Lange, Joachim: Apostolisches Licht und Recht. Bd. 1. Halle, 1729.Cap. 12, v. 7. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
hatte, so suchet er das erstere zu verhüten Wel-ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen Seelen-Hirtens ist. V. 7. Und auf daß ich mich nicht der hohen Anmerckungen. 1. Was diß für ein besonderes Leiden Pauli gewesen, darüber sind zwar viele Mei- nungen der Ausleger; die sich aber weder zum Texte noch zum Contexte, schicken. Davon um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu- führen sind, damit man aus der Unrichtigkeit hernach den richtigen Sinn Pauli desto eigentli- cher erkennen könne. 2. Es kan dieser Ort nicht wohl also ver- standen werden, daß der Satan Paulo leibli- cher Weise erschienen sey, und ihm wircklich Fäusten-Schläge gegeben habe. Denn so wenig die ersten Worte, von einem in das Fleisch oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buchsta- ben zu verstehen sind, so wenig sind auch die letz- tern nach ihrem buchstäblichen Laute anzuneh- men. Daß aber die erstern und letztern auf ei- nerley gehen, siehet ein ieder. Denn was der Apostel erstlich mit verblümten vom Pfahl her- genommenen Worten ausgesprochen hat, das erläutert er hernach mit den Worten von den Fäusten-Schlägen also, daß er zugleich anzei- get, woher das Leiden rühre, nemlich vom Sa- tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie- len würcklichen Schläge, blutigen Geisselungen, Frost, Hunger und Durst, viel Wachen und andern äusserlichen sehr schweren und harten Leiden, sonderlich der Ketten und Banden in den tiefesten Gefängnissen so sehr ausgemergelt und entkräftet worden war, daß der äussere Mensch daher an ihm immer mehr verwesete, 2 Cor. 4, 16. so ist gar nicht vermuthlich, daß GOtt über den dem Leibe nach also geplagten Paulum noch ein mehrers solte verhänget haben. 3. Und eben so wenig läßt sich der Ort von einer leiblichen Kranckheit, oder von einem gewissen Zufall, welchen er innerlich oder äusser- lich am Leibe gehabt, als da ist die Gicht und dergleichen, verstehen, sintemal der Apostel die Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben so wenig gemeinet seyn können, wie gedacht, schon im Uberfluß hatte; dergleichen Affect auch eben kein besonderes Mittel wider die Er- hebung des Gemüths war. Es fällt denn auch damit dahin die Meinung derer, die es von Pauli Widersachern und aller seiner Verfol- gung auslegen: als davon er schon vorher ge- handelt hat, hier aber etwas besonders anführet. Und wie wolte sich auch dazu das Gebet schicken, da er GOtt anflehet, ihn von diesem Ubel zu be- freyen? Denn er wuste ja wohl, daß er davon vor seinem Tode keine Befreyung zu gewarten hätte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes [Spaltenumbruch] bekant war, so hat er sie auch nicht einmal ver- langet, oder verlangen können. 4. Da nun dieses Leiden am Leibe Pauli und in den dazu gehörigen Umständen nicht zu finden und also auch nicht zu suchen ist, und er es doch also an sich gehabt hat, daß es ihm sehr empfindlich gewesen; so muß seine Seele damit seyn geängstet worden. Solte es nun wol die Erb-Sünde mit ihren noch übrigen Reitzungen gewesen seyn? Jch sage nein. Denn obgleich Paulus auch davon sich noch nicht gantz frey gewust; wie man unter andern auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem Stande zu seyn, darinnen er sich erheben können, und daß wider die Erhebung GOtt etwas har- tes über ihn verhenget habe: so wird doch dieses Leiden der Erb-Sünde in ihren Versuchungen zur Eigenliebe entgegen gesetzet. Es würde die- se Meynung auch wider den grossen Ernst, den Paulus mit so grosser Verleugnung seiner selbst und so williger Ubernehmung des Creutzes Chri- sti, und mit so vielen Proben der zu einem gewiß nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der Heiligung