleichförmig machet. Da stärcket sie Christus zu allem Guten, daß sie mit Paulo sagen können: Jch vermag al- les durch den, der mich mächtig machet, Christum Phil. 4, 13. da sind sie auch gutes Muths: sintemal Christus in ihnen ist die Hoffnung der Herrlichkeit Col. 1, 17. der in ihnen ist, der ist stärcker, denn der in der Welt ist 1 Joh. 4, 4. Es hat demnach vie- les auf sich, im Glauben, und durch den Glau- ben in Christo seyn, leben und wircken, auch mit Christo also vereiniget seyn, daß man ihn in sich habe, und mit Paulo sagen könne: Chri- stus ist mein Leben Phil. 1, 21. Jch bin mit Christo gecreutziget, ich lebe aber: doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Denn was ich ietzt lebe im Flei- sche, das lebe ich im Glauben des Sohnes GOttes, der mich geliebet hat, und sich selbst für mich dargegeben. Gal. 2, 20. Und darauf hatte der Apostel auch die Corinthier in dem andern Briefe geführet, wenn er c. 5, 15. spricht: Er ist darum für sie alle gestorben, auf daß die, so da leben, hinfort nicht ih- nen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. 5. Was nun die Prüfung selbst betrifft, so bestehet sie in einer aufrichtigen Untersuchung des gantzen Zustandes und aller Handlun- gen: ob man im Glauben stehe und darinnen Christo lebe, oder nicht? ob man im Lauffe des Christenthstms rück- oder vorwarts gehe? ob dieses und jenes mit dem Glauben, guten Ge- wissen und dem Vorbilde des Exempels Christi bestehen könne, oder nicht? Daß die Prüfung recht ernstlich und das rechte Werck eines Chri- sten seyn solle, siehet man aus der gedoppelten, [Spaltenumbruch] ja dreyfachen Erinnerung Pauli, da er saget: Versuchet euch selbst! prüfet euch selbst! erkennet euch selbst! welcher mit solchen Worten bezeugeter Ernst, wo er in der Ubung erwiesen seyn soll, so gehören dazu folgende Stücke: a. Daß man solche Untersuchung nicht nur ein und das andere mal, sondern öfters an- stelle, und daß es zu einer beständigen und ge- heiligten Gewohnheit werde. Denn was hülfe es, wenn man sich auch gleich einige mal, und auf einige Zeit dadurch zum Guten erweck- te, hernach aber davon abliesse, in eine sorg- lose Sicherheit verfiele, und durch Betrug der Sünde gar aus dem Stande der Gnaden verfiele, oder darein niemals recht gelangete. Es ist demnach allerdinge nöthig, daß ein Mensch die Selbst-Prüfung täglich anstelle, auch wol einige Zeit, solte es auch nur ein viertel-Stündgen bey überhauften Geschäf- ten seyn, dazu aussetze: ja solte es auch un- ter den Geschäften selbst geschehen, wenn sie also beschaffen sind, daß nicht so wol das Ge- müth, als nur der Leib mit diesem oder jenem Gliede damit zu thun hat. Zwar muß die Prüfung bey dem Morgen- und Abend-Ge- bet nicht unterlassen werden: aber sie will auch ohne das nöthig seyn. b. Daß man in der Prüfung insonderheit seinen familiairen Affect, damit man nach dem Tem- perament am meisten behaftet ist, oder dazu man am meisten gereitzet wird, davon man auch durch diese und jene Ubereilung, wo nicht in Worten, Wercken und Geberden, doch in Gedancken und Begierden sich am meisten beunruhiget findet, recht ans Licht ziehe und sich nach demselben untersuche. Dazu denn auch alles übrige durch die züch- tigende Gnade GOttes einem in der Zartheit solcher gestalt erhaltenen Gewissen leichtlich wird vorkommen. c. Daß man, nachdem es die Sache selbst er- fodert, GOtt theils dancksage für diesen und jenen gnädigen Beystand, den man bey dieser und jener Versuchung gefunden; theils ihm diese und jene bekante Schwachheits-Sünde demüthigst abbitte; und sich dabey allezeit mit dem guten Vorsatz wapne, sich bey die- ser und jener Gelegenheit künftig besser in acht zu nehmen, und sich also die Fehler zu desto mehrer Vorsichtigkeit dienen lasse. 