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Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554.

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nur ein redlich wollender Vater, und einem, in dem neben ihm
eine redlich wollende Mutter waltet. Denn das Wort, das
einst Lady Henry Somerset als Motto über ihr Frauenstimmrechtsblatt
setzte, ist wahr: "The women's movement is
organised mother love." Diese Mutterliebe, deren die verarmte
Welt so dringend bedarf, kann nur die Frau ihr geben, -- es ist
müssig, im einzelnen ausführen zu wollen, in welcher Weise --
Gefängnisse und Waisenhäuser, Schulen und Hospitäler harren
ihrer, und der Unrat, der unser Leben befleckt und den
Menschen an der Wende des 20. Jahrhunderts oft unter das Tier
stellt, wird nur ihrer Hand weichen. Denn unzweifelhaft finden
die rein sinnlichen Instinkte in ihr die natürliche Gegnerin.

Diese Ueberzeugungen stützen sich nicht nur auf psychologische
Gründe, sondern auf die grossartige freie Vereinstätigkeit,
die Frauen aller Orten heute entwickeln, und auf die
Erfahrungen, die man in den wenigen Staaten mit Frauenstimmrecht
gemacht hat. In den amerikanischen und australischen
Staaten, in denen es eingeführt ist, haben sich gerade
in sittlicher Beziehung die günstigsten Erfolge gezeigt. Der
Staat Wyoming blickt auf eine 25-jährige Erfahrung mit dem
Frauenstimmrecht zurück, und sein Parlament konnte bei
Gelegenheit des Jubiläums der Gleichberechtigung eine
Resolution erlassen, in der es auf den Segen dieser Maassregel
hinwiess: friedliche und ordentliche Wahlen, eine gute Regirung,
ein bemerkenswerter Grad von Civilisation und öffentlicher
Ordnung wird darauf zurückgeführt: "Wir weisen mit Stolz
auf die Tatsache hin, dass nach nahezu 25 Jahren, dass die
Frauen das Stimmrecht besitzen, kein Distrikt in Wyoming
ein Armenhaus besitzt, dass unsere Gefängnisse so gut wie leer
und Verbrechen so gut wie unbekannt sind." Und bei der
ersten Wahl in Neu-Seeland, an der Frauen sich beteiligten, war
es in hohem Grade bemerkenswert, dass sie in erster Linie die
sittliche Qualifikation der Kandidaten in Betracht zogen.

Wir sind nun zwar gewohnt, auf diese Länder mit junger
Kultur herabzublicken mit dem ganzen Stolz eines Nachkommen
von 16 Ahnen; vermutlich würden sie diese Ahnen
garnicht wollen, wenn sie, wie wir, auch ihre 16 Zöpfe mit in
den Kauf nehmen müssten. Es ist doch eine bemerkenswerte
Geistesfreiheit, aus der der erste Artikel der Konstitution von

nur ein redlich wollender Vater, und einem, in dem neben ihm
eine redlich wollende Mutter waltet. Denn das Wort, das
einst Lady Henry Somerset als Motto über ihr Frauenstimmrechtsblatt
setzte, ist wahr: „The women's movement is
organised mother love.“ Diese Mutterliebe, deren die verarmte
Welt so dringend bedarf, kann nur die Frau ihr geben, — es ist
müssig, im einzelnen ausführen zu wollen, in welcher Weise —
Gefängnisse und Waisenhäuser, Schulen und Hospitäler harren
ihrer, und der Unrat, der unser Leben befleckt und den
Menschen an der Wende des 20. Jahrhunderts oft unter das Tier
stellt, wird nur ihrer Hand weichen. Denn unzweifelhaft finden
die rein sinnlichen Instinkte in ihr die natürliche Gegnerin.