erwiesen, gar sehr streiten, noch sich zu den so gar nachdrücklichen Worten vom Pfahl im Fleische und von Satanischen Fäusten- Schlägen schicken. Denn hiemit wird ein gantz besonders Leiden, das Paulus nicht eben mit allen übrigen Christen gemein gehabt, angezeiget; von der Erb-Sünde aber und dero- selben Regungen ist kein Mensch frey. Daß es viele unter den Papisten, um ihren ehe- und da- bey bey vielen auch ehr- und gewissenlosen Münchs- und Nonnen-Stand wider den Vor- wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen Reitzung zur Unkeuschheit verstehen, ist so unge- reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung gebrauchet. 5. Und da es auch keine geringe Anfech- tung ist, wenn eine Seele, die würcklich im Stande der Gnaden stehet, in eine solche Dür- re und geistliche Wüste geräth, daß sie an der Gnade GOttes, an ihrer Kindschaft und an der ewigen Seligkeit zweifelt, sich auch wol gar verworfen hält, und mit dem sehr schweren Scrupel von der absoluten Erwehlung und Ver- werfung gesichtet und recht gequälet wird, und man also gedencken möchte, daß dieses der Pfahl im Fleische und des Satans Fäusten-Schläge gewesen wären: so will sich auch diese Meinung allhier für Paulum gar nicht schicken. Denn man findet in seinen Briefen keine eintzige Spur von dieser Anfechtung, sondern fast allenthal- ben das Gegentheil, und eine solche Glaubens- Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade GOttes in Christo und von der ihm anvertraue- ten theuren Beylage der geistlichen Heils-Güter, daß man sich darüber recht zu verwundern hat. 6. Eine Art der Gemüths-Aengstigun- gen ist noch übrig, welche wol den meisten Schein hat, daß sie alhier gemeinet sey. Nem- lich da Paulus vorher Christum in seinen Glie- dern aufs allergrimmigste verfolget, und man- che Schwache auch wol, durch Hülfe der rich- terlichen Gewalt, zur Lästerung wider den Na- men
Cap. 12, v. 7. an die Corinthier. [Spaltenumbruch]
hatte, ſo ſuchet er das erſtere zu verhuͤten Wel-ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen Seelen-Hirtens iſt. V. 7. Und auf daß ich mich nicht der hohen Anmerckungen. 1. Was diß fuͤr ein beſonderes Leiden Pauli geweſen, daruͤber ſind zwar viele Mei- nungen der Ausleger; die ſich aber weder zum Texte noch zum Contexte, ſchicken. Davon um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu- fuͤhren ſind, damit man aus der Unrichtigkeit hernach den richtigen Sinn Pauli deſto eigentli- cher erkennen koͤnne. 2. Es kan dieſer Ort nicht wohl alſo ver- ſtanden werden, daß der Satan Paulo leibli- cher Weiſe erſchienen ſey, und ihm wircklich Faͤuſten-Schlaͤge gegeben habe. Denn ſo wenig die erſten Worte, von einem in das Fleiſch oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buchſta- ben zu verſtehen ſind, ſo wenig ſind auch die letz- tern nach ihrem buchſtaͤblichen Laute anzuneh- men. Daß aber die erſtern und letztern auf ei- nerley gehen, ſiehet ein ieder. Denn was der Apoſtel erſtlich mit verbluͤmten vom Pfahl her- genommenen Worten ausgeſprochen hat, das erlaͤutert er hernach mit den Worten von den Faͤuſten-Schlaͤgen alſo, daß er zugleich anzei- get, woher das Leiden ruͤhre, nemlich vom Sa- tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie- len wuͤrcklichen Schlaͤge, blutigen Geiſſelungen, Froſt, Hunger und Durſt, viel Wachen und andern aͤuſſerlichen ſehr ſchweren und harten Leiden, ſonderlich der Ketten und Banden in den tiefeſten Gefaͤngniſſen ſo ſehr ausgemergelt und entkraͤftet worden war, daß der aͤuſſere Menſch daher an ihm immer mehr verweſete, 2 Cor. 4, 16. ſo iſt gar nicht vermuthlich, daß GOtt uͤber den dem Leibe nach alſo geplagten Paulum noch ein mehrers ſolte verhaͤnget haben. 