6. Was nun endlich den aus einer solchen Prüfung entstehenden Nutzen anlanget; so ist derselbe überaus groß, herrlich und wichtig. Denn der Mensch wird dadurch nicht allein vor gefährlichen Rückfällen kräftigst bewahret, son- dern auch sein Gewissen wird dadurch in solcher Zartheit und Lauterkeit, auch geistlichen Einfalt erhalten, daß es auch die subtilesten und verbor- gensten Abweichungen so fort mercket, und ihnen also entgegen gehet, daß es sich davon reiniget. Und solchergestalt wird sowol die Lehre von der Rechtfertigung in täglicher Suchung der Ver- gebung der Sünden, als die von der Heiligung in beständiger Ubung behalten: auch bleibet die Seele im steten anhangen an GOtt, ja im Um- gange O o o 3
Cap. 13, v. 5. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
zu haben, nachdem wir durch Anzuͤndung desGlaubens gantz andere Menſchen worden ſind von Hertz, Muth, Sinn und allen Kraͤften. Jſt nun der Glaube ſolcher geſtalt in uns, ſo ſind wir auch im Glauben, alſo, daß wir darin- nen ſtehen, darinnen leben, darinnen wandeln und wircken, und, da alles, was nicht aus dem Glauben gehet, Suͤnde iſt, alles unſer Thun im Glauben und aus dem Glauben mit einfaͤlti- gem Hertzen zur Ehre GOttes verrichten, und ſol- chen unſern Glauben durch die Liebe nach allen Pflichten des Chriſtenthums gegen GOtt, uns ſelbſt und den Naͤchſten thaͤtig erweiſen. Dar- aus denn erhellet, daß, vermoͤge des Glaubens, alles unſer Thun und Laſſen das innerliche und das aͤuſſerliche mit unſerm gantzen Zuſtan- de, zur Selbſt-Pruͤfung gehoͤre. Nebſt dem Glauben ſoll dieſe auch gehen auf Chriſtum, ob er in uns ſey? Eines bringet das andere mit ſich. Denn wo der Glaube iſt, da iſt Chri- ſtus. Daß aber auch Chriſtus ſelbſt vermoͤge des Glaubens in den Glaubigen iſt, das giebet dem Glauben ſo viel mehrern Nachdruck, und zeiget an, daß er ſo viel weniger ohn ein geiſtli- ches Leben, Licht, Kraft und Wirckung ſey. Denn wo Chriſtus durch den Glauben aufge- nommen iſt, da iſt er, als in ſeinem Tempel, da lebet, leuchtet und regieret er, alſo, daß er des Menſchen gantzes Leben innerlich und aͤuſſerlich immer mehr ſeinem Bilde gleichfoͤrmig machet. Da ſtaͤrcket ſie Chriſtus zu allem Guten, daß ſie mit Paulo ſagen koͤnnen: Jch vermag al- les durch den, der mich maͤchtig machet, Chriſtum Phil. 4, 13. da ſind ſie auch gutes Muths: ſintemal Chriſtus in ihnen iſt die Hoffnung der Herrlichkeit Col. 1, 17. der in ihnen iſt, der iſt ſtaͤrcker, denn der in der Welt iſt 1 Joh. 4, 4. Es hat demnach vie- les auf ſich, im Glauben, und durch den Glau- ben in Chriſto ſeyn, leben und wircken, auch mit Chriſto alſo vereiniget ſeyn, daß man ihn in ſich habe, und mit Paulo ſagen koͤnne: Chri- ſtus iſt mein Leben Phil. 1, 21. Jch bin mit Chriſto gecreutziget, ich lebe aber: doch nun nicht ich, ſondern Chriſtus lebet in mir. Denn was ich ietzt lebe im Flei- ſche, das lebe ich im Glauben des Sohnes GOttes, der mich geliebet hat, und ſich ſelbſt fuͤr mich dargegeben. Gal. 2, 20. Und darauf hatte der Apoſtel auch die Corinthier in dem andern Briefe gefuͤhret, wenn er c. 5, 15. ſpricht: Er iſt darum fuͤr ſie alle geſtorben, auf daß die, ſo da leben, hinfort nicht ih- nen ſelbſt leben, ſondern dem, der fuͤr ſie geſtorben und auferſtanden iſt. 5. Was nun die Pruͤfung ſelbſt betrifft, ſo beſtehet ſie in einer aufrichtigen Unterſuchung