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Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554.

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Kriegsdienst, den von tausend Männern kaum einer wirklich
leisten muss, mehr als kompensirte. Dass weit mehr Frauen
in Erfüllung ihrer Mutterpflicht sterben als Männer auf dem
Schlachtfelde, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Auch dass die Frauen das Wahlrecht nicht wollen, ist ein
geläufiger Einwurf. Was hat das mit der Sache zu tun?
Nimmt man es etwa den Männern, die durch dauernde Nichtausübung
ihres Wahlrechts zeigen, dass sie es auch nicht
wollen? Uebrigens hat man da interessante Erfahrungen
gemacht. Im Nineteenth Century wurde vor einiger Zeit
von einer Anzahl vornehmer Damen ein Protest gegen das
Frauenstimmrecht erlassen, der in der Fortnightly Review
seine Antwort durch einen von 2000 Frauen unterzeichneten
Aufruf dafür fand. Die Antistimmrechtlerinnen waren
meistens -- Nichtstuerinnen, die 2000 meistens in einem Berufe
tätig. Das möchte schwer in die Waagschale fallen.

Im Uebrigen ist die Freiheit etwas, wozu der Mensch erst
erzogen werden muss, aber auch erzogen werden sollte. Auch
Sklaven haben vielfach nicht befreit werden wollen. Und dem
mannhaften Gefangenen von Chillon erschien schliesslich sein
Gefängnis schöner als die Freiheit. Rechte gibt man nicht,
weil sie gewünscht werden, sondern weil sie nötig sind. Ob
dann Gebrauch davon gemacht wird, ist Sache jedes Einzelnen.
Und wer da fragen möchte, wie im Einzelfalle das Recht
gebraucht wird, dem diene Gladstones Ausspruch als Antwort:
"It would be a sin against first principles in enfranchising any
class, to enquire in what sense they would vote."

Der Einwurf, Frauen verständen nichts von "Politik," ist
in solcher Allgemeinheit gar kein Einwurf. Was heisst
Politik? Neuerdings hat man in Deutschland, um Frauenvereine
unter diesem Vorwande schliessen zu können, alle
"öffentlichen Angelegenheiten" darunter verstanden. Von
diesen wird eine Anzahl von Männern besser verstanden
werden, eine andere von Frauen. Das hängt einfach von dem
Grad des Interesses ab. Da naturgemäss die kulturellen
Fragen, für welche Frauen hervorragendes Interesse haben, die
Erziehungs- und Unterrichtsfragen z. B., in dem nur von
Männern geleiteten Gemeinwesen hinter militärische, handelstechnische,
industrielle, rechtliche Fragen zurücktreten (schwerlich

Kriegsdienst, den von tausend Männern kaum einer wirklich
leisten muss, mehr als kompensirte. Dass weit mehr Frauen
in Erfüllung ihrer Mutterpflicht sterben als Männer auf dem
Schlachtfelde, dürfte hinlänglich bekannt sein.

Auch dass die Frauen das Wahlrecht nicht wollen, ist ein
geläufiger Einwurf. Was hat das mit der Sache zu tun?
Nimmt man es etwa den Männern, die durch dauernde Nichtausübung
ihres Wahlrechts zeigen, dass sie es auch nicht
wollen? Uebrigens hat man da interessante Erfahrungen
gemacht. Im Nineteenth Century wurde vor einiger Zeit
von einer Anzahl vornehmer Damen ein Protest gegen das
Frauenstimmrecht erlassen, der in der Fortnightly Review
seine Antwort durch einen von 2000 Frauen unterzeichneten
Aufruf dafür fand. Die Antistimmrechtlerinnen waren
meistens — Nichtstuerinnen, die 2000 meistens in einem Berufe
tätig. Das möchte schwer in die Waagschale fallen.