3. Und eben ſo wenig laͤßt ſich der Ort von einer leiblichen Kranckheit, oder von einem gewiſſen Zufall, welchen er innerlich oder aͤuſſer- lich am Leibe gehabt, als da iſt die Gicht und dergleichen, verſtehen, ſintemal der Apoſtel die Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben ſo wenig gemeinet ſeyn koͤnnen, wie gedacht, ſchon im Uberfluß hatte; dergleichen Affect auch eben kein beſonderes Mittel wider die Er- hebung des Gemuͤths war. Es faͤllt denn auch damit dahin die Meinung derer, die es von Pauli Widerſachern und aller ſeiner Verfol- gung auslegen: als davon er ſchon vorher ge- handelt hat, hier aber etwas beſonders anfuͤhret. Und wie wolte ſich auch dazu das Gebet ſchicken, da er GOtt anflehet, ihn von dieſem Ubel zu be- freyen? Denn er wuſte ja wohl, daß er davon vor ſeinem Tode keine Befreyung zu gewarten haͤtte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes [Spaltenumbruch] bekant war, ſo hat er ſie auch nicht einmal ver- langet, oder verlangen koͤnnen. 4. Da nun dieſes Leiden am Leibe Pauli und in den dazu gehoͤrigen Umſtaͤnden nicht zu finden und alſo auch nicht zu ſuchen iſt, und er es doch alſo an ſich gehabt hat, daß es ihm ſehr empfindlich geweſen; ſo muß ſeine Seele damit ſeyn geaͤngſtet worden. Solte es nun wol die Erb-Suͤnde mit ihren noch uͤbrigen Reitzungen geweſen ſeyn? Jch ſage nein. Denn obgleich Paulus auch davon ſich noch nicht gantz frey gewuſt; wie man unter andern auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem Stande zu ſeyn, darinnen er ſich erheben koͤnnen, und daß wider die Erhebung GOtt etwas har- tes uͤber ihn verhenget habe: ſo wird doch dieſes Leiden der Erb-Suͤnde in ihren Verſuchungen zur Eigenliebe entgegen geſetzet. Es wuͤrde die- ſe Meynung auch wider den groſſen Ernſt, den Paulus mit ſo groſſer Verleugnung ſeiner ſelbſt und ſo williger Ubernehmung des Creutzes Chri- ſti, und mit ſo vielen Proben der zu einem gewiß nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der Heiligung erwieſen, gar ſehr ſtreiten, noch ſich zu den ſo gar nachdruͤcklichen Worten vom Pfahl im Fleiſche und von Sataniſchen Faͤuſten- Schlaͤgen ſchicken. Denn hiemit wird ein gantz beſonders Leiden, das Paulus nicht eben mit allen uͤbrigen Chriſten gemein gehabt, angezeiget; von der Erb-Suͤnde aber und dero- ſelben Regungen iſt kein Menſch frey. Daß es viele unter den Papiſten, um ihren ehe- und da- bey bey vielen auch ehr- und gewiſſenloſen Muͤnchs- und Nonnen-Stand wider den Vor- wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen Reitzung zur Unkeuſchheit verſtehen, iſt ſo unge- reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung gebrauchet. 5. Und da es auch keine geringe Anfech- tung iſt, wenn eine Seele, die wuͤrcklich im Stande der Gnaden ſtehet, in eine ſolche Duͤr- re und geiſtliche Wuͤſte geraͤth, daß ſie an der Gnade GOttes, an ihrer Kindſchaft und an der ewigen Seligkeit zweifelt, ſich auch wol gar verworfen haͤlt, und mit dem ſehr ſchweren Scrupel von der abſoluten Erwehlung und Ver- werfung geſichtet und recht gequaͤlet wird, und man alſo gedencken moͤchte, daß dieſes der Pfahl im Fleiſche und des Satans Faͤuſten-Schlaͤge geweſen waͤren: ſo will ſich auch dieſe Meinung allhier fuͤr Paulum gar nicht ſchicken. Denn man findet in ſeinen Briefen keine eintzige Spur von dieſer Anfechtung, ſondern faſt allenthal- ben das Gegentheil, und eine ſolche Glaubens- Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade GOttes in Chriſto und von der ihm anvertraue- ten theuren Beylage der geiſtlichen Heils-Guͤter, daß man ſich daruͤber recht zu verwundern hat. 6. Eine Art der Gemuͤths-Aengſtigun- gen iſt noch uͤbrig, welche wol den meiſten Schein hat, daß ſie alhier gemeinet ſey. Nem- lich da Paulus vorher Chriſtum in ſeinen Glie- dern aufs allergrimmigſte verfolget, und man- che Schwache auch wol, durch Huͤlfe der rich- terlichen Gewalt, zur Laͤſterung wider den Na- men
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Cap. 12, v. 7. an die Corinthier.