des gantzen Zuſtandes und aller Handlun- gen: ob man im Glauben ſtehe und darinnen Chriſto lebe, oder nicht? ob man im Lauffe des Chriſtenthſtms ruͤck- oder vorwarts gehe? ob dieſes und jenes mit dem Glauben, guten Ge- wiſſen und dem Vorbilde des Exempels Chriſti beſtehen koͤnne, oder nicht? Daß die Pruͤfung recht ernſtlich und das rechte Werck eines Chri- ſten ſeyn ſolle, ſiehet man aus der gedoppelten, [Spaltenumbruch] ja dreyfachen Erinnerung Pauli, da er ſaget: Verſuchet euch ſelbſt! pruͤfet euch ſelbſt! erkennet euch ſelbſt! welcher mit ſolchen Worten bezeugeter Ernſt, wo er in der Ubung erwieſen ſeyn ſoll, ſo gehoͤren dazu folgende Stuͤcke: a. Daß man ſolche Unterſuchung nicht nur ein und das andere mal, ſondern oͤfters an- ſtelle, und daß es zu einer beſtaͤndigen und ge- heiligten Gewohnheit werde. Denn was huͤlfe es, wenn man ſich auch gleich einige mal, und auf einige Zeit dadurch zum Guten erweck- te, hernach aber davon ablieſſe, in eine ſorg- loſe Sicherheit verfiele, und durch Betrug der Suͤnde gar aus dem Stande der Gnaden verfiele, oder darein niemals recht gelangete. Es iſt demnach allerdinge noͤthig, daß ein Menſch die Selbſt-Pruͤfung taͤglich anſtelle, auch wol einige Zeit, ſolte es auch nur ein viertel-Stuͤndgen bey uͤberhauften Geſchaͤf- ten ſeyn, dazu ausſetze: ja ſolte es auch un- ter den Geſchaͤften ſelbſt geſchehen, wenn ſie alſo beſchaffen ſind, daß nicht ſo wol das Ge- muͤth, als nur der Leib mit dieſem oder jenem Gliede damit zu thun hat. Zwar muß die Pruͤfung bey dem Morgen- und Abend-Ge- bet nicht unterlaſſen werden: aber ſie will auch ohne das noͤthig ſeyn. b. Daß man in der Pruͤfung inſonderheit ſeinen familiairen Affect, damit man nach dem Tem- perament am meiſten behaftet iſt, oder dazu man am meiſten gereitzet wird, davon man auch durch dieſe und jene Ubereilung, wo nicht in Worten, Wercken und Geberden, doch in Gedancken und Begierden ſich am meiſten beunruhiget findet, recht ans Licht ziehe und ſich nach demſelben unterſuche. Dazu denn auch alles uͤbrige durch die zuͤch- tigende Gnade GOttes einem in der Zartheit ſolcher geſtalt erhaltenen Gewiſſen leichtlich wird vorkommen. c. Daß man, nachdem es die Sache ſelbſt er- fodert, GOtt theils danckſage fuͤr dieſen und jenen gnaͤdigen Beyſtand, den man bey dieſer und jener Verſuchung gefunden; theils ihm dieſe und jene bekante Schwachheits-Suͤnde demuͤthigſt abbitte; und ſich dabey allezeit mit dem guten Vorſatz wapne, ſich bey die- ſer und jener Gelegenheit kuͤnftig beſſer in acht zu nehmen, und ſich alſo die Fehler zu deſto mehrer Vorſichtigkeit dienen laſſe. 6. Was nun endlich den aus einer ſolchen Pruͤfung entſtehenden Nutzen anlanget; ſo iſt derſelbe uͤberaus groß, herrlich und wichtig. Denn der Menſch wird dadurch nicht allein vor gefaͤhrlichen Ruͤckfaͤllen kraͤftigſt bewahret, ſon- dern auch ſein Gewiſſen wird dadurch in ſolcher Zartheit und Lauterkeit, auch geiſtlichen Einfalt erhalten, daß es auch die ſubtileſten und verbor- genſten Abweichungen ſo fort mercket, und ihnen alſo entgegen gehet, daß es ſich davon reiniget. Und ſolchergeſtalt wird ſowol die Lehre von der Rechtfertigung in taͤglicher Suchung der Ver- gebung der Suͤnden, als die von der Heiligung in beſtaͤndiger Ubung behalten: auch bleibet die Seele im ſteten anhangen an GOtt, ja im Um- gange O o o 3
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Cap. 13, v. 5. an die Corinthier.
zu haben, nachdem wir durch Anzuͤndung des
Glaubens gantz andere Menſchen worden ſind
von Hertz, Muth, Sinn und allen Kraͤften.