Diese Ueberzeugungen stützen sich nicht nur auf psychologische
Gründe, sondern auf die grossartige freie Vereinstätigkeit,
die Frauen aller Orten heute entwickeln, und auf die
Erfahrungen, die man in den wenigen Staaten mit Frauenstimmrecht
gemacht hat. In den amerikanischen und australischen
Staaten, in denen es eingeführt ist, haben sich gerade
in sittlicher Beziehung die günstigsten Erfolge gezeigt. Der
Staat Wyoming blickt auf eine 25-jährige Erfahrung mit dem
Frauenstimmrecht zurück, und sein Parlament konnte bei
Gelegenheit des Jubiläums der Gleichberechtigung eine
Resolution erlassen, in der es auf den Segen dieser Maassregel
hinwiess: friedliche und ordentliche Wahlen, eine gute Regirung,
ein bemerkenswerter Grad von Civilisation und öffentlicher
Ordnung wird darauf zurückgeführt: „Wir weisen mit Stolz
auf die Tatsache hin, dass nach nahezu 25 Jahren, dass die
Frauen das Stimmrecht besitzen, kein Distrikt in Wyoming
ein Armenhaus besitzt, dass unsere Gefängnisse so gut wie leer
und Verbrechen so gut wie unbekannt sind.“ Und bei der
ersten Wahl in Neu-Seeland, an der Frauen sich beteiligten, war
es in hohem Grade bemerkenswert, dass sie in erster Linie die
sittliche Qualifikation der Kandidaten in Betracht zogen.

Wir sind nun zwar gewohnt, auf diese Länder mit junger
Kultur herabzublicken mit dem ganzen Stolz eines Nachkommen
von 16 Ahnen; vermutlich würden sie diese Ahnen
garnicht wollen, wenn sie, wie wir, auch ihre 16 Zöpfe mit in
den Kauf nehmen müssten. Es ist doch eine bemerkenswerte
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[548/0011] nur ein redlich wollender Vater, und einem, in dem neben ihm eine redlich wollende Mutter waltet. Denn das Wort, das einst Lady Henry Somerset als Motto über ihr Frauenstimmrechtsblatt setzte, ist wahr: „The women's movement is organised mother love.“ Diese Mutterliebe, deren die verarmte Welt so dringend bedarf, kann nur die Frau ihr geben, — es ist müssig, im einzelnen ausführen zu wollen, in welcher Weise — Gefängnisse und Waisenhäuser, Schulen und Hospitäler harren ihrer, und der Unrat, der unser Leben befleckt und den Menschen an der Wende des 20. Jahrhunderts oft unter das Tier stellt, wird nur ihrer Hand weichen. Denn unzweifelhaft finden die rein sinnlichen Instinkte in ihr die natürliche Gegnerin. Diese Ueberzeugungen stützen sich nicht nur auf psychologische Gründe, sondern auf die grossartige freie Vereinstätigkeit, die Frauen aller Orten heute entwickeln, und auf die Erfahrungen, die man in den wenigen Staaten mit Frauenstimmrecht gemacht hat. In den amerikanischen und australischen Staaten, in denen es eingeführt ist, haben sich gerade in sittlicher Beziehung die günstigsten Erfolge gezeigt. Der Staat Wyoming blickt auf eine 25-jährige Erfahrung mit dem Frauenstimmrecht zurück, und sein Parlament konnte bei Gelegenheit des Jubiläums der Gleichberechtigung eine Resolution erlassen, in der es auf den Segen dieser Maassregel hinwiess: friedliche und ordentliche Wahlen, eine gute Regirung, ein bemerkenswerter Grad von Civilisation und öffentlicher Ordnung wird darauf zurückgeführt: „Wir weisen mit Stolz auf die Tatsache hin, dass nach nahezu 25 Jahren, dass die Frauen das Stimmrecht besitzen, kein Distrikt in Wyoming ein Armenhaus besitzt, dass unsere Gefängnisse so gut wie leer und Verbrechen so gut wie unbekannt sind.“ Und bei der ersten Wahl in Neu-Seeland, an der Frauen sich beteiligten, war es in hohem Grade bemerkenswert, dass sie in erster Linie die sittliche Qualifikation der Kandidaten in Betracht zogen. Wir sind nun zwar gewohnt, auf diese Länder mit junger Kultur herabzublicken mit dem ganzen Stolz eines Nachkommen von 16 Ahnen; vermutlich würden sie diese Ahnen garnicht wollen, wenn sie, wie wir, auch ihre 16 Zöpfe mit in den Kauf nehmen müssten. Es ist doch eine bemerkenswerte Geistesfreiheit, aus der der erste Artikel der Konstitution von

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554, hier S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauenwahlrecht_1896/11>, abgerufen am 26.04.2024.