hatte, ſo ſuchet er das erſtere zu verhuͤten Wel-
ches denn ein gutes Kennzeichen eines getreuen
Seelen-Hirtens iſt.
V. 7.
Und auf daß ich mich nicht der hohen
Offenbarung uͤberhebe, iſt mir gegeben
ein Pfahl ins Fleiſch, nemlich des Satans
Engel, der mich mit Faͤuſten ſchlage, auf
daß ich mich nicht uͤberhebe.
Anmerckungen.
1. Was diß fuͤr ein beſonderes Leiden
Pauli geweſen, daruͤber ſind zwar viele Mei-
nungen der Ausleger; die ſich aber weder zum
Texte noch zum Contexte, ſchicken. Davon
um deßwillen einige nach ihrem Ungrunde anzu-
fuͤhren ſind, damit man aus der Unrichtigkeit
hernach den richtigen Sinn Pauli deſto eigentli-
cher erkennen koͤnne.
2. Es kan dieſer Ort nicht wohl alſo ver-
ſtanden werden, daß der Satan Paulo leibli-
cher Weiſe erſchienen ſey, und ihm wircklich
Faͤuſten-Schlaͤge gegeben habe. Denn ſo
wenig die erſten Worte, von einem in das Fleiſch
oder Leib gegebnen Pfahl, nach dem Buchſta-
ben zu verſtehen ſind, ſo wenig ſind auch die letz-
tern nach ihrem buchſtaͤblichen Laute anzuneh-
men. Daß aber die erſtern und letztern auf ei-
nerley gehen, ſiehet ein ieder. Denn was der
Apoſtel erſtlich mit verbluͤmten vom Pfahl her-
genommenen Worten ausgeſprochen hat, das
erlaͤutert er hernach mit den Worten von den
Faͤuſten-Schlaͤgen alſo, daß er zugleich anzei-
get, woher das Leiden ruͤhre, nemlich vom Sa-
tan. Und da Pauli Leib ohne das durch die vie-
len wuͤrcklichen Schlaͤge, blutigen Geiſſelungen,
Froſt, Hunger und Durſt, viel Wachen und
andern aͤuſſerlichen ſehr ſchweren und harten
Leiden, ſonderlich der Ketten und Banden in
den tiefeſten Gefaͤngniſſen ſo ſehr ausgemergelt
und entkraͤftet worden war, daß der aͤuſſere
Menſch daher an ihm immer mehr verweſete,
2 Cor. 4, 16. ſo iſt gar nicht vermuthlich, daß
GOtt uͤber den dem Leibe nach alſo geplagten
Paulum noch ein mehrers ſolte verhaͤnget
haben.
3. Und eben ſo wenig laͤßt ſich der Ort von
einer leiblichen Kranckheit, oder von einem
gewiſſen Zufall, welchen er innerlich oder aͤuſſer-
lich am Leibe gehabt, als da iſt die Gicht und
dergleichen, verſtehen, ſintemal der Apoſtel die
Noth und Leiden des Leibes, die alhier eben ſo
wenig gemeinet ſeyn koͤnnen, wie gedacht,
ſchon im Uberfluß hatte; dergleichen Affect
auch eben kein beſonderes Mittel wider die Er-
hebung des Gemuͤths war. Es faͤllt denn auch
damit dahin die Meinung derer, die es von
Pauli Widerſachern und aller ſeiner Verfol-
gung auslegen: als davon er ſchon vorher ge-
handelt hat, hier aber etwas beſonders anfuͤhret.
Und wie wolte ſich auch dazu das Gebet ſchicken,
da er GOtt anflehet, ihn von dieſem Ubel zu be-
freyen? Denn er wuſte ja wohl, daß er davon
vor ſeinem Tode keine Befreyung zu gewarten
haͤtte: und da ihm das Geheimniß des Creutzes
bekant war, ſo hat er ſie auch nicht einmal ver-
langet, oder verlangen koͤnnen.