Jſt nun der Glaube ſolcher geſtalt in uns, ſo ſind
wir auch im Glauben, alſo, daß wir darin-
nen ſtehen, darinnen leben, darinnen wandeln
und wircken, und, da alles, was nicht aus dem
Glauben gehet, Suͤnde iſt, alles unſer Thun
im Glauben und aus dem Glauben mit einfaͤlti-
gem Hertzen zur Ehre GOttes verrichten, und ſol-
chen unſern Glauben durch die Liebe nach allen
Pflichten des Chriſtenthums gegen GOtt, uns
ſelbſt und den Naͤchſten thaͤtig erweiſen. Dar-
aus denn erhellet, daß, vermoͤge des Glaubens,
alles unſer Thun und Laſſen das innerliche
und das aͤuſſerliche mit unſerm gantzen Zuſtan-
de, zur Selbſt-Pruͤfung gehoͤre. Nebſt dem
Glauben ſoll dieſe auch gehen auf Chriſtum,
ob er in uns ſey? Eines bringet das andere
mit ſich. Denn wo der Glaube iſt, da iſt Chri-
ſtus. Daß aber auch Chriſtus ſelbſt vermoͤge
des Glaubens in den Glaubigen iſt, das giebet
dem Glauben ſo viel mehrern Nachdruck, und
zeiget an, daß er ſo viel weniger ohn ein geiſtli-
ches Leben, Licht, Kraft und Wirckung ſey.
Denn wo Chriſtus durch den Glauben aufge-
nommen iſt, da iſt er, als in ſeinem Tempel, da
lebet, leuchtet und regieret er, alſo, daß er des
Menſchen gantzes Leben innerlich und aͤuſſerlich
immer mehr ſeinem Bilde gleichfoͤrmig machet.
Da ſtaͤrcket ſie Chriſtus zu allem Guten, daß
ſie mit Paulo ſagen koͤnnen: Jch vermag al-
les durch den, der mich maͤchtig machet,
Chriſtum Phil. 4, 13. da ſind ſie auch gutes
Muths: ſintemal Chriſtus in ihnen iſt die
Hoffnung der Herrlichkeit Col. 1, 17. der
in ihnen iſt, der iſt ſtaͤrcker, denn der in
der Welt iſt 1 Joh. 4, 4. Es hat demnach vie-
les auf ſich, im Glauben, und durch den Glau-
ben in Chriſto ſeyn, leben und wircken, auch
mit Chriſto alſo vereiniget ſeyn, daß man ihn
in ſich habe, und mit Paulo ſagen koͤnne: Chri-
ſtus iſt mein Leben Phil. 1, 21. Jch bin
mit Chriſto gecreutziget, ich lebe aber:
doch nun nicht ich, ſondern Chriſtus lebet
in mir. Denn was ich ietzt lebe im Flei-
ſche, das lebe ich im Glauben des Sohnes
GOttes, der mich geliebet hat, und ſich
ſelbſt fuͤr mich dargegeben. Gal. 2, 20.
Und darauf hatte der Apoſtel auch die Corinthier
in dem andern Briefe gefuͤhret, wenn er c. 5, 15.
ſpricht: Er iſt darum fuͤr ſie alle geſtorben,
auf daß die, ſo da leben, hinfort nicht ih-
nen ſelbſt leben, ſondern dem, der fuͤr ſie
geſtorben und auferſtanden iſt.