Im Uebrigen ist die Freiheit etwas, wozu der Mensch erst
erzogen werden muss, aber auch erzogen werden sollte. Auch
Sklaven haben vielfach nicht befreit werden wollen. Und dem
mannhaften Gefangenen von Chillon erschien schliesslich sein
Gefängnis schöner als die Freiheit. Rechte gibt man nicht,
weil sie gewünscht werden, sondern weil sie nötig sind. Ob
dann Gebrauch davon gemacht wird, ist Sache jedes Einzelnen.
Und wer da fragen möchte, wie im Einzelfalle das Recht
gebraucht wird, dem diene Gladstones Ausspruch als Antwort:
„It would be a sin against first principles in enfranchising any
class, to enquire in what sense they would vote.“

Der Einwurf, Frauen verständen nichts von „Politik,“ ist
in solcher Allgemeinheit gar kein Einwurf. Was heisst
Politik? Neuerdings hat man in Deutschland, um Frauenvereine
unter diesem Vorwande schliessen zu können, alle
„öffentlichen Angelegenheiten“ darunter verstanden. Von
diesen wird eine Anzahl von Männern besser verstanden
werden, eine andere von Frauen. Das hängt einfach von dem
Grad des Interesses ab. Da naturgemäss die kulturellen
Fragen, für welche Frauen hervorragendes Interesse haben, die
Erziehungs- und Unterrichtsfragen z. B., in dem nur von
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industrielle, rechtliche Fragen zurücktreten (schwerlich

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[544/0007] Kriegsdienst, den von tausend Männern kaum einer wirklich leisten muss, mehr als kompensirte. Dass weit mehr Frauen in Erfüllung ihrer Mutterpflicht sterben als Männer auf dem Schlachtfelde, dürfte hinlänglich bekannt sein. Auch dass die Frauen das Wahlrecht nicht wollen, ist ein geläufiger Einwurf. Was hat das mit der Sache zu tun? Nimmt man es etwa den Männern, die durch dauernde Nichtausübung ihres Wahlrechts zeigen, dass sie es auch nicht wollen? Uebrigens hat man da interessante Erfahrungen gemacht. Im Nineteenth Century wurde vor einiger Zeit von einer Anzahl vornehmer Damen ein Protest gegen das Frauenstimmrecht erlassen, der in der Fortnightly Review seine Antwort durch einen von 2000 Frauen unterzeichneten Aufruf dafür fand. Die Antistimmrechtlerinnen waren meistens — Nichtstuerinnen, die 2000 meistens in einem Berufe tätig. Das möchte schwer in die Waagschale fallen. Im Uebrigen ist die Freiheit etwas, wozu der Mensch erst erzogen werden muss, aber auch erzogen werden sollte. Auch Sklaven haben vielfach nicht befreit werden wollen. Und dem mannhaften Gefangenen von Chillon erschien schliesslich sein Gefängnis schöner als die Freiheit. Rechte gibt man nicht, weil sie gewünscht werden, sondern weil sie nötig sind. Ob dann Gebrauch davon gemacht wird, ist Sache jedes Einzelnen. Und wer da fragen möchte, wie im Einzelfalle das Recht gebraucht wird, dem diene Gladstones Ausspruch als Antwort: „It would be a sin against first principles in enfranchising any class, to enquire in what sense they would vote.“ Der Einwurf, Frauen verständen nichts von „Politik,“ ist in solcher Allgemeinheit gar kein Einwurf. Was heisst Politik? Neuerdings hat man in Deutschland, um Frauenvereine unter diesem Vorwande schliessen zu können, alle „öffentlichen Angelegenheiten“ darunter verstanden. Von diesen wird eine Anzahl von Männern besser verstanden werden, eine andere von Frauen. Das hängt einfach von dem Grad des Interesses ab. Da naturgemäss die kulturellen Fragen, für welche Frauen hervorragendes Interesse haben, die Erziehungs- und Unterrichtsfragen z. B., in dem nur von Männern geleiteten Gemeinwesen hinter militärische, handelstechnische, industrielle, rechtliche Fragen zurücktreten (schwerlich

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554, hier S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauenwahlrecht_1896/7>, abgerufen am 23.11.2024.