4. Da nun dieſes Leiden am Leibe Pauli
und in den dazu gehoͤrigen Umſtaͤnden nicht zu
finden und alſo auch nicht zu ſuchen iſt, und
er es doch alſo an ſich gehabt hat, daß es ihm
ſehr empfindlich geweſen; ſo muß ſeine Seele
damit ſeyn geaͤngſtet worden. Solte es nun
wol die Erb-Suͤnde mit ihren noch uͤbrigen
Reitzungen geweſen ſeyn? Jch ſage nein.
Denn obgleich Paulus auch davon ſich noch
nicht gantz frey gewuſt; wie man unter andern
auch daraus erkennet, daß er bekennet in dem
Stande zu ſeyn, darinnen er ſich erheben koͤnnen,
und daß wider die Erhebung GOtt etwas har-
tes uͤber ihn verhenget habe: ſo wird doch dieſes
Leiden der Erb-Suͤnde in ihren Verſuchungen
zur Eigenliebe entgegen geſetzet. Es wuͤrde die-
ſe Meynung auch wider den groſſen Ernſt, den
Paulus mit ſo groſſer Verleugnung ſeiner ſelbſt
und ſo williger Ubernehmung des Creutzes Chri-
ſti, und mit ſo vielen Proben der zu einem gewiß
nicht geringen Grad gebrachten Tugenden in der
Heiligung erwieſen, gar ſehr ſtreiten, noch ſich
zu den ſo gar nachdruͤcklichen Worten vom Pfahl
im Fleiſche und von Sataniſchen Faͤuſten-
Schlaͤgen ſchicken. Denn hiemit wird ein
gantz beſonders Leiden, das Paulus nicht eben
mit allen uͤbrigen Chriſten gemein gehabt,
angezeiget; von der Erb-Suͤnde aber und dero-
ſelben Regungen iſt kein Menſch frey. Daß es
viele unter den Papiſten, um ihren ehe- und da-
bey bey vielen auch ehr- und gewiſſenloſen
Muͤnchs- und Nonnen-Stand wider den Vor-
wurf vom Mangel der Gabe der Enthaltung
zu vertheidigen, gar von einer empfindlichen
Reitzung zur Unkeuſchheit verſtehen, iſt ſo unge-
reimt, daß es nicht einmal einiger Widerlegung
gebrauchet.
5. Und da es auch keine geringe Anfech-
tung iſt, wenn eine Seele, die wuͤrcklich im
Stande der Gnaden ſtehet, in eine ſolche Duͤr-
re und geiſtliche Wuͤſte geraͤth, daß ſie an der
Gnade GOttes, an ihrer Kindſchaft und an der
ewigen Seligkeit zweifelt, ſich auch wol gar
verworfen haͤlt, und mit dem ſehr ſchweren
Scrupel von der abſoluten Erwehlung und Ver-
werfung geſichtet und recht gequaͤlet wird, und
man alſo gedencken moͤchte, daß dieſes der Pfahl
im Fleiſche und des Satans Faͤuſten-Schlaͤge
geweſen waͤren: ſo will ſich auch dieſe Meinung
allhier fuͤr Paulum gar nicht ſchicken. Denn
man findet in ſeinen Briefen keine eintzige Spur
von dieſer Anfechtung, ſondern faſt allenthal-
ben das Gegentheil, und eine ſolche Glaubens-
Freudigkeit und Gewißheit von der Gnade
GOttes in Chriſto und von der ihm anvertraue-
ten theuren Beylage der geiſtlichen Heils-Guͤter,
daß man ſich daruͤber recht zu verwundern hat.
6. Eine Art der Gemuͤths-Aengſtigun-
gen iſt noch uͤbrig, welche wol den meiſten
Schein hat, daß ſie alhier gemeinet ſey. Nem-
lich da Paulus vorher Chriſtum in ſeinen Glie-
dern aufs allergrimmigſte verfolget, und man-
che Schwache auch wol, durch Huͤlfe der rich-
terlichen Gewalt, zur Laͤſterung wider den Na-
men
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