5. Was nun die Pruͤfung ſelbſt betrifft,
ſo beſtehet ſie in einer aufrichtigen Unterſuchung
des gantzen Zuſtandes und aller Handlun-
gen: ob man im Glauben ſtehe und darinnen
Chriſto lebe, oder nicht? ob man im Lauffe des
Chriſtenthſtms ruͤck- oder vorwarts gehe? ob
dieſes und jenes mit dem Glauben, guten Ge-
wiſſen und dem Vorbilde des Exempels Chriſti
beſtehen koͤnne, oder nicht? Daß die Pruͤfung
recht ernſtlich und das rechte Werck eines Chri-
ſten ſeyn ſolle, ſiehet man aus der gedoppelten,
ja dreyfachen Erinnerung Pauli, da er ſaget:
Verſuchet euch ſelbſt! pruͤfet euch ſelbſt!
erkennet euch ſelbſt! welcher mit ſolchen
Worten bezeugeter Ernſt, wo er in der Ubung
erwieſen ſeyn ſoll, ſo gehoͤren dazu folgende
Stuͤcke:
a. Daß man ſolche Unterſuchung nicht nur
ein und das andere mal, ſondern oͤfters an-
ſtelle, und daß es zu einer beſtaͤndigen und ge-
heiligten Gewohnheit werde. Denn was
huͤlfe es, wenn man ſich auch gleich einige mal,
und auf einige Zeit dadurch zum Guten erweck-
te, hernach aber davon ablieſſe, in eine ſorg-
loſe Sicherheit verfiele, und durch Betrug der
Suͤnde gar aus dem Stande der Gnaden
verfiele, oder darein niemals recht gelangete.
Es iſt demnach allerdinge noͤthig, daß ein
Menſch die Selbſt-Pruͤfung taͤglich anſtelle,
auch wol einige Zeit, ſolte es auch nur ein
viertel-Stuͤndgen bey uͤberhauften Geſchaͤf-
ten ſeyn, dazu ausſetze: ja ſolte es auch un-
ter den Geſchaͤften ſelbſt geſchehen, wenn ſie
alſo beſchaffen ſind, daß nicht ſo wol das Ge-
muͤth, als nur der Leib mit dieſem oder jenem
Gliede damit zu thun hat. Zwar muß die
Pruͤfung bey dem Morgen- und Abend-Ge-
bet nicht unterlaſſen werden: aber ſie will
auch ohne das noͤthig ſeyn.
b. Daß man in der Pruͤfung inſonderheit ſeinen
familiairen Affect, damit man nach dem Tem-
perament am meiſten behaftet iſt, oder dazu
man am meiſten gereitzet wird, davon man
auch durch dieſe und jene Ubereilung, wo
nicht in Worten, Wercken und Geberden,
doch in Gedancken und Begierden ſich am
meiſten beunruhiget findet, recht ans Licht
ziehe und ſich nach demſelben unterſuche.
Dazu denn auch alles uͤbrige durch die zuͤch-
tigende Gnade GOttes einem in der Zartheit
ſolcher geſtalt erhaltenen Gewiſſen leichtlich
wird vorkommen.
c. Daß man, nachdem es die Sache ſelbſt er-
fodert, GOtt theils danckſage fuͤr dieſen und
jenen gnaͤdigen Beyſtand, den man bey dieſer
und jener Verſuchung gefunden; theils ihm
dieſe und jene bekante Schwachheits-Suͤnde
demuͤthigſt abbitte; und ſich dabey allezeit
mit dem guten Vorſatz wapne, ſich bey die-
ſer und jener Gelegenheit kuͤnftig beſſer in acht
zu nehmen, und ſich alſo die Fehler zu deſto
mehrer Vorſichtigkeit dienen laſſe.
6. Was nun endlich den aus einer ſolchen
Pruͤfung entſtehenden Nutzen anlanget; ſo iſt
derſelbe uͤberaus groß, herrlich und wichtig.
Denn der Menſch wird dadurch nicht allein vor
gefaͤhrlichen Ruͤckfaͤllen kraͤftigſt bewahret, ſon-
dern auch ſein Gewiſſen wird dadurch in ſolcher
Zartheit und Lauterkeit, auch geiſtlichen Einfalt
erhalten, daß es auch die ſubtileſten und verbor-
genſten Abweichungen ſo fort mercket, und ihnen
alſo entgegen gehet, daß es ſich davon reiniget.
Und ſolchergeſtalt wird ſowol die Lehre von der
Rechtfertigung in taͤglicher Suchung der Ver-
gebung der Suͤnden, als die von der Heiligung
in beſtaͤndiger Ubung behalten: auch bleibet die
Seele im ſteten anhangen an GOtt, ja im Um-
gange
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